Politik

Bloß keine Panik! Deutschlands unsichtbarer Anti-Terror-Kampf

Ein seltenes Bild in Deutschland: Ein Scharfschütze der Polizei sicherte am Dienstagabend die Mahnwache am Brandenburger Tor. Sicherheitskontrollen gab es jedoch nicht.

Ein seltenes Bild in Deutschland: Ein Scharfschütze der Polizei sicherte am Dienstagabend die Mahnwache am Brandenburger Tor. Sicherheitskontrollen gab es jedoch nicht.

(Foto: picture alliance / dpa)

In Paris patrouillieren Soldaten an Flughäfen und vor jüdischen Schulen. In Deutschland setzt die Große Koalition auf beruhigende Worte statt auf massive Sicherheitspräsenz. Diese Strategie war erfolgreich - bisher.

Thomas de Maizière ist ein ruhiger Typ, Gefühlsausbrüche wie am Sonntag bei Günther Jauch sind selten. "Es hält mich hier kaum auf dem Sitz", sagte der Innenminister da plötzlich. Auch als der Moderator im Zusammenhang mit den Anschlägen in Paris über ein mögliches Versagen französischer Sicherheitsbehörden sprechen wollte, reagierte er empört. Eine Ausnahme. Die Lage sei ernst und es gebe "Grund zur Sorge und Vorsorge, aber nicht zur Panik", solche Sätze sagt de Maizière in diesen Tagen.

Die Bundesregierung setzt zurzeit konsequent auf die besonnene Linie. Bloß keine Hysterie aufkommen lassen! Die Zurückhaltung hat System. Schon nach den Anschlägen in anderen europäischen Metropolen wählte man diese Strategie. Bisher mit Erfolg. Auch nach den Ereignissen in Paris setzen die Kanzlerin und ihre Minister wieder vor allem auf warme Worte und betonte Gelassenheit, statt das Land mit plötzlicher Omnipräsenz von Sicherheitskräften zu verunsichern.

Bei aller Solidarität mit den französischen Nachbarn: Im Alltag der Deutschen haben die Ereignisse in Paris bisher kaum Spuren hinterlassen. Während in Frankreich Soldaten mit Maschinengewehren vor jüdischen Einrichtungen und in Einkaufszentren patrouillieren, hat sich die Lage in Deutschland zumindest gefühlt kaum verändert. Hat der Terror in Paris überhaupt Konsequenzen für die innere Sicherheit? Und wenn ja, welche?

Deutschland das "nächste Ziel"

Die Sicherheitsbehörden geben sich wortkarg, wenn man sie mit diesen Fragen konfrontiert. Das Innenministerium spricht von einer "abstrakt hohen Gefährdung für die innere Sicherheit". Zu konkreten polizeilichen Maßnahmen nehme man aus grundsätzlichen Erwägungen keine Stellung, erklärt eine Sprecherin. Ebenso äußern sich Berliner Ämter. Eine Sprecherin von Innensenator Frank Henkel verweist auf die Polizei als zuständigen Ansprechpartner. Dort spielt man den Ball zurück zu den Kollegen im Senat. Details oder Zahlen will keiner nennen.

Die Zurückhaltung hat taktische Gründe. "Nicht alle Sicherheitsmaßnahmen, die zusätzlich ergriffen wurden, sind sichtbar", sagt CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach n-tv.de. "Es ist absolut richtig, nicht jede Einzelheit öffentlich zu erläutern." Hysterie hält der Vorsitzende des Bundestags-Innenausschusses nach den Attentaten in Paris ohnehin für überzogen. "Es gibt keine Hinweise auf bevorstehende Attentate. Die Sicherheitslage hat sich nicht grundlegend verändert. Sie ist anhaltend besorgniserregend."

