Politik

CDU-Politiker vermutet weitere Täter "Die NSU-Taten waren zu genial für Zschäpe"

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Beate Zschäpe gilt als die Anführerin des "Nationalsozialistischen Untergrunds".

(Foto: dpa)

Der Bundestag forscht weiter nach den Hintergründen der NSU-Morde. Der CDU-Abgeordnete Armin Schuster fordert, die Blickrichtung zu wechseln: Dass es nur drei Täter gab, hält er für unwahrscheinlich. Außerdem zieht Schuster eine Parallele zwischen AfD und NSU.

n-tv.de: Sie haben im Bundestag gesagt, dass der NSU nicht nur ein Trio war und wir den Kopf der Gruppe gar nicht kennen. Was haben Sie damit gemeint?

Armin Schuster: Ich wollte bewusst provozieren. Wir dürfen nicht immer derselben These nachhängen, die wir seit Jahren nicht schlüssig belegen können. Es ist unter Experten eine gängige Strategie, die Perspektive zu wechseln und zu fragen: Wie könnte es noch gewesen sein? Ich habe vom ersten Tag an Zweifel gehabt. Die perfide Genialität dieser Verbrechensserie, also die Morde, die Raubüberfälle, die konspirativen Unterkünfte, die zwei Bombenanschläge – das alles ist so geschickt inszeniert gewesen, dass wir mit unserer föderalen Sicherheitsarchitektur überfordert waren. Das sieht alles nicht nach Zufall aus. Weder Böhnhardt noch Mundlos noch Zschäpe traue ich so viel Strategievermögen zu.

Um es platt zu sagen: Sie halten die drei für nicht schlau und für nicht berechnend genug, um das alles zu organisieren.

Ja. Denken Sie mal an die Wohnung in der Frühlingstraße in Zwickau. Die war mit komplizierter Überwachungstechnik gesichert, die Decken waren abgehängt und so weiter. Die Professionalität, mit der die Morde begangen wurden, passt eigentlich nicht zu ein paar von der Straße radikalisierten Rechtsterroristen. Ich habe mich immer gefragt: Wer hat diese Leute so schlau gemacht, wie man sein muss, um die Taten so raffiniert zu planen und zu begehen?

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Armin Schuster

Sie haben gesagt, dass Sie nicht glauben, dass die Polizistin Michele Kiesewetter von nur zwei Tätern umgebracht wurde. Warum?

Der Mord geschah am helllichten Tag an einem stark frequentierten Ort. Es brauchte schon zwei Täter, um den Mordanschlag zu begehen. Wer hat diese Tat abgesichert, wer hat aufgeklärt? Der ganze Ablauf spricht dafür, dass mindestens noch jemand dabei war. Wie gesagt, ich versuche, zu provozieren – auch mich selbst.

NSU-II-Untersuchungsausschuss

Der Bundestag hat am 11. November beschlossen, einen zweiten NSU-Untersuchungsausschuss einzusetzen, um offene Fragen zu klären. Schuster wird in dem Ausschuss der Obmann der CDU/CSU-Fraktion sein.

Sie sprechen in Hypothesen, also darüber, wie es gewesen sein könnte. Was ist denn Ihr persönliches Gefühl, wie es war?

Ich glaube nicht, dass alle meine extremen Hypothesen zutreffen. Ich glaube aber, dass wir noch einige Überraschungen erleben werden. Ich habe das sichere Gefühl, dass das, was vor dem Oberlandesgericht München und vor den Untersuchungsausschüssen der Parlamente bislang herausgekommen ist, noch längst nicht alles ist.

Eigentlich ist es Sache von Strafverfolgungsbehörden, Morde aufzuklären. Sie scheinen diesen Behörden die Aufgabe nicht zuzutrauen.

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Der NSU: War es wirklich nur ein Trio?

(Foto: picture alliance / dpa)

Doch. Ich will auch nicht der bessere Ermittler sein. Ich will lernen: Wie funktioniert diese Turboradikalisierung, die bei den dreien stattgefunden hat? Wir leben ja in einer Zeit, in der sich leider aus der bürgerlichen Mitte heraus rechtskonservative Gruppierungen bilden und radikalisieren. Wenn man das vergleicht mit der Radikalisierung von Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe, dann muss sich ein Politiker fragen: Was kann heute passieren?

