Politik

Was ist die Strategie? Deutschland tastet sich in den Omikron-Nebel

Viel mehr als auf Sicht zu fahren, bleibt Bund und Ländern nicht.

Viel mehr als auf Sicht zu fahren, bleibt Bund und Ländern nicht.

(Foto: dpa)

Wenn sich an diesem Freitag wieder Kanzler Scholz und die Spitzen der Bundesländer treffen, dürfte es nicht viel Neues geben. Die Beschlussvorlage ist bereits bekannt. Und die zeigt das Dilemma der Pandemiebekämpfung.

Die Omikron-Welle hat Deutschland erreicht - es ist aber immer noch nicht ganz klar, was sie bedeutet. Hat auch sie das Potenzial, das Gesundheitssystem zu überlasten? Oder ist sie die ersehnte Coronavirus-Variante, die nur wenige ernsthaft erkranken lässt und gleichzeitig Delta ausmerzt? Es gibt Hinweise für beide Szenarien. Man weiß es nicht so genau, auch weil man Erkenntnisse aus Südafrika und Großbritannien nicht einfach auf Deutschland übertragen kann. Dort gibt es zwar ermutigende Signale, etwa dass es viel weniger schwere Verläufe gibt. Hierzulande ist aber die Impfquote der über 60-Jährigen schlecht. Laut RKI sind noch etwa 2,8 Millionen Menschen in dieser Alterskohorte ungeimpft. Wenn Omikron durch diese Gruppe hindurchrauscht, könnte das schlimm ausgehen.

Ganz sicher ist das aber auch nicht, und so ist es für die Vertreter von Bund und Ländern nicht leicht, die richtigen Maßnahmen gegen die Omikron-Variante zu finden. An diesem Freitag treffen sie sich zu einer erneuten Ministerpräsidentenkonferenz und wollen 2G-plus, also 2G mit zusätzlichem Test, für die Gastronomie beschließen. Arbeitnehmern mit systemrelevanten Berufen soll es ermöglicht werden, sich aus der Isolation freizutesten. Das geht aus der Beschlussvorlage für das Bund-Länder-Treffen hervor, die ntv vorliegt. Die bereits geltenden Kontaktbeschränkungen sollen in Kraft bleiben, ebenso wie die 2G-Regeln.

Das sind nicht viele Neuerungen, allerdings hatten Bund und Länder ja bereits im Dezember Maßnahmen gegen Omikron beschlossen. Dazu zählten die Kontaktbeschränkungen ab dem 28. Dezember und die Schließung von Clubs und Diskotheken - obwohl die Infektionszahlen seit Langem abnahmen. Doch dabei handelte es sich um die abflauende Deltawelle. Da die Omikronwelle sich schon ankündigte, war es vorausschauend, mit den verschärften Maßnahmen nicht bis zum heutigen Tag zu warten. Es war auch sinnvoll, wieder eine erneute MPK anzusetzen, um noch einmal nachschärfen zu können. Doch möglicherweise kommt das Treffen wegen der vielen Unbekannten zu früh.

Was ist die Strategie?

So stellt sich wieder einmal die Frage, was eigentlich nun die Strategie ist. Von der alten Bundesregierung hieß es immer, dass es das Impfen sei - und auch die neue setzt voll darauf. 30 Millionen Auffrischungsimpfungen waren es im Dezember, im Januar sollen noch einmal 30 Millionen folgen. Wer geboostert ist, hat gute Chancen, eine Omikron-Infektion problemlos zu überstehen. Doch voraussichtlich werden auch Ende Januar noch viele Millionen Menschen im Land ungeimpft sein, aus welchen Gründen auch immer. Und wenn die dann zu Tausenden in den Krankenhäusern auftauchen sollten, wäre das ein Problem für alle - etwa wenn Operationen verschoben werden oder die medizinische Versorgung sonstwie eingeschränkt werden müsste.

So eine Überlastung des Gesundheitssystems soll weiterhin verhindert werden. Bei Omikron droht die Gefahr aber nicht nur durch schwere Verläufe, sondern auch durch den großflächigen Ausfall von Personal. Omikron ist so ansteckend, dass es laut Experten nur eine Frage der Zeit ist, bis man sich ansteckt. Dies kann dazu führen, dass auch medizinisches Personal reihenweise in die Isolation muss und so vor Ort fehlt. Gerade erst wurden aus diesem Grund 40 Militärärzte in Londoner Krankenhäuser entsandt, weil es dort so viele krankheitsbedingte Ausfälle gab. Deswegen wollen Bund und Länder die Quarantäne-Zeit verkürzen.

Die Idee, Omikron einfach durchlaufen zu lassen und darauf zu hoffen, dass es tatsächlich nur zu wenigen schweren Verläufen kommt, wäre eine Wette mit schlechter Quote. Gerade erst hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davor gewarnt, Omikron als "mild" zu bezeichnen. Die "Flutwelle" an Neuinfektionen durch die Omikron-Variante sei "so riesig und schnell", dass sie weltweit zu einer Überlastung des Gesundheitssystems führe, warnte WHO-Direktor Tedros Adhanom Ghebreyesus.

Sieben-Tage-Inzidenz wieder über 300

Reicht es da, nur noch einen zusätzlichen Test zu verlangen, wenn man in ein Restaurant geht? Das andere Extrem wäre es, noch strengere Kontaktbeschränkungen zu erlassen, Geschäfte und Schulen zu schließen. Ende Dezember beschrieb Berlins scheidender Bürgermeister Michael Müller im ntv.de-Interview das Pandemie-Dilemma: "Dass wir immer versuchen müssen, auf Basis der sich verändernden wissenschaftlichen Erkenntnisse einen Weg zu beschreiten, der allen gerecht wird. Das ist wahnsinnig schwer."

Die Strategie ist also das, was man im Nebel tut: auf Sicht fahren. An diesem Freitag meldete das RKI mehr als 56.000 Neuinfektionen, die Sieben-Tage-Inzidenz liegt mittlerweile wieder über 300. Tendenz: steigend. Der Entspannungstrend auf den Intensivstationen hält dagegen noch an. Doch könnte sich das in wenigen Wochen ändern. Könnte. Gut möglich, dass das heute nicht die letzte MPK in diesem Januar war.

Quelle: ntv.de

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