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Vor dem Verfahren in Münster "Unzählige Belege rechtfertigen eine Einstufung der AfD als rechtsextrem"

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"Ein Verbot würde die Opfererzählung der AfD stärken", sagt Axel Salheiser. Er hält ein Verbotsverfahren dennoch für notwendig.

"Ein Verbot würde die Opfererzählung der AfD stärken", sagt Axel Salheiser. Er hält ein Verbotsverfahren dennoch für notwendig.

(Foto: picture alliance / dpa)

Das Oberverwaltungsgericht Münster entscheidet in Kürze, ob die AfD vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft werden darf. Rechtsextremismus-Experte Axel Salheiser hält es für wahrscheinlich, dass die Partei ihre Klage verliert. Ein Ende des juristischen Streits ist dennoch nicht zu erwarten: "Zunächst einmal würde die AfD das Urteil anfechten. Dann geht es in die nächste Instanz, ans Bundesverwaltungsgericht, und schließlich an das Bundesverfassungsgericht, bei dem die Verfahrensprüfung liegen würde."

Die Wirkung einer solchen Einstufung wäre ambivalent, sagt Salheiser. "Denn die Einstufung als gesichert rechtsextrem würde auch die Selbstviktimisierung, die Opfererzählung der AfD verstärken." Das würde auch für einen Verbotsantrag gegen die AfD gelten.

ntv.de: Von diesem Dienstag an verhandelt das Oberverwaltungsgericht Münster, ob die AfD vom Verfassungsschutz zu Recht als Verdachtsfall eingestuft wurde. Wagen Sie eine Prognose, wie das Verfahren ausgeht?

Axel Salheiser ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

Axel Salheiser ist wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft in Jena.

(Foto: IDZ Jena)

Axel Salheiser: Ich halte es für wahrscheinlich, dass die Einstufung bestätigt wird. In seinem Gutachten über die AfD aus dem Jahr 2019 hatte der Verfassungsschutz drei Hauptkriterien entwickelt, die erfüllt sein müssen, damit die Behörde aktiv werden kann: ein Verstoß gegen die Menschenwürde, gegen das Demokratieprinzip und gegen das Rechtsstaatsprinzip. Damals sah der Verfassungsschutz erste Anhaltspunkte für eine Missachtung dieser Kriterien.

Deshalb erfolgte 2019 die Einstufung als Prüffall.

Anfang dieses Jahres hat der Verfassungsschutz noch mal nachgeliefert und dem Gericht in Münster aktuelle Erkenntnisse übergeben. Für die Öffentlichkeit war das nicht sehr transparent. Aber die neuen Erkenntnisse dürften entscheidend sein, denn seit 2019 hat sich einiges verändert. Das Gutachten nahm damals sehr stark Bezug auf den "Flügel" um Björn Höcke, auf die Nachwuchsorganisation "Junge Alternative" und auf einzelne Personen wie Höcke, Andreas Kalbitz und André Poggenburg. Kalbitz und Poggenburg gehören der Partei nicht mehr an und der Flügel ist in der Partei aufgegangen. Auf der anderen Seite haben Wissenschaftler und kritische Medien seither unzählige Belege aus öffentlich zugänglichen Quellen zusammengetragen, die eine Einstufung der AfD als rechtsextrem rechtfertigen.

Was würde daraus folgen, wenn die AfD in Münster unterliegt?

Zunächst einmal würde die AfD das Urteil anfechten. Dann geht es in die nächste Instanz, ans Bundesverwaltungsgericht, und schließlich an das Bundesverfassungsgericht, bei dem die Verfahrensprüfung liegen würde.

Laut "Süddeutscher Zeitung" wartet der Verfassungsschutz das Verfahren in Münster ab. Danach will er ein neues Gutachten veröffentlichen, das die Basis für eine Hochstufung der Bundespartei zur "gesichert extremistischen Bewegung" sein dürfte.

Ich bin kein Verfassungsrechtler und weiß auch nicht, welche strategischen Überlegungen Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter angestellt haben. Aber ich gehe davon aus, dass das neue Gutachten bald veröffentlicht wird - unabhängig davon, wie das Verfahren in Münster ausgeht. Vielleicht werden vor der Veröffentlichung noch Argumentationsfäden aus dem Prozess eingearbeitet. Aber das wird kein Schnellschuss sein, sondern basiert auf der Arbeit der letzten Jahre. Und natürlich kann die AfD dann auch gegen das neue Gutachten klagen.

