Politkrimi um Ramelow "Bodo-Mörder" gesucht
04.12.2014, 15:39 Uhr
Will erster linker Ministerpräsident werden: Bodo Ramelow.
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Das Schicksal von Bodo Ramelow und Rot-Rot-Grün hängt in Thüringen an einer Stimme. Vor der Wahl ist die Lage chaotisch: Die CDU verwirrt mit taktischen Manövern, bei den Sozialdemokraten werden böse Erinnerungen wach.
Glaubt man den rot-rot-grünen Protagonisten, dann ist der Drops gelutscht. "Es wird am Freitag reichen", sagt Thüringens SPD-Chef Andreas Bausewein. "Ich gehe vom ersten Wahlgang aus, unsere 46 Stimmen stehen", sagt Bodo Ramelow - der Mann, der neuer Ministerpräsident Thüringens werden will. Wird 25 Jahre nach dem Mauerfall erstmals ein Politiker der Linken Regierungschef eines deutschen Bundeslandes?
Genau daran scheiden sich die Geister im Freistaat. In einem gemeinsamen Aufruf fordern die Ramelow-Gegner die Thüringer SPD auf, das Bündnis nicht einzugehen. Sie warnen vor einer "Machtergreifung der SED". Unter den Unterzeichnern befindet sich ehemals einflussreiche Sozialdemokraten wie der inzwischen aus der Partei ausgetretene Ex-Bundesminister Wolfgang Clement sowie die früheren Bundestagsabgeordneten Gunther Weißgerber und Stephan Hilsberg. Am Donnerstag, am Vorabend der Abstimmung, wollen sie vor dem Landtag gegen Rot-Rot-Grün demonstrieren.
Ramelow hat an diesem Freitag vor allem ein Problem. Zwar passierte das Dreierbündnis problemlos die Mitgliederentscheide aller drei Parteien. Aber ein erhebliches Dilemma bleibt: Linke, SPD und Grüne kommen gemeinsam nur auf 46 der 91 Sitze. Sollte auch nur ein Abgeordneter aus den eigenen Reihen ihm die Gefolgschaft verweigern, könnte die Ära Ramelow enden, bevor sie richtig begonnen hat.
Kurz vor dem Finale werden daher unschöne Erinnerungen wach. Zum Beispiel an Heide Simonis. Die damalige SPD-Ministerpräsidentin Schleswig-Holsteins verfügte vor ihrer Wiederwahl im März 2005 eigentlich über eine Stimme Mehrheit. Dennoch scheiterte sie in vier Wahlgängen, weil ein Abgeordneter ihr beharrlich seine Stimme verweigerte. Bis heute ist nicht bekannt, wer der "Heide-Mörder" war. Nach Simonis' Pleite wurde schließlich CDU-Mann Peter Harry Carstensen zu ihrem Nachfolger gewählt.
"Falls es solche Leute gibt"
Ähnliche Erfahrungen machte Andrea Ypsilanti. Die hessische SPD-Kandidatin, die ein Bündnis mit der Linkspartei im Wahlkampf ausgeschlossen hatte, wollte 2008 eine rot-grüne Minderheitsregierung unter Tolerierung der Linken eingehen. Doch der Plan ging nicht auf, weil vier SPD-Leute die Koalition nicht mittragen wollten. Bei den Neuwahlen einige Monate später trat Ypsilanti nicht mehr an. Ramelow beteuert, sich nicht mit den Schicksalen der beiden Politikerinnen zu beschäftigen. Dabei ist die Ausgangssituation durchaus vergleichbar. In Thüringen würde ein "Bodo-Mörder" genügen, um Ramelow aufzuhalten.

Sie hat schon in Thüringen regiert, er würde offenbar auch ganz gern: Lieberknecht und Mohring.
