Politik

Drama Queen SPD Das total verrückte Jahr des Martin Schulz

Am 25. September, dem Tag nach der Bundestagswahl, muss Martin Schulz erklären, wie das passieren konnte.

Am 25. September, dem Tag nach der Bundestagswahl, muss Martin Schulz erklären, wie das passieren konnte.

(Foto: picture alliance / Christian Cha)

Anfang 2017 genießt die SPD eine Euphorie, die sie lange nicht erlebt hat. Doch die zweite Jahreshälfte verläuft weniger schön für Martin Schulz und seine Partei.

Es klingt so, als wüsste Thomas Oppermann längst Bescheid. "Eines kann ich jetzt schon sicher sagen: Unser Kanzlerkandidat wird keine Verlegenheitslösung, die allein auf der Bühne steht und den Bürgern die Antwort schuldig bleibt, wohin die Reise geht", sagt der SPD-Fraktionschef am 5. Januar. "Sigmar Gabriel bringt alle Voraussetzungen dafür mit, ein guter Kanzler für Deutschland zu sein." Gabriel ist Anfang Januar der einzige, der schon weiß, wer es wird. Ein paar Tage später setzt er den fulminanten Auftakt für ein Jahr, das für die SPD mit einer großen Euphorie beginnt - und mit noch größerer Frustration endet.

Aber von vorn: Am Abend des 24. Januar will die SPD-Spitze eigentlich über die Kür ihres Kanzlerkandidaten beraten. Es kommt anders. Am frühen Nachmittag tauchen in sozialen Medien Fotos auf, die das Cover des neuen "Stern" zeigen. Darauf: Gabriels Gesicht und die Zeile "Der Rücktritt". Vor Beginn der SPD-Fraktionssitzung sorgt die Nachricht für Unruhe. Die K-Frage ist entschieden, die Abgeordneten erfahren im Internet davon, bevor Gabriel es ihnen mitteilt. Der SPD-Chef verrät, wer Kanzlerkandidat wird: Martin Schulz. Er selbst will als Ersatz für den designierten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier Außenminister werden. Viele Genossen grummeln über den Weg, den Gabriel wählt. Dennoch gibt es viel Lob und Erleichterung. Darüber, dass die quälende K-Frage endlich entschieden ist, vielleicht auch darüber, dass es nicht Gabriel macht. Der tritt noch am Abend gemeinsam mit Schulz auf. "Die SPD hat den Führungsanspruch in diesem Land", sagt der.

Wahlkampfauftritt am 22. September in Berlin.

Wahlkampfauftritt am 22. September in Berlin.

(Foto: picture alliance / Kay Nietfeld/)

Ende Februar hält der "Schulz-Effekt" die Republik in Atem. Die SPD liegt bei allen großen Meinungsforschern inzwischen bei mehr als 30 Prozent, gleichauf mit der Union. Seit Schulz' Nominierung sind mehr als 6000 neue Mitglieder in die Partei eingetreten. In Leitartikeln schreiben Journalisten über das nahende Ende von Merkels Kanzlerschaft. 19. März: SPD-Parteitag in Berlin. Schulz soll an diesem Tag den Vorsitz von Gabriel übernehmen. Die Stimmung ist euphorisch. Die Partei wählt Schulz mit 100 Prozent zum SPD-Chef. Der will sich inhaltlich noch nicht festlegen, der für Mai geplante Programmparteitag wird um einen Monat verschoben. Die Medien berichten über fragwürdige Prämienzahlungen in Schulz' Zeit als Parlamentspräsident. Aber dies perlt am Kanzlerkandidaten ab. Die Umfragen sind stabil, der Schulz-Effekt hält an.

Im Mai ist alles vorbei

Zwei Monate später, 14. Mai, kurz nach 18 Uhr. Schulz steht niedergeschlagen auf einer Bühne im Willy-Brandt-Haus. "Das ist ein schwerer Tag für die SPD. Es ist ein schwerer Tag auch für mich persönlich." Schulz und die SPD fahren die dritte Landtagswahlniederlage innerhalb von sechs Wochen ein. Ende März unterlag die Partei im Saarland, Anfang Mai in Schleswig-Holstein - und nun auch noch in Nordrhein-Westfalen, der Herzkammer der Sozialdemokratie. Schulz gerät unter Rechtfertigungsdruck. "Ich habe die Kritik schon auch von vielen Bürgerinnen und Bürgern gehört, die gesagt haben: Ist ja nett, aber du musst konkreter werden. Das hab ich mir jetzt auch vorgenommen", sagt er. "Ich bin jetzt nicht mal 100 Tage Vorsitzende der SPD, ich bin auch kein Zauberer." NRW-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft hatte Schulz aufgefordert, sich aus ihrem Wahlkampf herauszuhalten. Der Kanzlerkandidat bereut dies später.

