Nach dem Terror Wie man die Angst in den Griff bekommt
18.11.2015, 15:38 Uhr
Auch in Deutschland wächst das Sicherheitsbedürfnis.
(Foto: dpa)
Die Bilder aus Paris lassen viele Menschen kaum wieder los. Dann wird in Hannover ein Fußballspiel abgesagt. Angst macht sich breit. Doch sie vergeht auch wieder.
Menschen werden erschossen, während sie im Café sitzen, ein Konzert besuchen oder ein Fußballspiel. Die Bilder von Paris sitzen tief. Plötzlich scheinen die alltäglichen Verrichtungen risikobehaftet, die U-Bahn-Fahrt, ein Kaufhausbesuch, der Bummel über den Weihnachtsmarkt. Selbst Menschen, die sich sonst kaum als ängstlich beschreiben würden, bemerken, dass sie mit einem mulmigen Gefühl durchs Leben gehen.
"Angst ist eine Grundbefindlichkeit", sagt der Psychotherapeut Christian Lüdke n-tv.de. Sie gehört zu unserer Existenz, ist Teil der genetischen Grundausstattung des Menschen. Sie ist eine Alarmreaktion, macht uns aufmerksam und sichert damit oft genug das Überleben. "Die Summe aller Ängste bleibt dabei gleich. Was sich ändert, ist die Angstrichtung. Mal haben wir Angst vor Terror, mal haben wir Angst, den Job zu verlieren, mal davor, unsere Kinder könnten krank werden."
Nach den schrecklichen Vorgängen von Paris erleben die meisten Menschen "eine gefühlte Zunahme der Angst". Durch die realen Attacken gar nicht so weit entfernt, rückt die Angst vor dem Terror auf der Liste möglicher Ängste nach vorn. Ähnliches ließ sich bereits nach den Anschlägen vom 11. September in den USA und später nach den Attacken von London oder Madrid beobachten. Dinge, die wir uns kaum vorstellen konnten, sind geschehen. Das wirkt weit in unser Sicherheitsgefühl hinein und weckt Ängste.
Fliehen, kämpfen, erstarren
"Dazu kommt die Berichterstattung, durch die wir fast in Echtzeit miterleben, was anderswo passiert", erläutert Lüdke. "Damit bekommt das eine ganz andere emotionale Qualität und damit verdichtet sich auch die Angst." Der erste Reflex ist immer noch die Flucht. Menschen prüfen die Möglichkeiten, der Gefahr zu entfliehen und nutzen sie, wenn es möglich erscheint. Die nächste Option ist: Kämpfen. Das gilt auch im übertragenen Sinn, kämpfen kann demnach auch heißen, mehr Lebenszeit oder Energie zu investieren, um das Problem zu bewältigen. Klappt auch das nicht, bleibt noch der "Totstellreflex". "Wenn ich weder fliehen noch kämpfen kann, werde ich von Stresshormonen überflutet und dann lähmt mich die Angst", beschreibt Lüdke diese menschliche Reaktion und nennt sie die "problematischste Lösung".
"Wenn ich so etwas miterlebe, die Angst der Menschen sehe und mich selbst bedroht fühle oder das Gefühl habe, hilflos zu sein, dann werden Stresshormone freigesetzt, Adrenalin, Noradrenalin und körpereigene Opiate." Denken, Fühlen und Handeln werden voneinander entkoppelt, ähnlich wie bei einem Schockzustand. Irgendwann folgt die Erschöpfung, der burn out, möglicherweise sogar die Angst vor der Angst. Von da ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einer Angststörung.
Die meisten Menschen können nach den aufgewühlten Empfindungen der ersten Tage wieder in den Normalmodus zurückschalten. Die Vernunft meldet sich mit kühler Wahrscheinlichkeitsrechnung, der Alltag macht viele Überlegungen ohnehin überflüssig. Zum Arbeitsplatz am anderen Ende der Stadt fährt am schnellsten der ÖPNV, die Konzertkarten waren teuer, beim Fußball trifft man die Kumpels.
Über die Angst reden
Trotzdem rät Lüdke, sich auf das Bauchgefühl zu verlassen. "Dem einen hilft es, gerade ins Konzert oder ins Fußballstadion zu gehen, für den anderen ist es besser, erstmal ein bisschen zu Hause zu bleiben." Die meisten Menschen würden sich früher oder später überwinden und weitermachen wie bisher. Auch dadurch werde das grundlegende Sicherheitsgefühl langsam wieder hergestellt.
Besonders nach Ereignissen wie jetzt in Paris ist es wichtig, sich mit vertrauten Personen darüber auszutauschen, was man gesehen hat und was man fühlt. "Wir haben ähnliche Bedürfnisse, dafür muss sich niemand schämen. Da muss auch keiner stark sein, im Gegenteil." Vielmehr zeige das, "dass wir uns damit auseinandersetzen, dass wir sensibel sind, dass wir uns damit beschäftigen." Gleichzeitig ist dieser Prozess eine kreative Angstbewältigungsstrategie. "Indem wir das tun, überlegen wir ja auch schon Handlungsalternativen." Lediglich Kindern gegenüber rät Lüdke zu Zurückhaltung. Kleine Kinder bis etwa drei Jahren sollten am besten gar nichts davon sehen. Größeren Kindern kann man, wenn sie danach fragen, sachlich erklären, was passiert ist. Wichtig sei aber, ihnen das Gefühl zu vermitteln, dass ihrer Kinderwelt keine Gefahr droht.
Quelle: ntv.de