Politik

Sicherheitsrisiko für Europa? Karibik-Staaten verscherbeln Pässe für visafreie EU-Einreise

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Der Karibikstaat Dominica verkauft seine Staatsbürgerschaft schon für 100.000 Dollar.

Der Karibikstaat Dominica verkauft seine Staatsbürgerschaft schon für 100.000 Dollar.

(Foto: IMAGO/Pond5 Images)

Fünf karibische Länder verkaufen ihre Staatsbürgerschaften zum Niedrigpreis. Das Geschäft mit "goldenen Pässen" boomt. Manch ein Land vergibt fast so viele Pässe, wie es Einwohner hat - auch an sanktionierte Oligarchen, einen afghanischen Ex-Spion und einen irakischen Atomwaffenforscher.

Dominica, St. Lucia, St. Kitts und Nevis, Antigua und Barbuda, Grenada - die wunderschönen Urlaubsziele in der Karibik sind ein Eldorado für Reisepasskäufer. Wie viele andere Länder auch verkaufen die kleinen Nationen seit mehreren Jahren ihre Staatsbürgerschaften gegen Geld. Anders als Spanien, Portugal, Griechenland oder die Türkei sind die Anforderungen an die Passkäufer in den karibischen Ländern allerdings so niedrig, dass sie ein "potenzielles Sicherheitsrisiko" für Europa darstellen, wie es die EU-Kommission in ihrem aktuellsten Bericht zu der Thematik formuliert.

Demnach haben die fünf karibischen Kleinstaaten mittlerweile gemeinsam 88.000 Staatsbürgerschaften verkauft - laut der EU-Kommission deutlich mehr, als sie offiziell angeben. Besonders fleißig soll dem Bericht zufolge Dominica gewesen sein mit 34.500 verkauften Pässen sowie St. Kitts und Nevis mit 36.700.

Zur Einordnung: Auf Dominica leben insgesamt knapp über 70.000 Menschen, St. Kitts und Nevis hat nur 39.000 Einwohner. Damit hat der kleine Karibikstaat fast genauso viele Pässe verkauft, wie Menschen auf der Inselgruppe leben. "St. Kitts und Nevis hat diesen Verkauf von Staatsbürgerschaften quasi erfunden. Die machen das mit großem Erfolg", berichtet Dominika Langenmayr, Lehrstuhlinhaberin für Volkswirtschaftslehre an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt, im ntv-Podcast "Wieder was gelernt".

Ein Sicherheitsrisiko sieht die EU-Kommission in dem Geschäft primär deswegen, weil die Karibikstaaten in vielen Fällen die visafreie Einreise nach Europa ermöglichen. "Darin liegt zum großen Teil der Wert einer Staatsbürgerschaft", sagt Langenmayr: "Wohin kann ich damit reisen? Welche Länder erlauben visafreie Einreise?"

Viele Interessenten aus China und Russland

Ein "goldener Pass" von St. Kitts und Nevis kostet 150.000 Dollar (140.000 Euro). Antigua und Barbuda sowie Grenada verkaufen ihre Staatsbürgerschaften für dieselbe Summe. Die Pässe von St. Lucia und Dominica werden für 100.000 Dollar (93.000 Euro) angeboten.

Die Anforderungen an die Passkäufer sind dabei äußerst gering. Antigua und Barbuda fordert von seinen neuen Staatsbürgern, dass sie innerhalb der ersten fünf Jahre nach Kauf der Staatsbürgerschaft mindestens fünf Tage im Land verbringen. Auf Dominica ist seit Mitte vorigen Jahres zumindest ein persönliches Gespräch im Antragsprozess verpflichtend. Die anderen Länder müssen von ihren neuen Bürgern dagegen kein einziges Mal betreten werden. Steuern werden im neuen Passland nicht fällig. Auch ein Sprachtest oder Ähnliches sei nicht erforderlich, um an den "goldenen Pass" zu kommen, beschreibt Ökonomin Langenmayr.

Wie wertvoll die Staatsbürgerschaften sein können, zeigt sich bei den Hauptantragsstellern: Die meisten Käufer und Interessenten kommen aus China und Russland sowie dem Nahen und Mittleren Osten. Sie profitieren als Inhaber von "goldenen Pässen" von deutlich mehr Reisefreiheit als ihnen ihre jeweiligen Heimatpässe bieten. Beispielsweise ist plötzlich die visafreie Einreise in die USA möglich. Auch die EU-Kommission schreibt in ihrem Bericht: Chinesen, Russen, Iraner und andere hätten in den vergangenen Jahren Zehntausende Pässe gekauft, um visumfrei in die EU einreisen zu können.

