Trippelschritte in die GroKo Die SPD schaut Merkel tief in die Augen
04.12.2017, 17:10 Uhr
Vor spannenden und schwierigen Wochen: Parteichef Schulz und die Sozialdemokraten.
(Foto: dpa)
Es geht nicht anders: Die Sozialdemokraten quälen sich in Gespräche mit der Union. Vor dem Parteitag gewinnt SPD-Chef Schulz etwas Zeit. Der Tag, an dem er sich endgültig wird festlegen müssen, rückt jedoch immer näher.
Wahrscheinlich hätte Martin Schulz es am Freitag schon sagen können, nach dem Treffen mit dem Bundespräsidenten und der anschließenden Beratung im Parteivorstand. Aber der Leak aus der Union entrüstete ihn und so vergingen noch einmal drei Tage, bis er die Marschroute nun verkündete: Stimmt der SPD-Parteitag am Donnerstag seinem Leitantrag zu, dann beginnt Schulz in der kommenden Woche offiziell Gespräche mit der Union. Ein erwartbarer und naheliegender Schritt. Schulz und der SPD blieb eigentlich gar keine andere Wahl.
Nach dem Aus für Jamaika stockt die Regierungsbildung wie nie zuvor. Trotz ihrer anfänglichen Entscheidung für die Opposition kann sich die SPD Gesprächen über ein mögliches Bündnis nicht mehr stur widersetzen. Was wäre die Alternative? Den Genossen ist klar, dass ihre Partei bei Neuwahlen strategisch in keiner günstigen Lage wäre. Es war ein Fehler von Schulz, nach dem Jamaika-Aus das Nein zu einer Großen Koalition eilig zu erneuern, statt kurz inne zu halten. Richtig ist nämlich: Seitdem gibt es eine neue Situation. Eine Partei wie die SPD muss grundsätzlich gesprächsbereit sein. "Die SPD war und ist sich ihrer Verantwortung für unser Land bewusst", heißt es pathetisch im Vorstandsbeschluss. Die SPD könnte sich geschmeichelt fühlen, ohne sie geht es jetzt nicht - wenn die Situation nicht so unangenehm wäre.
Der Leitantrag hat für den SPD-Chef einen Vorteil: Er ist gesichtswahrend für Schulz, der sich beim Parteitag wiederwählen lassen will. Zumindest formal ist er nicht umgekippt, noch nicht. "Ergebnisoffen" ist das Signalwort. Alle Optionen, auch die, eine Minderheitsregierung zu tolerieren, liegen auf dem Tisch, das betont Schulz und hält so zumindest die Illusion aufrecht, dass längst nichts entschieden ist. GroKo möglich, Scheitern aber auch - ein breites Spektrum. Dabei quält sich die SPD auf Trippelschritten in die Große Koalition. Ein Bündnis mit der Union ist wohl wahrscheinlicher als eine Minderheitsregierung oder Neuwahlen.
Drehbücher gesucht
Die Sozialdemokraten können in den Gesprächen auf weitreichenden Zugeständnisse hoffen. Wenn die Inhalte stimmen, dürfte es für Schulz & Co. fast unmöglich sein, Nein zu sagen. Die SPD müsste - das steht fest - schon verdammt gut erklären können, warum ein Bündnis nicht möglich ist. Das Beispiel FDP zeigt, wie schwer das ist. Sollten die Sozialdemokraten diesem Weg folgen, läge die Hürde wohl noch höher. Das öffentliche Verständnis dürfte gering sein. Dennoch: Viel besser ließ sich dieses Dilemma für Schulz in dieser Woche nicht mehr lösen. Beim Parteitag stehen ihm harte Auseinandersetzungen bevor. Die GroKo-Gegner in der Partei dürften ihn kaum schonen. Nicht jeder wird Schulz abnehmen, dass der Ausgang der Gespräche wirklich offen ist. Schulz' Vorteil: Er ist beliebt bei der Basis. Da es ihm erspart bleibt, beim Parteitag offensiv für eine Koalition mit CDU und CSU zu werben, dürfte der Leitantrag eine Mehrheit erhalten.
Schulz gewinnt Zeit, das Problem ist jedoch längst nicht gelöst. Hört man den SPD-Chef reden, könnte man meinen, eine Entscheidung liege noch eine Ewigkeit entfernt. Aber irgendwann in den kommenden Wochen - im Januar oder Februar - kommt der Tag X. Dann muss sich Schulz festlegen, ob er den Mitgliedern eine Koalition empfiehlt oder eben nicht. "Ich habe Frau Merkel im Bellevue tief in die Augen geschaut", sagte Schulz heute in Anspielung auf ein Zitat von Sigmar Gabriel über die Koalitionsverhandlungen 2013. Über inhaltliche Angebote sei bisher angeblich noch nicht gesprochen worden.
Die SPD-Führung muss für sich nun dringend wichtige Fragen klären: Welche Kernanliegen müssen erfüllt sein, damit die Partei wieder in eine Große Koalition geht? Wie könnte sich die SPD in einem möglichen Bündnis besser profilieren als zuletzt? Wie erklärt man gegebenenfalls ein mögliches Scheitern? Wie zieht man sich aus der Affäre, wenn die Mitglieder gegen einen ausgehandelten Koalitionsvertrag stimmen sollten? Und: Mit welchem Kandidaten und welchem Kurs ginge man in Neuwahlen? Für alle denkbaren Szenarien braucht die SPD jetzt gute Drehbücher. Das Problem ist: Genau daran hat es zuletzt zu häufig gemangelt.
Quelle: ntv.de