Sie ziehen eine Parallele zwischen der Radikalisierung des NSU und den aktuellen rechtspopulistischen Bewegungen wie Pegida und der AfD?

Ja. Mich treibt die Sorge um, dass es wieder eine Turboradikalisierung geben könnte und Leute zur Tat schreiten. Wenn man den NSU erlebt hat, darf man nicht außer Acht lassen, dass das wieder möglich ist. Der Nährboden ist da.

Tun die Behörden, tut die Regierung, tut Ihre Partei genug, um dieser Gefahr zu begegnen?

Was das anbelangt, habe ich unsere Sicherheitsbehörden noch nie so sensibel erlebt wie im Moment. Wir gucken uns derzeit mit Kollegen aller Fraktionen regelmäßig die Lagebilder an: zum Thema Gewalt gegen Flüchtlingsheime; zur Lage des Rechtsextremismus; zum Thema Radikalisierung – natürlich auch der Radikalisierung in Flüchtlingsheimen. Das Bundesinnenministerium arbeitet an einer Vielzahl von Lagebildern. Das ist auch eine Folge des ersten NSU-Untersuchungsausschusses. Das Bewusstsein für das Thema ist heute sehr viel schärfer. Die Behörden sind hochsensibel. Und damit hat der Bundestags-Untersuchungsausschuss sicher viel zu tun.

Gleichzeitig gibt es Irritationen: Wohnungen von Asylbewerbern brennen und die Polizei schließt rechtsextremistische Hintergründe sehr schnell aus.

Ich bin nicht in erster Linie Politiker, sondern auch Sicherheitsexperte. Ich habe 30 Jahre lang nichts anderes gemacht. Und da tut es mir manchmal richtig weh, wie wenig fachmännisch in den Medien mit solchen Themen umgegangen wird. Es gibt in Deutschland klare Definitionen für die Begriffe rechtskonservativ, rechtsextrem, rechtsradikal und rechtsterroristisch. Dass viele sich dafür in ihren Artikeln nicht interessieren, mag ja sein. Aber das sind die rechtlichen Vorgaben für das Bundesamt für Verfassungsschutz. Ich möchte den Verfassungsschutz nicht dazu ermächtigen, unterhalb der Schwelle des Extremismus tätig werden zu dürfen.

Erklären Sie doch einmal die Definitionen: Wie kann es sein, dass jemand aus fremdenfeindlichen Motiven eine Tat begeht und nicht als rechtsextremistisch eingestuft wird?

Wer sich daran beteiligt, einen Brand an einem Asylbewerberheim zu legen, der macht sich natürlich strafbar. Aber viele dieser Taten werden in Gruppen begangen, die zuvor nicht organisiert waren. Sie richten sich nicht gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung, sondern sind von Hass oder Wut auf Asylbewerber und die eigene Situation vor Ort gerichtet. Extremisten gehen weiter: Sie wollen mit ihren Taten politisch Einfluss nehmen und im schlimmsten Fall unsere freiheitlich demokratische Grundordnung infrage stellen. Das eine ist sehr geplant, das andere ad hoc. Das Vorgehen der Sicherheitsbehörden ist in diesen Fällen völlig unterschiedlich. Das ist ja unser Problem: Derzeit gibt es viele Täter, die wir nicht unter Beobachtung haben, weil sie bislang völlig unbescholten sind. Eine sehr schwierige Situation für die Polizei, über die wir aktuell auch sprechen. Zu sagen, dass die Sicherheitsbehörden deswegen versagen, halte ich für eine unseriöse Vereinfachung der Situation. Zunächst sind doch mal stolz darauf, dass hier nicht jeder unbescholtene Bürger befürchten muss, vom Verfassungsschutz überwacht zu werden.

Mit Armin Schuster sprach Christoph Herwartz

Quelle: ntv.de

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