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Vor der Wahl berichten die Koalitionäre in spe von offenen Beeinflussungsversuchen aufseiten der CDU. Einigen Abgeordneten seien sogar Ministerposten angeboten worden. Ob die CDU gezielt Rote und Grüne zum Putsch überredet? Fraktionschef Mike Mohring muss lachen, als n-tv.de ihn telefonisch erreicht. Nein sagt er nicht. Nur so viel: "Falls es solche Leute gibt, wären sie klug, es nicht vorher zu sagen." Er setzt auf genügend "aufrechte Sozialdemokraten und grüne Bürgerrechtler", die nicht Ramelow wählen.
Welche Rolle die CDU am Freitag spielt, ist dabei nach wie vor offen. Zunächst wollte die Partei einen Gegenkandidaten zu Ramelow aufstellen. Am Dienstagabend ließ man jedoch verlauten, im ersten Wahlgang nicht gegen den Linken antreten zu wollen. Wie man sich in einem möglichen zweiten oder dritten Wahlgang verhält, in dem keine 48-stündige Anmeldefrist gilt, lässt sich die CDU offen. Ex-Regierungschef Bernhard Vogel schlägt vor, im dritten Wahlgang den parteilosen Ex-Rektor der Jenaer Uni, Klaus Dicke, aufzustellen. Mohring soll die Idee gutheißen. Doch ob die Option dann tatsächlich gezogen wird? Die Christdemokraten pokern, nur so viel steht fest: Die bisherige Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht will nicht mehr antreten.
Ihr möglicher Nachfolger Ramelow braucht im ersten und zweiten Wahlgang eine absolute Mehrheit unter allen 91 Abgeordneten. Über die korrekte Auslegung der Landesverfassung im dritten Wahlgang streiten die Parteien seit Wochen. Nach einem Gutachten im Auftrag von CDU-Landtagspräsident Christian Carius braucht Ramelow ohne Gegenkandidat mehr Ja- als Nein-Stimmen. Ein im Auftrag von SPD-Justizminister Holger Poppenhäger erstelltes Gutachten kam jedoch zu dem Schluss, dass Ramelow als einziger Kandidat auch mit nur einer einzigen Ja-Stimme gewählt wäre. Carius will nun den Landtag am Freitag vor einem möglichen dritten Wahlgang über die Auslegung der Verfassung entscheiden lassen.
Telefonterror und lockere Radmuttern
Doch an einem ändert das nichts: Die Nervosität ist groß. Linke und Sozialdemokraten beklagen Drohungen gegenüber Abgeordneten und ihren Familien, an den Autos einiger Politiker seien sogar Radmuttern gelockert worden. Auch für Ramelow ist die psychische Belastung hoch. Nachdem im November ein Blitzer-Bild mit ungepixeltem Nummernschild in der "Bild"-Zeitung erschien, ließ er aus Sorge um die Gesundheit seiner Frau das Kennzeichen austauschen. Auch Telefonterror musste der 58-Jährige über sich ergehen lassen.
Kurz vor dem Showdown im Erfurter Landtag meldete die "Welt" am Wochenende eine weitere Enthüllung, die Ramelows Glaubwürdigkeit erschüttern sollte: So sei dieser zwischen August und Oktober diesen Jahres Geschäftsführer einer parteinahen Grundstücksgesellschaft gewesen - gemeinsam mit einem ehemaligen Stasi-Offizier, der vor der Wende in Erich Mielkes Spionageabteilung tätig war.
Ramelow, der vor einigen Wochen noch versprochen haate, niemanden in sein Kabinett zu berufen, der mit dem Sicherheitssystem der DDR zusammengearbeitet hat, bestätigte diese Tätigkeit. Diese sei im Rahmen seiner Vorstandsmitgliedschaft in der Rosa-Luxemburg-Stiftung erfolgt, die er inzwischen niedergelegt habe.
Die Meldung um Ramelow und den früheren Stasi-Hauptmann bestätigte einmal mehr: Die vergangenen Wochen im Erfurter Politbetrieb ähneln dem Drehbuch einer turbulenten Seifenoper. Am Freitag könnte es damit vorbei sein - vorausgesetzt, die 46 Stimmen stehen wirklich.
Quelle: ntv.de