Politik

Interview mit einem Juristen "Böhmermann nichts Böses unterstellen"

Ging es Böhmermann wirklich nur darum, den türkischen Präsidenten zu beleidigen?

Ging es Böhmermann wirklich nur darum, den türkischen Präsidenten zu beleidigen?

(Foto: dpa)

Böhmermanns Erdoğan-Gedicht bezeichnet der Jurist Alexander Thiele als provokant, aber nicht strafbar. Es bringt ihn gar zum Schmunzeln. Ganz im Gegensatz zur Reaktion der Kanzlerin auf die Aktion.

n-tv.de: Darf Satire alles?

Alexander Thiele: Nein. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts darf die Satire sehr viel, aber nicht alles. Sie findet Grenzen vor allem bei den Persönlichkeitsrechten Dritter.

Ist Böhmermanns Schmähgedicht durch die Kunst- und Meinungsfreiheit gedeckt?

Nach meiner Auffassung ist das Vorgehen Böhmermanns insgesamt von der Meinungsfreiheit gedeckt, aber eben nur aufgrund der Gesamtumstände.

Prof. Dr. Alexander Thiele ist Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin.

Prof. Dr. Alexander Thiele ist Professor für Öffentliches Recht und Europarecht an der Freien Universität Berlin.

Es gibt Juristen, die sagen, dass es Böhmermann allein darum gegangen sei, den türkischen Präsidenten herabzuwürdigen. Sie stufen die Show deswegen als verbotene Schmähkritik ein. Von welchen Gesamtumständen sprechen Sie?

Die Lesart dieser Juristen ist durchaus nachvollziehbar. Aber es gibt auch andere Lesarten. Ich spreche dabei vom edukatorischen Kontext von Böhmermanns Schmähgedicht. Und verfassungsrechtlich gesprochen gilt hier nun das Günstigkeitsprinzip.

Anders ausgedrückt: Im Zweifelsfall für die Satire?

Dieser Satz war zwar vom Bundesverfassungsgericht noch nicht zu hören. Aber: Wir dürfen Böhmermann nichts Böses unterstellen. Wenn eine Aussage in mehrere Richtungen auslegbar ist, müssen wir eine günstige für ihn wählen.

Lassen Sie uns ein wenig mehr über jenen Gesamtkontext, von dem Sie sprechen, reden.

Das Gedicht allein ist selbstverständlich Schmähkritik. Das hat Böhmermann ja auch nie bestritten. Er hat es gar selbst so bezeichnet. Entscheidend ist, dass er das Gedicht im Studio in einen Diskurs über die Grenzen der Meinungsfreiheit eingebettet hat. Um diese Grenzen aufzuzeigen, machte er sich Herrn Erdoğan zunutze.

Wäre das auch mit jedem anderen Staatsoberhaupt möglich gewesen?

Ziemlich sicher nicht. Man kann nicht einfach irgendjemanden zum Lehrbeispiel für Schmähkritik machen. Das muss sich keiner gefallen lassen. Es reicht nicht, nur einen Disclaimer vorzuschicken, um Menschen beliebig zu beleidigen. Im Falle Erdogans gilt aber: Der Diskurs über die Grenzen der Meinungsfreiheit hat mit der Sendung von "Extra 3" ("Erdowie, Erdowo, Erdogan") ja schon viel früher begonnen. Erdogan hat mit seiner Reaktion darauf ein aus unserer Perspektive gänzlich abwegiges Verständnis von Meinungsfreiheit demonstriert.

Dass Erdogan ein fragwürdiges Verständnis von Meinungsfreiheit hat, ist ja keine Offenbarung. Wo ist der "edukatorische" Nutzen, von dem sie sprechen?

Was wirklich Schmähkritik ist, wer weiß das schon? Natürlich ist der Begriff bekannt, aber Böhmermann hat hier sehr plakativ und drastisch deutlich gemacht, worum es wirklich geht. In Zukunft wird sicher niemand mehr glauben, dass so etwas wie die "Extra 3"-Sendung in Deutschland untersagt wäre.

Das satirische Gesamtwerk Böhmermanns geht womöglich weit über diesen Aspekt hinaus. Wahrscheinlich hat er einige Reaktionen auf sein "Schmähgedicht" antizipiert und wollte deutlich machen, in was für eine vertrackte Lage sich die Bundesregierung durch den EU-Türkei-Deal manövriert hat.

Da begibt man sich natürlich in den Bereich der Spekulationen. Aber ich finde diese Spekulationen nicht abwegig. Böhmermann wollte sicher provozieren. Das hat er geschafft. Er wollte aus meiner Perspektive auch aufklären. Man kann sicher darüber streiten, in welchem Verhältnis Provokation und Aufklärung letztlich stehen. Aber Böhmermann klärt ganz sicher auch auf. Möglicherweise, und das wäre dann noch ein zusätzlicher sachlicher Gehalt seiner Aktion, wollte er zudem auf die seltsame Abhängigkeit hinweisen, in die sich die Bundesregierung begeben hat. Auch das hat er geschafft.

Ob gewollt oder nicht: Die Bundesregierung muss sich nun irgendwie zu dem Fall verhalten. Berlin muss entscheiden, ob sie dem Strafverlangen Erdogans nachkommt. Was raten Sie Angela Merkel?

Die Bundesregierung hätte das Problem ganz schnell und unkompliziert lösen können und müssen - indem sie auf die Justiz verweist, ohne inhaltlich auf das Machwerk Böhmermanns einzugehen. Die Bundesregierung hat über ihren Sprecher aber schon verlautbaren lassen, dass sie das Gedicht für "bewusst verletzend" und damit für eine strafbare Handlung hält, bevor der Strafantrag der Türkei überhaupt da war. Wenn sie jetzt dem Strafverlangen entspricht, muss der Eindruck entstehen, dass sie es nur wegen Erdogan macht. Deswegen kann ich ihr jetzt nur noch raten, dass sie sich demonstrativ für die Meinungsfreiheit ausspricht und keine Ermächtigung für ein Strafverfahren erteilt.

Dass die Kanzlerin überhaupt über die Zulassung eines Verfahrens entscheiden muss, erstaunt viele. Paragraf 103, der die Grundlage dafür ist, stammt ursprünglich noch aus Zeiten des Kaiserreichs. Wird es Zeit, ihn abzuschaffen?

Ich bin da emotionslos. Was die Bundesregierung erlebt, kann man dem Paragrafen nicht vorwerfen. Sie hat sich selbst in diese Lage gebracht. Das war ungeschickt, wenn nicht gar unüberlegt. Ich will nicht abstreiten, dass es Situationen geben kann, in denen es sinnvoll ist, dass die Bundesregierung intervenieren kann. Ich glaube aber, so wie SPD und Grünen auch, dass diese Norm in der Regel keine wirkliche Rolle mehr spielt. Eine private Beleidigung kann über andere Paragrafen ja unabhängig vom 103 vor Gericht gebracht werden.

Wie fanden Sie eigentlich den Beitrag von Böhmermann?

Als Jurist ist das natürlich völlig zweitrangig. Ich fand das Gedicht für sich genommen ziemlich drüber. Den Beitrag insgesamt fand ich aber innovativ. Das hat jetzt wirklich keine rechtliche Relevanz, aber irgendwie hab ich schon geschmunzelt.

Mit Alexander Thiele sprach Issio Ehrich

Quelle: ntv.de

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