Sicherheitschecks? In der Theorie umfangreich

Zumindest in der Theorie soll es mittlerweile "relativ umfangreiche Sicherheitsüberprüfungen" geben. Dafür sei besonders der politische Druck der USA ausschlaggebend, sagt Expertin Langenmayr. "Für viele dieser karibischen Staaten ist wichtig, die visafreie Einreise in die USA beizubehalten." Die Sorge sei groß, dass die USA den Bürgern der karibischen Länder eines Tages aufwendige Einreiseverfahren aufdrücken. "Deshalb kommen sie den USA sehr weit entgegen und führen die Sicherheitsüberprüfungen teils sogar in Zusammenarbeit mit den Amerikanern durch."

Auch der russische Angriff auf die Ukraine hat Auswirkungen: Anträge von Menschen aus Russland oder Belarus werden seit März 2022 von den Karibikstaaten gar nicht mehr bearbeitet.

Ablehnungsquote von nur zwei Prozent

Dieses Problem hat auch die EU erkannt. Die Europäische Kommission prangerte in ihrer Analyse die "extrem niedrige Ablehnungsquote" von Passanträgen in den fünf ostkaribischen Staaten an. Demnach werden nur drei bis sechs Prozent der Anträge zurückgewiesen. Im Jahr 2016 prahlte der damalige Vorsitzende des Passprogramms von Dominica sogar noch mit einer Ablehnungsquote von nur zwei Prozent. Kein Wunder, das sogenannte "Citizenship-by-Investment-Program" füllt die klammen Staatskassen kleiner Länder wie Dominica.

In Verbindung mit den kurzen Bearbeitungszeiten von teils nur zwei Monaten werfe das "Fragen hinsichtlich der Gründlichkeit der Sicherheitsüberprüfungen auf", schreibt die EU-Kommission. Zwar finde in den meisten Fällen ein Informationsaustausch mit dem Herkunftsland des Antragstellers statt, allerdings "scheint dies nicht systematisch zu geschehen", bemängelt Brüssel. Überprüfungsverfahren würden zudem teils an private Unternehmen ausgelagert. "Das weckt Zweifel hinsichtlich des Zugangs zu Informationen der Strafverfolgungs- und Justizbehörden im Herkunftsland des Antragstellers."

50.000 verkaufte Pässe pro Jahr

Insgesamt würden derzeit pro Jahr weltweit etwa 50.000 Staatsbürgerschaften verkauft, sagt Volkswirtin Langenmayr. In einigen Fällen gehe es den Passkäufern darum, Steuern zu hinterziehen. "Das ist ein großer Bereich, die Steuerhinterziehung und der steuerliche Informationsaustausch, der damit umgangen werden kann. Die Steueroasen berichten inzwischen alle an die Länder mit höheren Steuersätzen, wer dort Konten hat. Aber wenn man mit einem Pass aus einem dieser Staaten ein Konto in den Steueroasen eröffnet, erhält das Land, das die Staatsbürgerschaft verkauft hat, diese Informationen."

Und die Passverkäufer-Länder besteuern keine Kapitaleinkünfte von jemandem, der nicht tatsächlich auf einer der Inseln wohnt. "Also kann man den steuerlichen Informationsaustausch umgehen und natürlich auch andere Dinge, wo die Herkunft wichtig ist. Etwa Sanktionen oder Maßnahmen gegen Geldwäsche", merkt Expertin Langenmayr im Podcast an.

Dass "goldene Pässe" auch Kriminelle anlocken, ist nicht neu. Es gebe Hinweise darauf, dass einige Länder die Sicherheitsprüfungen "gegen zusätzliche Zahlungen manchmal auch etwas flexibler handhaben", sagt Langenmayr.

Prominentestes Beispiel ist Zypern. Der Inselstaat hat das Dokumentengeschäft Ende 2020 auf Eis gelegt, nachdem der Fernsehsender Al Jazeera nachgewiesen hatte, dass Zypern seine Staatsbürgerschaften sogar wissentlich an Kriminelle verkaufte.

