Je Vollzeit, desto besser Vereinbarkeit ist Waffe gegen Kinderarmut


Wenn beide Eltern Vollzeit arbeiten, muss die Kinderbetreuung klappen.
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Eine Studie des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos zeigt, dass eine möglichst vollzeitnahe Berufstätigkeit von Eltern das beste Mittel gegen Kinderarmut ist. Statt in Sozialleistungen soll deshalb mehr in die Vereinbarkeit von Familie und Beruf investiert werden.
Eine möglichst vollzeitnahe Berufstätigkeit beider Elternteile ist der beste Schutz für Kinder gegen die Gefahr, in Armut aufzuwachsen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung des Wirtschaftsforschungsunternehmens Prognos. Demnach spielen Armutsrisiken in Familien, in denen beide Elternteile in Vollzeit erwerbstätig sind, so gut wie keine Rolle. Sind die Eltern nicht erwerbstätig, liegt das Risiko hingegen bei 68 Prozent. Dies entspricht Prognos zufolge rund 930.000 Kindern.
Aus Sicht von David Juncke, Autor der Studie und Leiter Familienpolitik bei Prognos, spricht das gegen den Ansatz, Armutsrisiken nur über Sozialtransfers zu beheben. "Armutsbekämpfung in Familien ist auch zentrale Aufgabe der Familienpolitik", sagte Juncke ntv.de. In erster Linie gehe es darum, "Rahmenbedingungen zu schaffen, dass die Eltern so arbeiten können, dass sie unabhängig von Transfers leben. Das ist auch der Anspruch, den Eltern selbst haben".
Inzwischen habe sich die Erwerbsstruktur in Deutschland dahingehend geändert, dass das männliche Alleinverdienermodell immer weiter an Bedeutung verliere. 2008 lag dessen Anteil demnach noch bei 36 Prozent, bis 2023 sank er auf 28 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der Elternpaare, bei denen beide mehr als 36 Wochenstunden arbeiten, von 11 auf 14 Prozent. Derzeit sei das Alleinverdienermodell in Westdeutschland noch weiter verbreitet als in Ostdeutschland, so der Experte. "Aber es ist nicht das Modell, das von einer Mehrheit gewünscht wird, und die Tendenz ist klar abnehmend."
Sorgearbeit gerecht verteilen
Aus Sicht der Studienautorinnen und -autoren zeige dies, dass die Familien aus eigenem Antrieb Schutzmaßnahmen vor Armutsrisiken entwickeln. Denn so werde das Risiko, "dass die Familie in eine Armutssituation rutscht, auf zwei Schultern verteilt, nämlich die des Vaters und die der Mutter".
Diese Herangehensweise wird jedoch dann schwierig, wenn sich die Eltern trennen. Der Studie zufolge steigt das Armutsrisiko für Kinder in Alleinverdienerhaushalten auf 18,8 Prozent, wenn der Elternteil Vollzeit arbeitet, und sogar auf 37,7 Prozent, wenn die Person Teilzeit arbeitet. Dies betrifft in besonderem Maße Frauen, die laut Juncke noch immer nach einer Trennung den Großteil der Familienarbeit leisten. "Trotzdem arbeiten alleinerziehende Mütter im Durchschnitt mehr Stunden als Mütter in Paarfamilien."
Die Auswirkungen von finanzieller Unsicherheit auf Kinder ist groß, selbst wenn sie noch nicht das Armutslevel erreicht. "Es geht um Teilhabe, also darum, inwieweit Kinder in Sportvereinen sein, bei schulischen Problemen Nachhilfe bekommen oder andere Kinder zu sich nach Hause einladen können", so Juncke. Das habe unmittelbare Effekte auf das kindliche Wohlergehen, aber möglicherweise auch auf künftige Lebenschancen. Von geringeren Armutsrisiken profitiere aber die gesamte Gesellschaft. "Weniger Kinderarmut bedeutet in erster Linie weniger Sozialausgaben und mehr Zukunftschancen für die Gesellschaft", so der Experte.
Aufgaben für die nächste Wahlperiode
Als Konsequenz aus den erhobenen Daten leitet die Studie ab, dass sich Familienpolitik auf die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf konzentrieren sollte. Juncke nennt als Aufgabenfelder den weiteren Ausbau der Kinderbetreuungsinfrastruktur, das Elterngeld und eine familienbewusste Arbeitswelt. "Bei der Kinderbetreuung werden mehr Plätze gebraucht und ein besserer Betreuungsschlüssel, gerade in Rand- oder Ferienzeiten gibt es noch Defizite und auch im Bereich der Betreuung von Grundschulkindern."
Die Experten empfehlen außerdem die Weiterentwicklung des Elterngeldes. "Durch viele verschiedene Studien ist belegt, dass das Elterngeld wirklich dazu beigetragen hat, dass Mütter wieder früher nach der Geburt in die Erwerbsarbeit zurückkehren und auch in höheren Stundenpensen", so Juncke. "Es schafft einen finanziellen Schonraum für Familien und bietet auch dem Vater die Möglichkeit, sich in der Familie zu engagieren, wenn die Partnermonate entsprechend genommen werden." Mögliche Weiterentwicklungen könnten mehr zeitliche Optionen für beide Partner sein. Mit Blick auf die Inflation und die allgemeine Lohnentwicklung halten die Experten auch eine Erhöhung von Mindest- und Höchstbetrag für nötig, die seit der Einführung im Jahr 2007 nicht angepasst wurden. Es gebe in einigen Wahlprogrammen Hinweise darauf, dass sich die Parteien nach der Wahl mit diesen familienpolitischen Instrumenten beschäftigen wollen. "Das Vereinbarkeitsthema brennt Familien auf den Nägeln."
Juncke sieht das Vorantreiben von besserer Vereinbarkeit als gesamtgesellschaftliche Aufgabe. In einer Beispielrechnung seien Mütter befragt worden, die jetzt Teilzeit arbeiten. Deren Möglichkeiten, ihre Stundenanzahl zu erhöhen, hing häufig davon ab, ob sie "beispielsweise mal einen Tag Homeoffice machen oder ihre Arbeitszeiten anders gestalten können". Wenn diese Mütter nur eine Stunde pro Woche mehr arbeiten würden, entspräche das den Prognos-Berechnungen zufolge einem volkswirtschaftlichen Effekt von 71.000 Vollzeitstellen. Der Arbeitsmarkt und die Qualifikation vieler Eltern gäben mehr Berufstätigkeit her. "Es ist ganz entscheidend, dass die Arbeitswelt auch den Weg weiterverfolgt, im Rahmen ihrer Möglichkeiten Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu unterstützen."
Die Effekte gehen der Studie zufolge weit über die Bekämpfung von Kinderarmut hinaus. "Gerade dann, wenn Familien wissen, dass die Vereinbarkeit gelingt, entscheiden sie sich für Kinder. Davon profitiert auch der Staat dadurch, dass er ein höheres Steuereinkommen generieren kann, dass die Beiträge in den Sozialversicherungen durch mehr Menschen in Erwerbstätigkeit stabilisiert werden und der Fachkräftemangel zumindest in Teilen reduziert wird."
Quelle: ntv.de