Varoufakis und der Stinkefinger Fake-Fake ist das neue Real
19.03.2015, 11:59 Uhr
Jan Böhmermann, Moderator des "Neo Magazin Royal".
(Foto: picture alliance / dpa)
Die Farce um einen vor zwei Jahren gezeigten Mittelfinger bringt das Schlechteste und das Beste des Fernsehens zum Vorschein. Am Ende ist die Satire näher an der Wahrheit als eine Politiksendung.
Moment mal. Hat Deutschland jetzt wirklich drei Tage lang über eine Geste diskutiert, die eine Sekunde gedauert hat und zwei Jahre her ist? War es wirklich notwendig, diese Geschichte auf einer ganzen Seite in Deutschlands auflagenstärkster Zeitung auszubreiten? Kommt es wirklich darauf an, ob ein Ökonom seine Sicht der Eurokrise mit einer provokanten Geste unterstreicht?
Das fragte sich wohl auch Jan Böhmermann, Deutschlands noch recht unbekannter, aber vielleicht bester Satiriker. Böhmermann erkannte die Kerbe in der Debatte um den Mittelfinger des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Und er schlug voll hinein.
Zur Erinnerung: Im Jahr 2010 stand Griechenland vor dem Bankrott. Wenn das Land wirklich pleitegegangen wäre, hätten die griechischen Staatsanleihen, von denen auch deutsche Banken einige gekauft hatten, keinen Wert mehr. Die Bankenkrise hätte sich dramatisch ausweiten können. Darum gaben die Eurostaaten Griechenland Geld und verlangten im Gegenzug Einsparungen. Der Ökonom Varoufakis fand das falsch. Er hätte Griechenland damals pleitegehen lassen und Deutschland "den Finger gezeigt". Deutsche Banken wären vielleicht kollabiert, aber Griechenland wäre schuldenfrei gewesen. So erzählte er es im Mai 2013 auf dem "Subversive Festival" in Zagreb.
Zwei Jahre später wird ein Video dieser Rede auf Youtube hochgeladen und schafft es in einige Medien. Es taucht in einem völlig überdrehten Einspieler in Böhmermanns Satire-Sendung "Neo Magazin Royale" auf und dann auch beim Polit-Talk von Günther Jauch. Dort allerdings wird das Video in einen falschen Kontext gestellt. Varoufakis' Halbsätze werden so aneinandergeschnitten, dass der Zuschauer denken muss, er provoziere Deutschland im Jahr 2013. Und das, obwohl Deutschland Griechenland damals schon mit Milliardengarantien geholfen hatte.
Schwachsinn mit Schwachsinn bekämpfen
Varoufakis wird mit dieser Szene konfrontiert und macht einen Fehler. Anstatt zu sagen, er könne sich nicht daran erinnern und wolle einen so kurzen Ausschnitt nicht kommentieren, sagt er: "Das Video ist manipuliert. Ich habe den Finger nicht gezeigt." Das ist offensichtlich nicht die Wahrheit.
Aber das richtige Opfer der Medienschelte wäre nicht Varoufakis, der live falsch reagierte, sondern die Redaktion von Günther Jauch, die in aller Ruhe Videomaterial manipulativ zusammenschnitt und kommentierte.
Böhmermann deckt das auf, indem er der schwachsinnigen Debatte noch eine weitere Schwachsinnigkeit auflädt. Er lässt das Zitat "Deutschland den Finger zeigen" bestehen und entfernt nur die Geste aus dem Video. Ergibt das inhaltlich einen Unterschied? Nein. Es raubt dem Medium Fernsehen nur das Bild, das zum Symbol für die vermeintliche Unverschämtheit und die vermeintliche Lüge des griechischen Finanzministers wird.
Böhmermann findet die Kerbe und haut zu. Dass er das kann, hat er schon oft bewiesen. Er erfand als Radio-Comedian das Zitat "Fußball ist wie Schach, nur ohne Würfel" und schaffte es, dass dieser Satz Lukas Podolski zugeschrieben wurde. Als Vorlage für seinen neuesten Coup diente eine Aktion, mit der er dem Kollegen Stefan Raab eins auswischte: Böhmermanns Team produzierte eine chinesische Quizsendung als Kopie von Raabs "Blamieren oder Kassieren", lud sie bei Youtube hoch und wartete, bis Raab das Video entdeckte und in der eigenen Sendung zeigte.
Auch Varoufakis fällt drauf rein
Man fühlt sich auch erinnert an den Coup des Satire-Magazins Postillon, das eine Meldung zu Roland Pofalla zurückdatierte und damit den Eindruck erweckte, die Medien seien auf eine Satire hereingefallen und Pofalla würde gar nicht ohne Übergangszeit vom Kanzleramt zur Bahn wechseln. Oder an den Wikipedia-Fälscher, der im Wikipedia-Artikel von Karl-Theodor zu Guttenberg einen elften Vornamen hinzufügte, der sich letztlich auf der Titelseite der "Bild"-Zeitung wiederfand.
Varoufakis selbst sagt, was der Sinn des Ganzen ist: "Humor, Satire und Selbstironie sind großartige Lösungen für blinden Nationalismus", twittert er Böhmermann. "Wir Politiker brauchen euch dringend."
Kurz zuvor wandte er sich an Günther Jauch: "Gibt es eine Entschuldigung? Dafür, ein manipuliertes Video verwendet zu haben, um eine versöhnliche griechische Stimme zum Schweigen zu bringen?" Varoufakis ist selbst auf Böhmermanns Fake-Fake hereingefallen. Offensichtlich kann er sich wirklich nicht an den Stinkefinger erinnern. Und damit ist die von Jan Böhmermann manipulierte Version sogar näher an der Wahrheit als die von Günther Jauch.
Quelle: ntv.de