Interview mit CDU-Politiker "Ein Innenminister ist kein Solist"
18.06.2018, 11:42 Uhr
Wie weit geht Seehofer im Konflikt mit der Kanzlerin?
(Foto: imago/Christian Thiel)
Viele Bundestagsabgeordnete der CDU befürworten den Kurs von Horst Seehofer, Roderich Kiesewetter gehört nicht dazu. Im Interview mit n-tv.de kritisiert er den Innenminister. Kiesewetter sagt: Die CSU hätte bei der Bundestagswahl eigenständig antreten müssen.
n-tv.de: Erwarten Sie, dass die Kanzlerin Herrn Seehofer im Asylstreit entgegenkommt?
Roderich Kiesewetter: Beide werden sich aufeinander zubewegen. Die Rhetorik war sehr scharf, die Konsequenzen waren spürbar.
Gibt es in diesem Konflikt überhaupt einen Kompromiss, mit dem beide Seiten leben könnten?
Es gibt Stimmen, die klar darlegen, dass eine Abweisung an den Grenzen zu einem Domino-Effekt an den anderen Grenzen führen und für Griechenland, Italien und Spanien im Desaster enden würde. Die Konsequenz wäre, dass diese Länder Flüchtlinge nicht mehr registrieren und sie einfach durchwinken. Für den EU-Gipfel Ende Juni wird es entscheidend sein, Ländern wie Griechenland und Italien zu zeigen, dass Abweisungen an unseren Grenzen nicht zu einer Überlastung führen. Parallel muss man Griechen und Italienern entgegenkommen durch Registrierungsbeamte, Aufnahmekapazitäten und finanzielle Unterstützung. Diese Länder dürfen sich nicht wie bis 2015 von Deutschland im Stich gelassen fühlen. Die Ursache des ganzen Desasters war ja, dass die Bundesregierung bis dahin immer gesagt hat: Es gilt Schengen, es gilt Dublin, Griechenland und Italien sind zuständig. Durch unsere Politik waren diese Länder überfordert. Die Signale, die es bereits 2012 gab, haben wir nicht verstanden.
Kann die Kanzlerin in den zwei Wochen bis zum EU-Gipfel überhaupt so viel bewegen?
Griechenland und Italien haben inzwischen auch erkannt, dass man die Flüchtlingskrise nur durch Kooperation lösen kann. Allein das Signal, dass Deutschland bereit wäre, Zurückweisungen an den Grenzen durchzuführen, hat in diesen Ländern zu großer Aufmerksamkeit geführt. Nicht nur CDU und CSU müssen sich aufeinander zubewegen, sondern auch Europa. Merkel hat eindeutig recht. Wir können nicht mit einseitigen Schritten arbeiten. Dann würden wir das Flüchtlingschaos sogar noch erhöhen. Deshalb ist es gut, wenn Seehofer einen Plan vorbereitet, der möglichst bald, aber nicht unbedingt in 14 Tagen, Zurückweisungen ermöglicht, quasi einen Schubladenplan, aber auf der Grundlage von bilateralen Vereinbarungen. Das heißt, wir müssen mit Griechenland und Italien Übereinkünfte erzielen.
Ist denn mit der neuen rechtspopulistischen italienischen Regierung eine Zusammenarbeit möglich?
Die neue italienische Regierung muss Erfolge vorweisen. Wenn Deutschland die Zurückweisungen an den Grenzen vornehmen würde, kann sie das nicht. Deshalb ist sie auf Kooperation angewiesen.
Sie sprechen von einem Schubladenplan. Das klingt ja fast, als ob die Bundesregierung mit der Zurückweisung an den Grenzen drohen sollte, um einen bestimmten Effekt zu erreichen.
Das ist eine Nebenwirkung, die ich persönlich für falsch halte, die aber sicherlich eine gewisse Wirkung hat. Es wäre hilfreich gewesen, wenn Seehofer sich intensiver mit der Kanzlerin abgestimmt und man im engen Schulterschluss Alternativen durchgesprochen hätte. Die Art und Weise, wie der Masterplan kommuniziert wurde, ist misslich. Ein Innenminister spielt im Orchester und ist kein Solist.
Es steht immer noch das Szenario im Raum, dass Seehofer per Ministererlass damit beginnen könnte, gegen den Willen der Kanzlerin Flüchtlinge an der Grenze zurückzuweisen. Wie müsste Angela Merkel dann reagieren?
Ich kann nur vor einer Eskalation warnen. Auch in der Bevölkerung kommt so etwas nicht gut an. Deutschland zeichnet es aus, ausgleichender Faktor in der Mitte Europas zu sein. Ein solcher Alleingang wäre deshalb sehr schädlich. Sollte Seehofer einseitig agieren, was ich nicht glaube, dann müsste Angela Merkel reagieren. Am Ende dürfte dann nicht ihr Rücktritt stehen, sondern eine Aufforderung an Seehofer. Oder Seehofer müsste aus Einsicht sein Amt aufgeben. Aber das ist alles Spekulation.
Laut einem Bericht der "Welt am Sonntag" hat Seehofer intern gesagt, er könnte mit Merkel nicht mehr zusammenarbeiten. Wie belastet ist das Verhältnis?
Ich weiß nicht, wer solche Zitate verbreitet. Da gibt es immer nachgelagerte Interessen. Ich halte so etwas für schädlich.
Sie stehen in Kontakt zu Ihren Fraktionskollegen aus der CSU. Wie ist die Stimmung?
Die CSU-Landesgruppe hat auch sehr viele liberale Kräfte, aber es gibt auch internen Druck. Ich hoffe, dass die moderaten Stimmen Gehör finden. Mein Wahlkreis grenzt an drei bayerische Bundestagswahlkreise, weshalb ich mit vielen Kollegen in Kontakt stehe und sehr gut zusammenarbeite.
Halten Sie ein Ende der Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU für möglich?
Wenn die CSU konsequent gewesen wäre, wäre sie zum Bundestagswahlkampf 2017 eigenständig angetreten. Ich bin froh, dass das nicht so war. Aber jetzt noch einmal den Geist von Kreuth heraufzubeschwören, nachdem endlich nach sieben Monaten die Regierung gebildet worden ist, halte ich für töricht. Entscheidend ist, dass die Union in kritischen Lagen dieses Landes, schon vor der Wiedervereinigung, vieles gelöst hat, weil sie zusammenstand. Durch Trennung schaffen wir nur mehr Probleme und Instabilität. Wir gefährden dadurch auch unser Parteiensystem. Ich bin allerdings zuversichtlich, dass sich das löst.
Mit Roderich Kiesewetter sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de