Waffen, Energie, Finanzgeschäfte EU nähert sich Wirtschaftssanktionen an
22.07.2014, 22:04 Uhr
Mittlerweile untersuchen malaysische Experten den Absturzort in der Ostukraine.
(Foto: AP)
Es ist eine ultimative Drohung: Sollte Russland nicht mehr zur Aufklärung des Absturzes von Flug MH17 beitragen, will die EU die Sanktionen verschärfen. Es geht nicht nur um ein Waffenembargo, sondern auch um Hochtechnologien und Finanzgeschäfte.
Als Reaktion auf den mutmaßlichen Abschuss des Passagierfluges MH17 in der Ostukraine will die EU unter anderem Rüstungsgeschäfte mit Russland einschränken. Die EU werde ihre Sanktionen "in der Breite und in der Tiefe" deutlich ausweiten, sagte Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Brüssel. Die EU-Außenminister forderten zudem eine Sicherung und Untersuchung des Unglücksorts.
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"Wir wollen und wir werden den Druck auf diejenigen, die nicht kooperieren zur Überwindung der gegenwärtigen Krise, substanziell erhöhen", sagte Steinmeier nach dem Treffen der EU-Außenminister, das mit einer Schweigeminute für die 298 Toten aus dem Unglücksflug MH17 begann. Besonders Russland habe nicht genug getan, um zu einer "Entschärfung des Konflikts ernsthaft beizutragen", sagte er.

Der Zug mit den sterblichen Überresten ist in Charkiw angekommen. Nun sollen die Leichen in die Niederlande überführt werden.
(Foto: REUTERS)
Die Außenminister beauftragten die EU-Kommission, bis Donnerstag weitere Sanktionen auszuarbeiten. Diese sollen neben dem Handel mit Rüstungsgütern auch den Verkauf von Produkten an Russland einschränken, die neben einem zivilen auch einen militärischen Nutzen haben. Die geplanten Maßnahmen zielen zudem auf Schlüsseltechnologien aus dem Energiebereich sowie eine Einschränkung des Zugangs zu den europäischen Finanzmärkten.
Frankreichs Waffendeal im Fokus
Angesichts der Tragödie steuert die EU nun immer weiter auf Sanktionen im Wirtschaftsbereich zu. Vor den Beratungen war der Ruf sogar nach einem umfassenden Waffenembargo gegen Russland lauter geworden, auf das sich die EU bisher nicht einigen konnte. Die ukrainische Regierung und zahlreiche westliche Staaten halten einen Abschuss des Flugzeugs durch die von Russland unterstützten Separatisten für wahrscheinlich. Wie die "New York Times" berichtete, liefern Fotos von Wrackteilen der Maschine neue Indizien für einen Raketenbeschuss mit dem russischen Flugabwehrsystem Buk. Offen ist, ob die dazu nötigen Waffen aus Russland kamen. Moskau und die ostukrainischen Separatisten weisen jede Beteiligung zurück.
Durch die neuen Beschlüsse rückt Frankreich in den Fokus, das derzeit ein milliardenschweres umstrittenes Waffengeschäft mit Russland abwickelt. Trotz internationaler Kritik will die Regierung in Paris im Oktober ein erstes Mistral-Kriegsschiff an Russland liefern. Die Lieferung eines zweiten Hubschrauberträgers macht sie von der Haltung Moskaus abhängig. Durch die erwarteten EU-Sanktionen wird der Deal aber nicht gefährdet - die sollen Steinmeier zufolge erst für künftige Verträge gelten.
Die USA kritisierten scharf die geplante Lieferung französischer Mistral-Kriegsschiffe an Russland. Der Rüstungsdeal sei "vollkommen unangemessen", sagte eine Sprecherin des US-Außenministeriums. "Wir denken, dass niemand Russland mit Waffen versorgen sollte." Auch das Weiße Haus zeigte sich verstimmt. Der Zeitpunkt für das Waffengeschäft sei "suboptimal", sagte ein Sprecher. Zuvor hatte bereits der britische Premier David Cameron den französischen Waffendeal kritisiert.