Wie greifbar die Terrorgefahr ist, zeigen die letzten Tage. Ende der vergangenen Woche twitterte ein polizeibekannter Islamist, Deutschland sei das "nächste Ziel". Am Wochenende hörte der US-Geheimdienst Gespräche ab, in denen Anführer der Dschihadistenmiliz IS eine europaweite Terrorwelle ankündigten. Am Sonntag verübten Unbekannte einen Brandanschlag auf die "Hamburger Morgenpost". Es sind Ereignisse wie diese, die die Deutschen nun alarmieren.

Subtil ist wirksamer

Laut einer Emnid-Umfrage glauben 74 Prozent, dass Anschläge auch hierzulande möglich sind. Nach den Ereignissen in Paris dürfte das Sicherheitsbedürfnis eher zu- als abnehmen. "Die Bevölkerung hat Angst. Das kann man durch beruhigende Erklärungen eindämmen oder durch sichtbare Präsenz", sagt Terrorexperte Rolf Tophoven n-tv.de. "Nichts zu sagen, ist bei manchen Maßnahmen aus taktischen Gründen richtig. Wenn man sich in die Karten schauen ließe, wäre es für die Gegenseite eine Möglichkeit, das Ganze zu unterlaufen." Subtile Undercover-Ermittler in Zivil könnten sogar wirksamer sein.

Gesetzlich will die Bundesregierung an diesem Donnerstag nachlegen. Die Strafbarkeit der Ausreise, die Terrorismusfinanzierung und der Personalausweis-Entzug wurden bereits vor den Ereignissen in Paris in die Wege geleitet und sollen nun ins Kabinett eingebracht werden. Auch über die Sammlung von Fluggastdaten wird diskutiert.

Aber reicht das? Einige Kritiker zweifeln daran. Die Deutsche Polizeigewerkschaft beklagte vor einigen Tagen große Sicherheitslücken. Vor allem bei der Überwachung von Syrien-Rückkehrern fehle es an Personal, erklärte Gewerkschaftschef Rainer Wendt, der den Wegfall von 1000 Planstellen bedauert. Wenn Verdächtige stärker observiert werden sollen, ist das ein Problem. AfD-Vize Alexander Gauland fordert mehr Polizei an Flughäfen, Bahnhöfen und jüdischen Einrichtungen. "Eine massivere Präsenz wäre nötig. Mehr Sicherheitskräfte können den Bürgern ein Gefühl größerer Sicherheit geben", sagte Gauland n-tv.de.

"Für die Menschen ist das beruhigend"

Laut Innenministerium wurden die Sicherheitsvorkehrungen erhöht. Was auf den ersten Blick fast den Anschein von Nachlässigkeit haben mag, ist durchaus Strategie. Es gibt verstärkte Observationen, schärfere Kontrollen und einen intensiveren Informationsaustausch. Das, was passiert, geschieht im Verborgenen und ist für die Bürger kaum spürbar. Eine Absicherung wie in Frankreich, wo das Militär für zusätzliche Sicherheitsaufgaben genutzt wird, ist in Deutschland verfassungsrechtlich gar nicht möglich.

Die Bilanz der vergangenen Jahre stützt das Vorgehen der deutschen Politik. Einzig im März 2011 gelang es einem Islamisten, am Frankfurter Flughafen zwei US-Soldaten zu erschießen. Ansonsten wurden fast ausnahmslos alle Anschlagsversuche vereitelt. "Für die Menschen ist das beruhigend. Da gehörte sicherlich auch Glück dazu, aber das ist auch auf die gute Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden zurückzuführen", sagt Tophoven. In den vergangenen Tagen gingen den deutschen Fahndern in Düsseldorf und Dinslaken erneut zwei mutmaßliche Terrorhelfer ins Netz.

De Maizière hat also Gründe für seinen Optimismus. "Unsere Gelassenheit ist die eines Landes, das insoweit noch nicht fundamental auf die Probe gestellt wurde. Wenn es darauf ankommt, haben wir aber bisher zusammengehalten", sagte der Innenminister zuletzt, um dann noch hinzuzufügen, er sei zuversichtlich, dass das auch bei einem Terroranschlag so wäre.

Quelle: ntv.de

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