Ende Juni treffen sich die Sozialdemokraten zum Parteitag in Dortmund. Es geht um die Verabschiedung des Wahlprogramms, aber es ist auch eine Mutmach-Veranstaltung - für die Genossen und den Kandidaten selbst. Vom Schulz-Effekt ist keine Spur mehr, in Umfragen liegt die SPD wieder unter 25 Prozent. In seiner Rede attackiert Schulz die Kanzlerin schärfer als je zuvor. Er wirft ihr einen "Anschlag auf die Demokratie" vor. Viele Delegierte sind begeistert. Ein paar Tage nach dem Parteitag wittert die Parteispitze ihre Chance. Im Bundestag zwingt die SPD der Kanzlerin eine in der Unionsfraktion umstrittene Abstimmung über die Ehe für alle auf und setzt sich durch. Ein Erfolg für Schulz. Ob er den Genossen hilft?

Als die Aufregung um die Ehe für alle verklungen ist, fällt die Republik in den politischen Sommerschlaf. Schulz versucht viel, aber weder mit dem Thema Flüchtlinge noch mit dem Thema Türkei kann er sich profilieren. In den Umfragen bewegt sich nichts. Der zunehmende angespannte Kandidat hat mit Rückschlägen zu kämpfen. Sein Kampagnenchef fällt gesundheitsbedingt aus, bei einer Wahlveranstaltung in Jena kommt es zu einem Missverständnis und gut einen Monat vor der Wahl wird bekannt, dass SPD-Altkanzler Gerhard Schröder Vorstandsmitglied des staatlichen russischen Energiekonzerns Rosneft werden soll. Im Interview mit n-tv.de erklärt Schulz Ende August: "Der Wahlkampf beginnt erst in diesen Tagen. Die Menschen sind jetzt aus dem Urlaub zurück, das Interesse ist groß. Die Wahl entscheidet sich erst auf den letzten Metern. Das weiß auch Frau Merkel. Das wird noch spannend, glauben Sie mir!"

Aber es wird nicht spannend. Auch das TV-Duell am 3. September kann daran nichts ändern. Am Wahlabend stoppt der Balken der SPD bei 20,5 Prozent - es ist das schlechteste Ergebnis seit Gründung der Bundesrepublik. Schon wieder muss Schulz eine, seine, Niederlage erklären. "Es ist völlig klar, dass der Wählerauftrag an uns der der Opposition ist", erklärt er. In der Berliner Runde ist Schulz sichtlich ungehalten, manche erinnert er an Schröders legendären Auftritt vor zwölf Jahren. Wie er nach so einem furiosen Start so abstürzen konnte? Etwas Aufschluss bietet eine 17-seitige Reportage, die im Oktober im "Spiegel" erscheint. Reporter Markus Feldenkirchen begleitete den Kanzlerkandidaten über Monate - anfangs beim ungläubigen Genießen des Erfolgs, später beim Jammern und Selbstzweifeln. "Die Leute finden mich peinlich", klagt Schulz einmal. Seine Kampagne wirkt unkoordiniert und chaotisch. Die Geschichte gibt interessante Einblicke, der "Spiegel"-Journalist wird vielfach ausgezeichnet. In der SPD kommt die Veröffentlichung jedoch nicht bei allen gut an.

Auch nach der Wahl macht Schulz keine gute Figur. Zwar räumt er Fehler ein und ruft den großen Neuanfang aus. Der beginnt aber holprig. Viele in der Partei ärgern sich darüber, dass Schulz und andere führende Genossen die wichtigen Posten im Hinterzimmer verteilen. Lob erhält Schulz für seinen Oppositionskurs. Nur: Der gilt nicht lang. Nach dem Jamaika-Aus gibt Schulz seine kategorische Absage an eine neue Große Koalition nach und nach auf. Beim SPD-Parteitag Mitte Dezember wirbt er für die Aufnahme von Sondierungsgesprächen mit der Union. Wenn es so weit ist, will Schulz die Mitglieder im Februar oder März über eine mögliche Koalition abstimmen lassen.

Die Entscheidung über eine Regierungsbeteiligung ist damit vorerst ebenso vertagt wie die über Schulz' politische Zukunft. 2017 war ein heftiges Jahr für die SPD, 2018 dürfte nicht viel angenehmer werden.

Quelle: ntv.de

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