Großbritannien liefert weiter
Frankreichs Außenminister Laurent Fabius wird die Kritik zurück. Dem Fernsehsender TF1 sagt er, die Briten hätten nur zu gerne erklärt, so etwas niemals zu tun. "Aber ich habe meinen lieben britischen Freunden gesagt, lasst uns mal über den Finanzsektor sprechen." In London gebe es einige russische Oligarchen. Auf die Frage, ob das bedeute, dass Großbritannien sich zuerst um seine eigenen Angelegenheiten kümmern solle, sagt Fabius: "Exakt."
Großbritannien liefert ungeachtet des Konflikts in der Ostukraine weiterhin Waffen und militärische Ausrüstung nach Russland. Mehr als 250 Lizenzen für den Verkauf von Gütern nach Russland, die der Ausfuhrkontrolle unterliegen, seien noch gültig, teilte der Parlamentsausschuss zur Kontrolle von Waffenexporten mit. Der damalige Außenminister William Hague hatte im März angekündigt, keine militärischen Güter mehr nach Russland zu verkaufen, mit denen prorussische Separatisten in der Ukraine unterstützt werden können. Dennoch seien nur wenige Lizenzen gesperrt worden, hieß es.
Die EU-Staaten hatten 2012 die Ausfuhr von Waffen im Wert von 193 Millionen Euro nach Russland genehmigt. Davon entfallen alleine 118 Millionen Euro auf Frankreich. Deutschland liegt mit 40 Millionen Euro auf Platz Zwei der Waffenlieferanten. Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin sagte am Rande des Treffens, er sei überzeugt, dass Waffenlieferungen an Russland unter den gegebenen Umständen gegen EU-Recht verstießen.
Leichen der Opfer werden ausgeflogen
Die EU-Staats- und Regierungschefs hatten vergangene Woche noch vor dem Flugzeugabsturz eine Verschärfung der EU-Strafmaßnahmen beschlossen. Die gezielten Sanktionen gegen bisher 72 Ukrainer und Russen sollen ausgeweitet werden auf Unternehmen, Behörden oder Oligarchen, die zur Destabilisierung der Ukraine beitragen oder davon profitieren. Eine Liste mit Namen soll nun schon am Donnerstag und somit schneller als bisher geplant beschlossen werden, wie die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ankündigte.
Die Außenminister zeigten sich "geschockt" von dem Abschuss des Passagierflugzeuges. Sie riefen die Separatisten auf, einen sicheren Zugang zur Absturzstelle zu gewährleisten, um eine Untersuchung, die Identifizierung der Toten und die Überführung der Opfer in ihre Heimatländer zu ermöglichen. Russland solle dafür seinen Einfluss auf die Separatisten nutzen und das Einsickern von Waffen und Kämpfern in die Ukraine stoppen, hieß es einer gemeinsamen Erklärung. Die EU fordert zudem, die Verantwortlichen für die Tragödie von Flug MH17 zur Rechenschaft zu ziehen.
In der Ukraine kamen derweil die Untersuchungen zum Absturz in Bewegung. Die prorussischen Separatisten übergaben in der Nacht zum Dienstag den Flugschreiber der vermutlich abgeschossenen Boeing 777 an malaysische Experten. Flugschreiber und Stimmenrekorder sollen zunächst in Großbritannien ausgewertet werden.
Der Zug mit den Leichen von 282 Opfern sowie 87 Leichenteilen von 16 weiteren Personen erreichte die Stadt Charkiw, die von Kiew kontrolliert wird. Von hier sollen die sterblichen Überreste der Opfer am Mittwoch in die Niederlande geflogen werden, wo sie identifiziert werden sollen. Die Niederlande übernahmen zudem die Leitung der internationalen Untersuchung zur Absturzursache. Das Land hatte bei dem Absturz 193 Tote zu beklagen.
Quelle: ntv.de, mli/AFP/dpa/rts