Angenommen, das Bundesamt für Verfassungsschutz stuft die AfD als gesichert rechtsextremistisch ein. Würde das der AfD bei den Landtagswahlen im September schaden?

Einerseits hätte eine solche Einstufung eine kommunikative und auch eine ganz praktische Funktion. Der Staat würde AfD-Sympathisanten im öffentlichen Dienst damit deutlich sagen, dass sie mit Konsequenzen bis hin zu Disziplinarmaßnahmen rechnen müssen, wenn sie eine verfassungsfeindliche Partei unterstützen. Und die Einstufung als gesichert rechtsextremistisch hätte Folgen für die öffentliche Kommunikation. Sie würde erneut Protest gegen Rechtsextremismus mobilisieren. Vertreter von konservativen und liberalen Parteien, die bisher auf die Ausgrenzung der AfD im politischen Wettbewerb verhalten reagiert haben, könnten darin bestärkt werden, dass die AfD nicht in Mehrheitsüberlegungen eingebunden wird. Es gäbe sicherlich auch eine abschreckende Wirkung auf Teile der Wählerinnen und Wähler, die dann schwarz auf weiß hätten, dass das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als gesichert rechtsextrem einstuft und das auch belegen kann.

Aber?

Der Eindruck auf die Wählerinnen und Wähler gerade in den drei ostdeutschen Ländern, in denen im September Landtagswahlen stattfinden, in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, dürfte denkbar gering sein. Denn die Einstufung als gesichert rechtsextrem würde auch die Selbstviktimisierung, die Opfererzählung der AfD verstärken. Die AfD inszeniert sich als Rechtsstaatspartei, die fest auf dem Boden des Grundgesetzes steht und von allen anderen Parteien diffamiert und verfolgt wird. Das verfängt bei sehr vielen Anhängern. Aus Repräsentativbefragungen wissen wir, dass fast alle Wählerinnen und Wähler der AfD die Partei als eine demokratische Partei wie jede andere bewerten.

Die Einstufung als rechtsextrem wäre also sinnlos?

Nein, denn die Signalwirkung gegenüber den Wählerinnen und Wählern, die nicht die AfD wählen, es aber vielleicht tun könnten, gäbe es ja. Ihnen könnte so deutlich gemacht werden, dass die AfD nicht in dem breiten Meinungskorridor liegt, den das Grundgesetz ermöglicht. Aber dies hat eben zwei Seiten. Bei den Landratswahlen im Saale-Orla-Kreis hat im Januar der CDU-Kandidat die Stichwahl gewonnen. Das war sicherlich auch eine Folge der öffentlichen Diskussion über die Vertreibungsfantasien in der AfD, die es nach dem Bericht über das Remigrationstreffen von Potsdam gab. Die Diskussion hat die Bezüge der AfD ins neonazistische und identitäre Milieu aufgezeigt und eine starke zivilgesellschaftliche, demokratische Mobilisierung gegen Rechtsextremismus ausgelöst. Andererseits hat der Kandidat der AfD in der Stichwahl mehr Stimmen bekommen als in der ersten Runde der Wahl. Eine Mobilisierung gab es also auch unter den Anhängerinnen und Anhängern der AfD. Deswegen würde ich die Signalwirkung für die anstehenden Kommunal-, Europa- und Landtagswahlen nicht überschätzen.

In den Umfragen verliert die AfD seit einiger Zeit. Liegt das an den Massendemonstrationen gegen Rechtsextremismus, die das Selbstbild der AfD als Sprachrohr des Volkes zum Wanken bringen?

Das Abschmelzen der Zustimmung in den vergangenen Wochen ist tatsächlich auffallend. Für die AfD ging es in der Sonntagsfrage um fünf Prozentpunkte runter, von rund 22 auf ungefähr 17 Prozent - das ist mehr als nur ein statistisches Rauschen, sondern durchaus eine substanzielle Entwicklung, die vor allem in Westdeutschland stattgefunden hat. Das lag an der zivilgesellschaftlichen und medialen Auseinandersetzung mit dem Treffen von Potsdam, die auch lebensweltlich stark eingebettet war.

