Experte über den SPD-Wahlkampf "Gabriel könnte die Wende bringen"
07.09.2017, 13:52 Uhr
Sollte Sigmar Gabriel das Ruder in der SPD übernehmen?
(Foto: picture alliance / Paul Zinken/d)
Der Wahlkampf geht in die letzte Runde. Die Parteien haben noch zweieinhalb Wochen, bis die Wähler entscheiden. Hat die SPD bis noch eine Chance, die Wahl zu gewinnen? n-tv.de sprach mit dem Kommunikationswissenschaftler Joachim Trebbe.
n-tv.de: Die Forsa-Sonntagsfrage zeigt die Union mit 15 Punkten Vorsprung vor den Sozialdemokraten. Kann die SPD das noch aufholen?
Joachim Trebbe: Nach menschlichem Ermessen würde ich sagen: Das kann die SPD nicht. Es hat zwar in der Vergangenheit ein paar Umschwünge bei Wahlen gegeben - das nennen Wahlforscher "Last-Minute-Swings". Aber da ging es immer um maximal fünf oder sechs Prozentpunkte, die man vielleicht noch durch Unentschlossene herausholen konnte. Es ist unwahrscheinlich, dass das dieses Mal passiert.
Was müsste die SPD tun, um noch etwas zu ändern?
Sie müsste einen absolut besonderen, überraschenden und emotionalen Coup landen. Prinzipiell müsste sie einen Effekt wie bei der Nominierung von Schulz wiederholen. Da gingen die Zustimmungswerte und die Wahlabsichten für die SPD extrem nach oben. Aber ich glaube, das TV-Duell hat gezeigt, dass mit der normalen, sachlichen und einschläfernden Auseinandersetzung nichts mehr zu gewinnen ist.
Wie könnte ein Ereignis wie die Nominierung von Schulz wiederholt werden?
Ich glaube nicht, dass sich die zuständigen Leute in der SPD das trauen. Gabriel hat bei der letzten Bundestagssitzung und auch bei den Interviews rund um das TV-Duell ein bisschen Charisma durchblitzen lassen. Wenn sie jetzt sagen würden "Gabriel soll es doch machen", wäre die Überraschung vielleicht so groß, dass viele Wähler sagen würden: "Ja, das ist toll, das machen wir, der ist jetzt unser Mann." Aber so ein Schritt wäre mit einem so großen Risiko verbunden, dass ich mir das nicht vorstellen kann.
Hätte das TV-Duell Martin Schulz und der SPD denn einen Schub nach vorne bringen können?
Ich glaube schon. Ich persönlich bin auch nicht ganz damit einverstanden, dass Merkel dieses Duell gewonnen haben soll, was die Rhetorik angeht. Aber in der Wahrnehmung der Zuschauer, Wähler und Journalisten ist die Zustimmung zu dem, was Merkel da präsentiert hat, relativ hoch. Schulz hätte sicher eine Chance gehabt, mehr populistisch oder populär zu argumentieren. Dass das schwierig ist, ist ein bisschen das Dilemma der Großen Koalition und auch seiner Vergangenheit als europäischer Funktionär geschuldet. Da kann Schulz nicht aus dem Vollen schöpfen, was die Kritik an der Bundesregierung und an der europäischen Politik der Bundesregierung betrifft.
In den US-Präsidentschaftswahlen haben die Umfragen ein anderes Ergebnis vorhergesagt und Hillary Clinton als Siegerin präsentiert. Könnte es auch in Deutschland einen Umschwung im letzten Moment geben?
Solche Abweichungen hat es bei Bundestagswahlen ja schon häufiger gegeben, besonders, was den Eintritt der kleineren Parteien in die Parlamente angeht - oder auch die Abstände zwischen Union und SPD. Bei Merkel und Schröder war es 2005 super knapp. In Amerika ist die Situation etwas anders, das System der Wahlmänner verzerrt alles ein bisschen. Wir haben ein stärker lineares Wahlsystem. Ginge es um fünf Prozent Differenz in den Umfragen, wäre ich mit einer Prognose vorsichtiger. Aber bei diesem Abstand zwischen Union und SPD wäre es schon sehr ungewöhnlich, wenn da noch etwas Gravierendes passieren sollte.
Zu welcher Strategie würden Sie der SPD in der jetzigen Situation raten?
Die SPD muss aufpassen, dass sie ihren Kanzlerkandidaten jetzt nicht verheizt. Schulz wird die Wahl verlieren und er wird sie mit Anstand verlieren, weil er sich mit Merkel gut versteht. Der SPD bleibt nichts anderes übrig, als darauf zu setzen, dass die Große Koalition fortgesetzt wird. Das Worst-Case-Szenario für die SPD wäre, wenn es eine Jamaika-Koalition oder Schwarz-Gelb gäbe. Müntefering hatte Recht, als er sagte "Opposition ist Mist". Das gilt ganz besonders für die Sozialdemokraten. Vielleicht hätte die SPD in vier Jahren aus der Opposition heraus wieder bessere Chancen. Dann würde sie jetzt allerdings erst einmal die Macht verlieren. Und das ist im Moment nicht in ihrem Interesse.
Mit Joachim Trebbe sprach Philip Ziche
Quelle: ntv.de