Nach den Schüssen auf Glick Droht eine dritte Intifada?
30.10.2014, 20:37 Uhr
Wütende Palästinenser gingen am Donnerstag mit Steinen gegen die Sicherheitskräfte in Ostjerusalem vor.
(Foto: dpa)
Rechtsradikale jüdische Gruppen belagern den Zugang zum Tempelberg, Mahmud Abbas spricht von einer "Kriegserklärung an das palästinensische Volk": Nach dem Attentat auf einen israelischen Ultranationalisten droht die Situation in Jerusalem zu eskalieren.
Die Gewalteskalation am Jerusalemer Tempelberg weckt Erinnerungen an den Beginn der zweiten Intifada, den palästinensischen Volksaufstand im Jahr 2000. Nach dem Attentat auf einen jüdischen Ultranationalisten, der lebensgefährlich verletzt wurde, erschoss die israelische Polizei am frühen Morgen einen tatverdächtigen Palästinenser. Das Juden und Muslimen heilige Felsplateau wurde erstmals seit dem Sechstagekrieg von 1967 vollständig abgeriegelt, am Abend aber wieder geöffnet.
Das Attentatsopfer Jehuda Glick schwebt weiter in Lebensgefahr. Der religiöse Ultranationalist wurde am Mittwochabend vor dem Begin-Center niedergeschossen. Er hatte dort zuvor einen Vortrag über jüdische Ansprüche auf den Tempelberg gehalten, wo sich die islamischen Heiligtümer Al-Aksa-Moschee und der Felsendom mit der goldenen Kuppel befinden.
Tempelberg nur für ältere Palästinenser geöffnet
Eine Spezialeinheit der Polizei umstellte am Morgen in der Nähe des Anschlagsortes ein Wohnhaus im Ost-Jerusalemer Stadtteil Abu Tor, wo das Motorrad entdeckt wurde, mit dem der Attentäter geflüchtet war. "Als die Polizisten ihn festnehmen wollten, schoss der Verdächtige auf sie und wurde im Gegenfeuer getötet", sagte eine Polizeisprecherin.

Jehuda Glick in der Jerusalemer Altstadt: Der Ultranationalist war in seiner Funktion als Touristenführer oft auf dem Tempelberg.
(Foto: AP)
Nachbarn des erschossenen Palästinensers berichteten, es handele sich um den 32-jährigen Muatas Hidschasi. Die Palästinensergruppe Islamischer Dschihad teilte mit, Hidschasi sei Mitglied ihrer Organisation gewesen.
In der gesamten Jerusalemer Innenstadt wurden Sicherheitskräfte mobilisiert, um Unruhen zu unterbinden. Dennoch kam es immer wieder zu Zusammenstößen. Rechtsradikale jüdische Gruppen mobilisierten einen Protestmarsch in Richtung Klagemauer, die den Tempelberg westlich abschließt. Daraufhin riegelte die Polizei das Felsplateau komplett ab. Am Abend teilte sie mit, der Tempelberg sei wieder geöffnet - allerdings nicht für Palästinenser im Alter von weniger als 50 Jahren.
"Kriegserklärung an das palästinensische Volk"
Am Nachmittag belagerten etwa 50 rechtsradikale Aktivisten das Marokkaner-Tor, den einzigen Zugang zum Tempelberg für Nichtmuslime. Sie schwenkten israelische Fahnen und skandierten "Befreit den Tempelberg". Juden dürfen auf den Tempelberg, aber dort zu beten ist ihnen aus Furcht vor Zwischenfällen untersagt.
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas machte die israelische Regierung für die Gewalt verantwortlich und sprach von einer "Kriegserklärung an das palästinensische Volk, an seine heiligen Stätten sowie an die arabische und muslimische Nation". Jordanien warf Israel "Staatsterrorismus" vor.
Bestrebungen ultranationalistischer Juden, am Tempelberg zu beten und Vorbereitungen für den Bau eines neuen jüdischen Tempels am Ort der heiligen Stätten des Islam, hatten bereits in den vergangenen Wochen zu gewalttätigen Zusammenstößen geführt.
Der 48-jährige Rabbiner Glick, der von vier Kugeln getroffen und mehrfach operiert wurde, stammt aus New York und lebt seit neun Jahren in einer jüdischen Siedlung bei Hebron.
Die US-Regierung forderte Israel auf, die Al-Aksa-Moschee "allen muslimischen Gläubigen" zugänglich zu machen. US-Außenamtssprecherin Jen Paksi äußerte sich "äußerst besorgt" über die wachsenden Spannungen und rief alle Seiten dazu auf, Ruhe zu bewahren. Zugleich verurteilte sie den Anschlag auf Glick, der die israelische und die US-Staatsbürgerschaft besitzt.
Quelle: ntv.de, jve/AFP