Inwiefern war die Debatte lebensweltlich eingebettet?

Gerade in Westdeutschland haben wir eine stark migrantisch geprägte Gesellschaft, in der Multikulturalismus bis in die Arbeitswelt, die Nachbarschaften und die Familien hinein auch als etwas Positives empfunden wird. Wenn Menschen mit Migrationshintergrund von rechtsextremen Ideologien und Parteien angefeindet und abgewertet werden, dann geht das dort für sehr viele in den persönlichen Nahbereich. Das ist eine Erfahrung, die viele in Ostdeutschland nicht teilen.

Weil es dort weniger Menschen mit Migrationshintergrund gibt.

Für Ostdeutschland hat der alte Spruch von der Ausländerfeindlichkeit ohne Ausländer noch Bestand. Dazu ist diese "Überfremdungserfahrung" gekommen durch den Zustrom von Asylsuchenden, was rechtspopulistische bis rechtsextreme Narrative noch gestärkt hat. Migration als etwas Positives zu empfinden, was in Westdeutschland über Jahrzehnte gewachsen ist, das ist in Ostdeutschland auf die großen Städte und die urbanen Milieus beschränkt.

Könnte es politisch überhaupt funktionieren, eine Partei zu verbieten, die in einzelnen Bundesländern in Umfragen auf mehr als 30 Prozent kommt?

Die Frage ist für mich eher, ob ein Verbotsverfahren eingeleitet werden muss. Wenn die objektiven Kriterien gegeben sind, wenn diese Partei tatsächlich grundgesetzwidrig ist, wenn sie mit ihrer Programmatik und ihrer politischen Zielsetzung gegen grundlegende Demokratieprinzipien verstößt, wenn sie die Grundrechte zum Kampf gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung missbraucht, wie es im Grundgesetz heißt, dann muss ein Verbotsverfahren eingeleitet werden. Wenn die Beweislast erdrückend ist, dann hat der Staat eine Handlungspflicht.

Ist die Beweislast erdrückend?

Aus meiner Sicht ist sie das. Und natürlich wäre die Wirkung, die davon ausgeht, ambivalent - wie bei der Einstufung als gesichert extremistisch. Ein Verbot würde die Opfererzählung der AfD stärken, und da würde es eine Reaktanz bei den Anhängerinnen und Anhängern der Partei geben. Einige würden sagen: Ihr habt es nicht geschafft, die AfD politisch zu bekämpfen, deshalb habt ihr die Karte des Verbots gezogen. Ich glaube aber nicht, dass das zu einer weiteren Radikalisierung führt, wie manchmal gesagt wird - dass Teile der AfD-Anhängerschaft in den Untergrund gehen.

Nach dem KPD-Verbot hat es zwölf Jahre gedauert, bis die DKP als faktische Nachfolgepartei gegründet wurde. Wäre eine ähnliche Entwicklung auch nach einem AfD-Verbot denkbar?

Man kann ein etwaiges AfD-Verbot nicht mit dem KPD-Verbot von 1956 vergleichen. Das waren andere Zeiten, die KPD hatte in der frühen Bundesrepublik eine ganz andere Rolle als die AfD heute. Anders als damals die KPD verfügt die AfD über Auffangstrukturen, die ihre Mitglieder nach einem Verbot nutzen könnten, um unter einem anderen Label weiterzumachen. Denn die AfD inszeniert sich nicht nur so, sie operiert auch als fundamentalistische Bewegungspartei. Vor allem Höcke macht das sehr stark, indem er den Schulterschluss mit dem neonazistischen und dem verschwörungsideologischen Milieu sucht. Zudem werden die Einstellungen der ihr zugeneigten Wählerinnen und Wähler nicht verschwinden, nur weil die AfD verboten worden ist. Dann wird es eben andere Angebote geben, beispielsweise durch die Partei "Die Heimat", die umbenannte NPD. Die hat es nach zwei gescheiterten Verbotsverfahren ja doppelt schriftlich, dass sie nicht verboten wird.

Mit Axel Salheiser sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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