Exegese der Ampel-Beschlüsse Grünen-Chefin sieht "große Lücke", Ökonomen sind zufrieden
29.03.2023, 11:43 Uhr Artikel anhören
Ricarda Lang (Mitte) sieht noch Luft nach oben.
(Foto: dpa)
Was bringen die Ergebnisse des Ampel-Marathons? Auch wenn sich die Koalition, wenig verwunderlich, für ihre Beschlüsse lobt, mag sich Grünen-Chefin Lang nicht ganz zufriedengeben. Da weiß sie immerhin Umweltschützer und Union an ihrer Seite. Lob gibt es aber auch.
Die Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang hat die Ergebnisse des Koalitionsausschusses gegen Kritik auch aus den eigenen Reihen verteidigt. "Wir müssen uns fragen, wie würde das Ergebnis aussehen, wenn die Grünen nicht in der Regierung wären", sagte sie in der ARD. Es sei "gut und wichtig" gewesen, dass die Koalition nach harten Verhandlungen zu einem Ergebnis gekommen sei.
Allerdings räumte Lang ein, dass die Ergebnisse zum Klimaschutz nicht ausreichten. "Vor allem beim Verkehr bleibt eine große Lücke, wenn es um die Reduktion von CO2 geht." Gleichzeitig seien Fortschritte darin. "Deshalb sind wir am Ende diesen Weg gegangen zu sagen, statt dass es einen Rückschritt beim Klimaschutz (gibt), kämpfen wir für mehr Klimaschutz innerhalb dieser Koalition", sagte Lang. "Zufriedengeben kann man sich mit dem, was beschlossen worden ist, nicht, aber es sind Fortschritte, und jetzt arbeiten wir mit dem Ergebnis."
CSU: "Nicht mal ein Wümmschen"
Zufrieden geben können sich auch nicht die Opposition und Umweltschützer. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt kritisierte die Ergebnisse des Koalitionsausschusses. "Das ist kein Wumms, das ist schon gar kein Doppel-Wumms. Das ist, glaube ich, nicht mal ein Wümmschen", sagt der CSU-Politiker im "Frühstart" von ntv. SPD, Grüne und FDP hätten sich offensichtlich auf kleine gemeinsame Nenner verständigt. Er nannte die Grünen die Verlierer der Diskussionen. "Ein Eindruck, den man gewinnen kann, ist, dass die Grünen ziemlich gerupft aus dieser Veranstaltung rausgehen."
Unions-Fraktionsvize Andreas Jung zeigte sich ebenfalls entsetzt. "Ich bin nicht nur enttäuscht, ich bin in Teilen fassungslos", sagte Jung in der ARD. Lange diskutierte Streitfragen seien zum Teil ausgeklammert worden, so sei nichts zum Haushalt oder zur Kindergrundsicherung beschlossen worden, monierte er. Bei der Heizungsfrage gebe es "nur Allgemeinplätze", aber keine Antworten. "Und jetzt wird auch noch das Klimaschutzgesetz aufgeweicht", beklagte Jung.
Umweltschützen: Scholz ist "Klimakatastrophenkanzler"
Scharfe Kritik kam von Umweltschützern. Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) erklärte, insbesondere die geplante Aufweichung des Bundesklimaschutzgesetzes stelle eine absolute Katastrophe dar. Bundeskanzler Olaf Scholz zeige "sein wahres Gesicht als Klimakatastrophenkanzler". Die Umwelthilfe forderte den Bundestag auf, dieses "Desaster" zu verhindern. "Diese Anti-Klimaschutz-Koalition legt allen Ernstes Hand an das Bundesklimaschutzgesetz. Damit versündigt sie sich an allen künftigen Generationen", sagte Bundesgeschäftsführer Jürgen Resch. Das geplante Schleifen des Klimaschutzgesetzes mit den verpflichtend einzuhaltenden jährlichen Sektorzielen widerspreche komplett Geist und Inhalt des Klimaschutzurteils des Bundesverfassungsgerichts. Im Verkehrsbereich seien "die Horror-Nachrichten kaum zählbar".
