Orangen, Döner, Stefan Raab Diese unbekannte Partei könnte in Brandenburg regieren
20.09.2024, 20:12 Uhr Artikel anhören
Knallig orange: Die BVB/Freien Wähler könnten die Fünf-Prozent-Hürde verpassen, haben aber trotzdem gute Chancen auf Landtagsmandate - und vielleicht klappt es sogar mit der Regierungsbeteiligung.
(Foto: IMAGO/Future Image)
Landet die AfD vor der SPD? Fliegen die Grünen aus dem Landtag? Wie stark wird das BSW? Das sind einige der zentralen Fragen vor der Landtagswahl in Brandenburg diesen Sonntag. Dabei fliegt eine Partei unter dem Radar, die bundespolitisch kaum bekannt ist, in Brandenburg aber Königsmacher werden kann.
Nach Sachsen und Thüringen wird es auch in Brandenburg kompliziert. Das ist schon vor der Landtagswahl am Sonntag so gut wie unvermeidbar. Der Grund ist die absehbar schwierige Regierungsbildung. In Brandenburg könnte eine Partei zum Zünglein an der Waage werden, die bundesweit einigermaßen unbekannt ist und es so nur in Brandenburg gibt.
Die Rede ist von der Partei BVB/FW. Das etwas sperrige Kürzel steht für Brandenburger Vereinigte Bürgerbewegungen und Freie Wähler. Zur Landtagswahl 2009 hatte es erstmals eine Zusammenarbeit gegeben, weil das Brandenburger Wahlrecht erlaubt, dass Parteien in einem Bündnis gemeinsam zur Wahl antreten. Im Bundesland zwischen Prignitz und Oder-Spree, zwischen Uckermark und Elbe-Elster steht das Bündnis seit der Landtagswahl 2014 als eigenständige Partei auf dem Wahlzettel.
2010 waren die BVB kurzzeitig in den bundesweiten Medien, als sie Stefan Raab zum Bundespräsidenten machen wollten. Nach dem Sieg von Lena war das "ein ernst gemeinter Vorschlag", sagte der Vorsitzende Péter Vida damals. Danach ist es wieder ruhig geworden um das Bündnis, das 2011 offiziell zur Partei BVB/FW wurde. Mit den vor allem aus Bayern bekannten Freien Wählern um Parteichef Hubert Aiwanger wird zwar kooperiert, aber ein Teil der Bundesvereinigung Freie Wähler ist die Brandenburger Variante offiziell nicht.
Bei der Wahl 2019 hatte die Partei 5,05 Prozent der Stimmen geholt und damit hauchdünn den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde geschafft. In den letzten Umfragen vor dem Wahlsonntag liegen "Die Orangen" - so nennt sich die Regionalpartei - aber knapp unter der entscheidenden Marke. Parteichef Péter Vida ist trotzdem überzeugt vom Wiedereinzug in den Landtag. "2019 wurden wir bei drei Prozent gemessen, haben dann fünf Prozent bekommen. Wir als Freie Wähler schneiden immer besser ab in der Wahl selbst als in Umfragen, weil wir unsere regionalen Stärken haben, die manche Umfragen auch nicht richtig abbilden können", sagte Spitzenkandidat Vida bei Phoenix. "Wir werden deutlich über fünf Prozent landen."
Besonderes Wahlrecht in Brandenburg
Sollte das doch nicht klappen, sind die Freien Wähler aber nicht automatisch raus. Dann kommt es auf die Erststimmen an. In Brandenburg wird die Grundmandatsklausel sehr großzügig ausgelegt. Gemäß Landeswahlgesetz zieht eine Partei auch dann in den Landtag ein, wenn sie zwar weniger als fünf Prozent der Zweitstimmen holt, dafür aber ein Direktmandat gewinnt. Das kann die Partei schaffen.
Péter Vida wurde vor fünf Jahren im Landkreis Barnim direkt in den Landtag gewählt. Sein Erfolgsrezept: Haustürwahlkampf, um nah dran zu sein an den Bürgerinnen und Bürgern. Orangen, um der Partei eine Farbe und Wiedererkennung zu geben. Dafür verteilt er mit seinen Parteikollegen im Wahlkampf auch mal Orangensaft auf Marktplätzen. Und "Mittepopulismus" - so nennt Vida die Politik seiner Partei. "Unsere Definition von Populismus ist, zu sagen, was Sache ist, aber auch zu wissen, wie die Sache geht", hat Vida dem "Tagesspiegel" erklärt. Ein Beispiel sei die "Dönerpreisbremse", findet Vida, der im Wahlkampf Dönergutscheine an junge Leute verteilt hat. "Alle reden darüber, wir machen es."
Kommt Vidas Mittepopulismus bei den Wählerinnen und Wählern gut an, könnte die Partei zum Königsmacher für SPD und CDU werden.
Die Ausgangslage sieht so aus: Derzeit bilden SPD, CDU und Grüne die brandenburgische Landesregierung. Ministerpräsident Dietmar Woidke will als Regierungschef aber nur weitermachen, wenn seine SPD vor der AfD landet. Das ist möglich, aber kein Selbstläufer, weil die AfD in den Umfragen knapp vorne liegt. Bleibt das am Wahlsonntag so, will Woidke abdanken.
In dem Fall könnte die AfD versuchen, eine Regierung zu bilden. Das wird ihr aber höchstwahrscheinlich nicht gelingen, weil keine Partei mit ihr regieren will. Alle Parteien haben eine Koalition mit der AfD ausgeschlossen.
SPD und CDU brauchen womöglich weiteren Koalitionspartner
Die neue Regierung wird also wohl wieder - ob mit oder ohne Woidke - von der SPD angeführt werden. Die CDU dürfte mit dabei sein - ob es für ein Zweier-Bündnis mit der SPD reicht, ist aber fraglich. Die beiden Parteien könnten auf einen dritten Partner angewiesen sein.
Das könnten wieder die Grünen sein, die aber um den Einzug in den Landtag zittern müssen. In den Umfragen stehen sie knapp unter fünf Prozent. Deshalb hat Benjamin Raschke, zusammen mit Antje Töpfer Spitzenkandidat der Grünen, im rbb auch für die Stimmen in einem bestimmten Wahlkreis geworben. "Wenn Sie verhindern wollen, dass dieses Land immer weiter nach rechts kippt, dann geben Sie uns in ganz Brandenburg die Zweitstimme und wählen Sie in Potsdam Marie Schäffer."
Marie Schäffer hat 2019 in Potsdam das erste grüne Direktmandat in der Brandenburger Geschichte geholt. Verteidigt sie es, wären auch die Grünen weiter im Landtag vertreten, egal wie die Partei bei den Zweitstimmen abschneidet. Doch die Aussichten sind nicht die besten. "Das wäre eine sehr große Überraschung", schreibt die "Märkische Allgemeine Zeitung".
Weil die Grünen aus dem Parlament zu fliegen drohen, ist eine Fortsetzung der amtierenden Dreier-Koalition unwahrscheinlich. Und weil die Linken wohl auch aus dem Landtag fliegen und die FDP chancenlos ist, bleiben nicht mehr viele Parteien übrig. AfD, SPD, CDU und das BSW wären die einzigen Parteien im Brandenburger Landtag, und die einzige Möglichkeit einer SPD-geführten Landesregierung wäre eine Koalition mit der CDU und dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Es sei denn, die Grünen oder "die Orangen" holen ein Direktmandat.
Das haben die BVB/Freien Wähler nicht nur 2019 mit Péter Vida geschafft, sondern auch 2014, als der inzwischen ausgetretene Christoph Schulze im Landtagswahlkreis Teltow-Fläming III die meisten Erststimmen einfuhr. Dieses Mal rechnet sich die orange Partei sogar in mehr als einem Wahlkreis Chancen auf das Direktmandat aus.
Freie Wähler als Alternative zum BSW?
Vor allem eine Regierung aus SPD, CDU und Freien Wählern erscheint mit Blick auf die letzten Umfragen vor der Wahl deshalb gar nicht so unwahrscheinlich. Eine rot-schwarz-orangene Koalition wäre ein Novum in der deutschen Geschichte.
Péter Vida jedenfalls kann sich alles außer AfD und Grüne als Koalitionspartner vorstellen. Mit der "rechtspopulistischen, teilweise rechtsextremen AfD" sei keine Koalition denkbar. Genauso wenig wollen sich die BVB/Freien Wähler auf die Grünen einlassen. "Weil es hier erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Energiepolitik, aber auch auf infrastrukturelle Fragen gibt", erklärt Vida bei Phoenix. "Ansonsten sind wir bereit, mit den demokratischen Partnern in Gespräche zu gehen. Und eines ist klar: Nur mit BVB/Freie Wähler im Landtag gibt es eine Kraft der Mitte, die eine Koalition der Mitte auch ermöglicht."
Womöglich sehen das nach der Wahl auch SPD und CDU so, falls es für ein Zweier-Bündnis nicht reicht und die einzige Alternative zu den BVB/Freie Wählern das Bündnis Sahra Wagenknecht ist. Dann könnte die Stunde der "Mitte-Populisten" schlagen.
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Quelle: ntv.de