Klimagipfel in Paris beginnt Das Treffen der Gefangenen
30.11.2015, 12:20 Uhr
US-Präsident Obama (l.) und Chinas Präsident Jinping sind besonders wichtig. Ihre Staaten sind die größten Emittenten von klimaschädlichen Gasen.
(Foto: AP)
Der Klimagipfel in Paris beginnt und die Aussichten auf einen Erfolg sind so groß wie seit Jahren nicht. Es gilt allerdings noch, ein grundsätzliches Dilemma zu überwinden.
Gernot Klepper bemüht die Spieltheorie, um die Ausgangslage der Klimakonferenz in Paris zu beschreiben. Der Wirtschaftswissenschaftler bezeichnet den weltweiten Kampf gegen den Klimawandel als "klassisches Gefangenendilemma".
Dabei geht es um ein Szenario, in dem die Mitglieder einer Verbrecherbande in Isolationshaft sitzen. Jedes Mitglied verspricht sich Strafmilderung, wenn es gegen seine Komplizen aussagt. Doch wenn alle tun, was ihnen individuell vorteilhaft erscheint, kriegen alle die Höchststrafe.
Bezogen auf die Klimakonferenz heißt das laut Klepper: "Jeder Staat hat einen Anreiz, von den Emissionsminderungen der anderen zu profitieren, aber die eigenen Maßnahmen so klein wie möglich zu halten." Das Ergebnis: Die Welt tut nicht genug, um den Klimawandel zu bekämpfen. Die Höchststrafe: verheerende Umweltphänomene, die die Existenz von zig Millionen Menschen gefährden.
An diesem Montag beginnen die knapp zweiwöchigen Verhandlungen über einen neuen Klimavertrag in Paris. 150 Staats- und Regierungschefs, darunter Kanzlerin Angela Merkel, US-Präsident Barack Obama und sein russisches Gegenüber Wladimir Putin, eröffnen sie, indem sie ihre Visionen und Ziele beim sogenannten Leader Event präsentieren. Die Aussichten, dass am Ende eine Einigung steht, sind so gut wie lange nicht mehr. Zumindest auf dem Papier. Denn entscheidend ist, dass die Staaten einen Weg finden, um das beschriebene Gefangenendilemma zu überwinden.
Sanktionen sind ein Tabu
Die Lage ist besser als vor früheren Konferenzen, weil sich mehr als 180 der 195 Staaten der Vereinten Nationen schon vor dem Gipfel zu nationalen Klimazielen bekannt haben. Sie machen 95 Prozent der Emittenten des Klimakillers CO2 aus. Das Problem ist nur: Diese Bekenntnisse - sie heißen Intended Nationally Determined Contributions (INDCs) - sind freiwillig. Bisher reichen sie bestenfalls aus, die Erderwärmung auf 2,7 Grad zu begrenzen. Ziel sind aber 2 Grad, denn Klimaexperten rechnen bei einem höheren Anstieg damit, dass in der Natur Prozesse in Gang geraten, die durch den Menschen nicht mehr zu kontrollieren sind.
Alle Staaten haben Ziele formuliert, die sie sich zutrauen, und hoffen darauf, dass es die anderen Staaten schon richten werden. Die Eigeninteressen sind dabei vor allem Wirtschaftsinteressen. Um die Energiewende umzusetzen, müssen nicht nur Hunderte Milliarden Dollar in neue Technologien investiert werden, sondern auch Öl und Gas im Wert von zig Milliarden Dollar im Boden bleiben. Vor allem Schwellen- und Entwicklungsländer fürchten um ihr Wachstum und verkennen, dass es um ihre Wirtschaft wesentlich schlechter bestellt sein wird, wenn die Temperatur um mehr als zwei Grad steigt und sich die Welt in einen menschenfeindlichen Planeten verwandelt.
Die Bundesregierung, die lange als Vorreiter des internationalen Klimaschutzes galt, setzt deshalb auf eine Reihe von Maßnahmen, die das Gefangenendilemma der Klimapolitik überwinden sollen:
- Zusätzlich zu den INDCs soll im Abschlussdokument der Konferenz das Ziel der Dekarbonisierung bis zum Ende des Jahrhunderts stehen, der Verzicht auf Öl, Gas und Kohle.
- Die INDCs sollen alle fünf Jahre überprüft und angepasst werden. Dank eines "Ambitionsmechanismus" sollen die Ziele sich immer stärker den tatsächlich notwendigen Einsparungen annähern.
- Die Klimaziele sollen endlich transparent werden. Bisher liegen den nationalen Vorhaben verschiedene Messkriterien und Rahmenbedingungen zu Grunde, die einen direkten Vergleich und darauf basierende Berechnungen erschweren.
Ob sich die Bundesregierung mit diesen Zielen durchsetzt, ist ungewiss. Schwer wird es zum Beispiel, die Vereinigten Staaten auf diesem Weg mitzunehmen. Der demokratische Präsident Obama will zwar beim Klimaschutz vorankommen, er hofft aber auf einen Deal, den er am Kongress vorbeibugsieren kann. Der ist von Republikanern besetzt, von denen etliche den Klimaschutz nicht ernst nehmen. Die Golfstaaten fürchten wiederum vor allem darum, dass sie ihr Öl nicht mehr zu Geld machen können.
Darüber, Sanktionen zu verhängen, wenn ein Staat seine INDCs nicht erfüllt, wurde angesichts der sensiblen Gemüter in vielen Staaten bisher nicht einmal öffentlich gesprochen.
Deutschland hängt noch an der Kohle
Wie viel Druck Deutschland am Ende aufbauen kann, ist ungewiss. Die Bundesrepublik hat immer größere Probleme, ihre Vorreiterrolle glaubhaft zu verkörpern. Der Abgas-Skandal rund um den größten deutschen Autobauer VW machte weltweit Schlagzeilen. Vor allem aber droht Deutschland an den eigenen Klimazielen zu scheitern.
Bis 2020 soll der Ausstoß klimaschädlicher Gase um 40 Prozent sinken. In den vergangenen Jahren stieg er mitunter aber und lag Berechnungen des Umweltbundesamtes im Jahr 2014 lediglich bei 27 Prozent im Vergleich zum Referenzjahr 1990. In Kreisen der Bundesregierung ist klar, dass es bestenfalls für eine "Punktlandung" 2020 reicht.
Umweltorganisationen kritisieren vor allem, dass die Bundesregierung trotz dieser Entwicklung noch keinen klaren Plan für den Ausstieg aus der Kohleenergie vorgelegt hat. Bundesumweltminister Barbara Hendricks deutete kurz vor dem Gipfel in Paris zwar an, dass sie sich direkt nach der Konferenz daran machen wolle. Sie sprach von einem Ausstieg in den nächsten 20 bis 25 Jahren. Doch bisher äußerte sich der Rest der Bundesregierung nicht dazu. In ihrer eigenen Partei, der SPD, musste Hendricks sich einen Alleingang vorwerfen lassen. Ein Ausbruch aus dem Gefangenendilemma der Klimapolitik könnte es sein, wenn Kanzlerin Merkel den Gipfel nutzen würde, um die Pläne ihrer Ministerin zu konkretisieren.
Quelle: ntv.de