Sozialverbände kritisierten zudem, dass die Ampel-Parteien nach ihrem Koalitionsausschuss keinerlei Aussagen zur Zukunft der Kindergrundsicherung getroffen haben. "Die 'Ampel' vertagt die Zukunft der Kinder auf den Sankt Nimmerleinstag", erklärte der Präsident des Kinderschutzbundes, Heinz Hilgers. Die Einführung der Kindergrundsicherung, mit der bestehende familienpolitische Leistungen zusammengeführt und ausgebaut werden sollen, brauche einen längeren zeitlichen Vorlauf, mahnte er.
Lob von Ökonomen
Ökonomen bewerten die Beschlüsse der Ampelparteien im Koalitionsausschuss dagegen weitgehend positiv. Das Paket sieht "pragmatische und meiner Einschätzung nach sehr vernünftige Lösungen vor", sagte die Wirtschaftsweisen-Vorsitzende Monika Schnitzer dem "Handelsblatt". Ihre Kollegin bei den Wirtschaftsweisen, Veronika Grimm, erklärte: "Die Ergebnisse machen Mut, dass die Koalition handlungsfähig ist. Ein wichtiges Signal." Und der Düsseldorfer Ökonom Jens Südekum sagte: "Insgesamt hat sich die Nachtsitzung der Ampel gelohnt."
Vor allem kam gut an, dass der Klimaschutz auf eine neue Basis gestellt werden soll. Die Koalitionspartner verständigten sich darauf, das Klimaschutzgesetz zu reformieren. Im Mittelpunkt steht dabei das Ziel, die starren Sektorgrenzen bei den Klimazielen zu überwinden und künftig anhand einer sektorübergreifenden und mehrjährigen Gesamtrechnung zu überprüfen. "Das führt zu effizienterem Klimaschutz - und dadurch mehr davon", sagte Grimm.
Deutsche Bahn sieht Weichenstellung
Der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bahn, Richard Lutz, begrüßte das Ergebnis des Koalitionsausschusses, "den Investitionsstau beim deutschen Schienennetz entschlossen abzubauen". Die Entscheidungen seien "eine wirkliche Weichenstellung für das Schienennetz der Zukunft", erklärte Lutz. Jetzt seien die Voraussetzungen geschaffen, gemeinsam mit den Partnern aus Branche und Industrie die veraltete und störanfällige Schieneninfrastruktur konsequent zu modernisieren und zu digitalisieren. "Mehr Qualität und Kapazität auf unserem überlasteten Netz sind der entscheidende Schlüssel, um einerseits die ehrgeizigen Wachstumsziele für die Schiene zu erreichen und andererseits die derzeit unbefriedigende Pünktlichkeit zu verbessern", so Lutz. "Kurzum, das sind gute Nachrichten für das Klima, für die Menschen und die Wirtschaft."
Der Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, Felix Pakleppa, bewertete die Ergebnisse des Koalitionsausschusses ebenfalls positiv. "Es ist gut, dass der Ampelausfall heute stellenweise behoben wurde und der Verkehr wieder fließen kann - und zwar auf Straße und Schiene", sagte er. Angesichts der Mammutaufgaben im Verkehrsbereich brauche man dringend schnellere und schlankere Planungsabläufe. "Die Schiene dabei gegen die Straße auszuspielen, hätte unseren Wirtschaftsstandort lahmgelegt", erklärte Pakleppa. Allein der Ausbau der Ladeinfrastruktur für die Elektromobilität sei anders gar nicht realisierbar. Außerdem begrüßte er, dass die Ampelkoalition die europäische Vorlage zur Maut umsetze und weiterhin Handwerkerfahrzeuge von der Maut befreien.
Quelle: ntv.de, ghö/dpa/DJ