Politik

Konsultationen in Indien Flüchtlingsdebatte verfolgt Merkel

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Es ist eine beeindruckende Reisegruppe: Bei ihrem Indien-Besuch wird Kanzlerin Merkel von gleich einem Dutzend Minister und Staatssekretären begleitet. Unternehmen wollen Fuß fassen in der großen Regionalmacht. Doch ein Thema daheim wiegt schwer.

Wer sich Gedanken darüber macht, wie das Nebeneinander verschiedener Kulturen und Sprachen funktionieren kann - der ist in Indien richtig.

Wieviele Religionen, Sprachen und Völker es in der weltgrößten Demokratie gibt, weiß niemand so genau zu sagen. In Delhis Altstadt liegt nicht weit von Indiens größter Moschee ein Hindutempel, und daneben einer der Jain. Wer hineingeht, muss nicht nur die Schuhe, sondern sogar den Ledergürtel am Eingang abgeben. Denn die Jain haben sich dem Schutz aller Lebewesen verschrieben. Zum Tempel gehört ein "Vogel-Hospital", wo die Jain verletzte Vögel pflegen.

Das Nebeneinander funktioniert in Delhis Alltagschaos ganz gut. Anders sieht es dagegen jedoch vielfach auf dem Land und an den Randbereichen des Landes mit seinen 1,3 Milliarden Menschen aus. Konflikte zwischen Hindus und Muslimen gibt es immer wieder, wenn die Radikalen beider Seiten aneinander geraten. Aktuell sorgt ein Fall für Aufsehen: Hindus sollen einen Mann, der angeblich Rindfleisch gegessen hat, gelyncht haben. Kühe sind den Hindus heilig.

Indiens Premier und Gastgeber der Kanzlerin, Narendrar Modi, hat diesen Lynchmord nicht sehr nachdrücklich verurteilt. Er gilt als Hindu-Nationalist. Allerdings hat auch die Bundesregierung erleichtert zur Kenntnis genommen, dass der Regierungschef weniger radikal auftritt als während seines Wahlkampfes.

Unternehmer hoffen - Indien hofft

Mit Multi-Kulti kennt sich Modi jedenfalls aus, und da stellen sich ja auch in Deutschland gerade eine Menge Fragen. Doch deshalb ist die Kanzlerin mit fast einem Dutzend Ministern und Staatssekretären nicht nach Indien gereist - im Gegenteil. Drei Tage lang soll es zur Abwechslung um was anderes gehen als um die Flüchtlingsfrage. Die Welt dreht sich schließlich normal weiter.

Indien ist eine Regionalmacht in Asien und lockt mit starkem Wirtschaftswachstum deutsche Unternehmen - um deren Investitionswünsche jedoch mit undurchschaubarer Bürokratie gleich wieder zu stoppen. Das wichtigste Abkommen aus Sicht der deutschen Wirtschaft heißt deshalb "Fast track". Es soll Unternehmer mit Hilfe fester Ansprechpartner auf einem schnellen Weg durch den Beamtendschungel führen. Indien will dagegen die Berufsausbildung junger Menschen verbessern und dabei von Deutschland lernen.

Das ist alles ziemlich wichtig. Trotzdem hat man das Gefühl, dass diese Reise etwas aus der Zeit gefallen ist. Weil es derzeit eben ein noch ganz viel wichtigeres Thema gibt, bei dem alle in Deutschland auf die Kanzlerin schauen.

Flüchtlingsthema reist mit

Doch über die Flüchtlinge will sie eigentlich nicht reden. Jedenfalls nicht auf dem Hinflug, im Gang eines tarngrauen Airbus A310. In den mussten Merkel und Journalisten umsteigen, weil der viel größere Regierungsairbus A 340 defekt war. Da steht Merkel also nun, neben ihr der Bundesaußenminister, beide eingerahmt von Medienvertretern. Nur über Indien und die Reise will sie sprechen, bis dann doch einer fragt: Ob es eine Grenze der Aufnahmefähigkeit Deutschlands gebe? Halb hat Merkel sich schon abgedreht - dann antwortet sie doch, ungefähr das, was sie auch am Tag zuvor gesagt hat: Deutschland allein kann dieses Problem nicht bewältigen. Die Lösung liege auch in Libyen, in Syrien, in der Türkei. Deutschland und Europa müssen diese Aufgabe jetzt anpacken. Dafür werde es viel Zeit brauchen. Und sie werde sich nicht wegducken, sagt die Kanzlerin.

Die Worte sind nicht ganz neu - Merkel verteidigt ihre Entscheidungen mit dem Argument, dass niemand den Strom der Flüchtlinge stoppen könne, und dass alle nun damit umgehen müssten. Bemerkenswert ist ihre Entschlossenheit. Kein Zweifel, kein Zögern - obwohl sie in den Umfragen abrutscht, Seehofer sich ihr in den Weg stellt und Deutschlands Kommunalpolitiker verzweifeln.

Merkel weiß um die Probleme vor Ort bei der Unterbringung der Flüchtlinge. Und sie weiß, was dort alle erwarten, in den Kommunen und an der Basis von CDU und CSU: Dass Merkel einen Plan hat. Aber den hat sie nicht. Sie kann keine schnelle Lösung anbieten.

Ein mitreisenden Minister erzählt in Indien, dass er kürzlich mit Merkel bei einem Routinetermine in Berlin gewesen sei. Auf dem Weg dorthin habe Merkel angedeutet, dass sie dafür den Kopf eigentlich gerade nicht frei hat. Dann hat sie den Termin doch durchgezogen.

Vielleicht ist die Kanzlerin auch bei der Indienreise nicht ganz bei der Sache. Anmerken lässt sie sich das nicht, obwohl es Anlass dazu gäbe: Während Merkel mit Modi spricht, kommt die Meldung, dass dieses Jahr möglicherweise bis zu 1,5 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland kommen werden.

Ob sie darüber mit dem indischen Premier gesprochen habe, wird Merkel anschließend gefragt - ihre Antwort fällt höchst sparsam aus: Man sei sich einig, dass eine Lösung des Syrienkonflikts größte Bedeutung habe. Dann schneller Abgang. Nachfragen unerwünscht.

Quelle: ntv.de

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