Auch Dominica lockte durch das "Citizenship-by-Investment-Program" zwielichtige Gestalten an. Darunter befinden sich sanktionierte russische Oligarchen, der ehemalige Atomwaffenforscher des irakischen Diktators Saddam Hussein und ein früherer afghanischer Geheimdienstchef, der einen Folterkeller betrieben haben soll. Das haben internationale Medien wie der Guardian in Zusammenarbeit mit dem Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) ausgewertet, einer amerikanischen Denkfabrik, die sich gegen organisierte Kriminalität und Korruption einsetzt.

"Potenzielle Sicherheitsrisiken"

Wie leicht es Kriminellen gemacht wird, zeigt sich auch dadurch, dass die karibischen Länder ihren neuen Staatsbürgern erlauben, ihre Identität zu wechseln. In Antigua und Barbuda sowie in Dominica ist das fünf Jahre nach dem Passkauf möglich, in Grenada nach einem Jahr, und in St. Kitts und Nevis sogar sofort.

Die EU-Kommission sieht darin "potenzielle Sicherheitsrisiken", gibt sich aber wortkarg, wenn es darum geht, konkret etwas zu unternehmen. Brüssel wolle "weiterhin eng mit diesen Drittländern zusammenarbeiten, um langfristige Lösungen zu finden", heißt es im Bericht der Kommission.

"Wenn wir jetzt von 50.000 Personen ausgehen, die pro Jahr weltweit eine Staatsbürgerschaft kaufen, ist das keine Zahl, die in einem globalen Rahmen einen großen Teil betrifft. Gleichzeitig muss man sagen, dass der Passverkauf für diese kleinen karibischen Staaten eine wichtige Einnahmequelle ist. Teils erhalten sie ein Drittel ihrer Einnahmen aus dem Verkauf von Staatsbürgerschaften", bewertet Langenmayr im "Wieder was gelernt"-Podcast. "Ein Problem wird es dann, wenn der Pass genutzt wird, um Steuerhinterziehung zu verschleiern oder Sanktionen zu umgehen. Dagegen sollte man gezielt vorgehen."

Mehr zum Thema

Langenmayr empfiehlt, gekaufte Pässe zu markieren, um sie unterscheidbar zu machen - beispielsweise durch einen Buchstaben in der Passnummer. "Aber ich sehe keinen Grund, warum man pauschal verbieten sollte, dass jemand eine Staatsbürgerschaft käuflich erwirbt."

Fall Vanuata sprengt alle Dimensionen

Großbritannien erlaubt Staatsbürgern seiner ehemaligen Kolonie Dominica inzwischen keine visafreie Einreise mehr - "aus Sicherheitsgründen", wie Innenministerin Suella Braverman vorigen Sommer mitteilte. Die EU hat sich zu diesem Schritt im Fall der Karibikstaaten bisher nicht durchgerungen.

Anders entschied Brüssel im Fall von Vanuatu. Seit 2022 benötigen Staatsbürger des Südseestaates wieder ein Visum für die Einreise in die EU. Denn nach der Visumbefreiung 2015 war die Zahl der verkauften Staatsbürgerschaften Vanuatus in die Höhe geschnellt. Zudem war bekannt geworden, dass Vanuatu seine Pässe für 130.000 Dollar (120.000 Euro) auch an Menschen verkauft hatte, die in Interpol-Datenbanken geführt wurden. In knapp fünf Jahren wurde zudem nur ein einziger Antrag abgelehnt. Von solch einer Quote sind selbst Dominica, Antigua und Barbuda, St. Lucia, Grenada sowie St. Kitts und Nevis weit entfernt.

"Wieder was gelernt"-Podcast

Dieser Text ist eigentlich ein Podcast: Welche Region schickt nur Verlierer in den Bundestag? Warum stirbt Ostdeutschland aus? Wieso geht dem Iran das Wasser aus? Welche Ansprüche haben Donald Trump und die USA auf Grönland?

"Wieder was gelernt" ist ein Podcast für Neugierige. Hören Sie rein und werden Sie dreimal die Woche ein wenig schlauer.

Alle Folgen finden Sie in der ntv-App, bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts und Spotify. Für alle anderen Podcast-Apps können Sie den RSS-Feed verwenden.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns gerne eine E-Mail an podcasts@ntv.de

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen