Kaum Personal, veraltete Technik Ämter drohen gegen Corona zu scheitern
18.08.2020, 20:01 Uhr
Für Urlauber aus Risikogebieten besteht in Deutschland die Pflicht, sich bei Rückkehr testen zu lassen.
(Foto: picture alliance/dpa)
Zwei Wochen mussten manche Urlauber in Bayern auf ihr Testergebnis warten. Die Daten wurden per Hand auf Formulare eingetragen. Wie sollen die Gesundheitsämter derart schlecht ausgestattet die steigenden Fallzahlen bewältigen?
"Wir testen an der Grenze für ganz Deutschland." Ein markiger Satz von Markus Söder, mit dem der bayerische CSU-Ministerpräsident Anfang August massenhafte Tests für Reiserückkehrer ankündigte. Was das Krisenmanagement der Landesregierung einmal mehr unterstreichen sollte, geriet zum Totalausfall: 44.000 Getestete warteten über Tage vergeblich auf ihr Ergebnis. Bei manchen soll es bis zu zwei Wochen gedauert haben. Darunter waren auch über 900 Menschen, die sich nachweislich mit Sars-CoV-2 infiziert hatten. In den Tagen des Wartens und womöglich ohne Symptome könnten sie das Virus an etliche andere weitergegeben haben.
Söders Pandemie-Panne offenbart nicht nur das Versagen auf Landesebene, sondern stellt auch heraus, wie schlecht der Öffentliche Gesundheitsdienst in ganz Deutschland für die kommenden Wochen gerüstet ist. Wochen, in denen sich entscheiden könnte, ob das Corona-Virus in einer zweiten Welle über das Land hereinbricht oder es gelingt, die Verbreitung des Erregers so zu deckeln, dass das gefürchtete exponentielle Wachstum weiter ausbleibt.
Für diese Aufgabe seien die Gesundheitsämter nicht ausgerüstet, "weder digital noch personell", sagt dazu Ute Teichert, die Verbandsvorsitzende des Öffentlichen Gesundheitsdienstes ntv.de. Alles, was an Personalaufstockung vorgesehen sei, befinde sich erst im Planungsstadium. "Die Umsetzung ist für fünf Jahre angelegt und wird noch dauern. Sie wird auf jeden Fall zu spät kommen, wenn jetzt die Zahlen weiter so steigen."
Während des Lockdowns und stark steigender Fallzahlen im Frühjahr hatten zum Teil Bundeswehrsoldaten oder Medizinstudenen, aber auch viele weitere Freiwillige die Ämter unterstützt. Der Lockdown, der viele daran hinderte zu arbeiten, setzte Ressourcen frei, weil viele "dadurch Zeit hatten, sich bei uns einzusetzen", so Teichert. Das werde schwierig, wenn Deutschland dieses Mal das öffentliche Leben aufrechterhalte.
Per Hand die Formulare ausfüllen
Dass aber die Personaldecke keineswegs alles entscheidend ist, hat der bayerische Testkollaps eindrucksvoll bewiesen: Das Rote Kreuz, das innerhalb eines Tages fünf Teststationen im Auftrag des Freistaats in Betrieb nehmen musste, erklärte, die Daten der Reisenden seien mit Formularen per Hand erfasst worden. Eine Software für die digitale Verarbeitung der Daten habe nicht zur Verfügung gestanden.
Dabei gibt es diese Software durchaus, bereits 2014 entwickelt, als Westafrika verzweifelt gegen das tödliche Ebola-Virus kämpfte. Das Helmholtz-Institut in Braunschweig schuf eine Anwendung, die es armen Ländern erlaubt, mit wenig Aufwand ein Infektionsgeschehen zu überwachen und mögliche Ausbrüche zu erkennen. Als Sars-CoV-2 nach Deutschland kam, entwickelten die Forscher eine Version, die speziell auf die Anforderungen durch das neue Virus im Lande abgestimmt war. Die Software steht deutschlandweit allen Gesundheitsämtern zur Verfügung.
Die bayerischen Ämter hingegen versuchen seit Tagen, unleserliche Telefonnummern und Adressangaben auf Papier-Formularen zu entziffern. "Wir wussten schon immer, dass der Gesundheitsdienst in Deutschland mit veralteter Technik arbeitet. Da fehlen die Geräte, auf denen man ein solches Programm überhaupt installieren könnte", sagt Christina Haubrich, Sprecherin für Gesundheit der Grünen-Fraktion im bayerischen Landtag. Sie sieht es kritisch, dass Landeschef Söder Initiativen durchpeitsche, ohne sie zuvor mit seinen Fachleuten abzustimmen.
Andere Länder testen weniger als Bayern
"Er wollte von heute auf morgen die Rückkehrer-Tests. Und als das mit Professionellen so schnell nicht möglich war, hat er Ehrenamtliche vom Roten Kreuz damit betraut. Ich hätte mir von Söder ein besseres Projektmanagement gewünscht", sagt Haubrich. Inzwischen hat ein privates Unternehmen die neuen Teststationen an grenznahen Autobahnen, an Flughäfen und zwei Hauptbahnhöfen übernommen. Die Datenverarbeitung der Testpersonen läuft digital.
Doch möchte die grüne Gesundheitsexpertin Söders Vorstoß nicht komplett verdammen: Immerhin bemühe der sich wenigstens, in großem Umfang zu testen. Aus ihrer Sicht wäre es klug gewesen, das Problem für ganz Deutschland anzugehen - im Bundesgesundheitsministerium.
Schließlich kommen an Flughäfen, vor allem aber über die Landgrenze nicht nur Bürger des jeweiligen Bundeslandes an. Darum profitieren auch andere Länder davon, wenn infizierte Bürger bei der Rückreise in die Bundesrepublik bereits getestet wurden und das Virus an ihrem Wohnsitz nicht weiter verbreiten. "Auch über Baden-Württemberg kommen Urlauber zurück, aus den Niederlanden reisen viele über Nordrhein-Westfalen ein. Da passiert an Tests deutlich weniger als in Bayern", sagt Haubrich. "Wer kaum testet, läuft auch nicht Gefahr, mit der Aufgabe überfordert zu werden."
Freiwillige Helfer für den nächsten Ansturm
Doch woher so schnell das neue Personal nehmen, wenn es deutschlandweit in fast allen der knapp 300 Landkreise in den Gesundheitsämtern knirscht? Ute Teichert vom Verband des Öffentlichen Gesundheitsdienstes hofft kurzfristig wieder auf freiwillige Helfer, warnt jedoch davor, die Städte und Kommunen mit ihrem Problem allein zu lassen.
Mit einer bundesweiten Plattform, auf der sich Freiwillige registrieren und auch ihre Qualifikation angeben würden, könnte man aus ihrer Sicht die Verteilung von Helfern besser managen. "Wenn man das ganze etwas größer denkt, könnte man auch regeln, wer welche Schulungen für die Aufgaben bekommt. Und wenn in einem Landkreis Bedarf ist, könnte man schauen: Wer hat sich vielleicht aus dem Nachbarkreis gemeldet? Das schaffen Sie nicht mit lauter kleinen Lösungen vor Ort."
Quelle: ntv.de