Wirtschaftstalk bei Illner Lindner: Ein "Weiter so" ist keine Option


Wir haben die Wirtschaftswende noch vor uns: Finanzminister Lindner will eine Steuerreform.
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Wie kann die Politik wieder Schwung in die deutsche Wirtschaft bringen? Dazu gibt es zwei Sichtweisen in der Ampelkoalition. FDP-Chef Lindner und Grünen-Chefin Lang kommen bei "Maybrit Illner" nicht auf einen Nenner.
In einem Punkt sind sich die Ampelkoalitionäre FDP und Grüne einig: Es muss wieder aufwärts gehen mit der Wirtschaft in Deutschland. Doch uneinig sind sie sich darin, wie das passieren soll. Während die FDP mit einer Reihe von Steuersenkungen alle Unternehmen stärken will, setzen die Grünen auf Subventionen für einzelne Unternehmen und Branchen. Die CDU-Opposition hat ähnliche Vorschläge wie die FDP. Am Donnerstagabend prallen die beiden Denkmuster in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner" aufeinander.
Nur eine Meinung fehlt in der Runde weitgehend: die von Bundeskanzler Olaf Scholz. Der sagt, Deutschlands Wirtschaft habe in den vergangenen zwei Jahren einen "Turnaround" hingelegt. "Der Bundeskanzler hat in den letzten Jahren einen Realitätsverlust erlitten", kritisiert Pioneer-Herausgeber Gabor Steingart die Meinung des Kanzlers. Finanzminister Christian Lindner von der FDP und Wirtschaftsminister Robert Habeck von den Grünen haben seiner Ansicht nach verstanden, dass es so wie bisher nicht weitergehen könne. Das "Weiter so" werde dazu führen, dass das Land seine Kräfte nicht auf die Straße bringen werde. Deutschland befinde sich auf einem wirtschaftlichen Abwärtskurs, weil andere Länder wie China, Indien oder die USA Gas gäben. "Insofern kann die Politik hier etwas bewirken, und das ist die gute Nachricht", so Steingart.
Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner, genau wie Steingart Gast in der ZDF-Talkshow "Maybrit Illner", sieht das genauso. "Das 'Weiter so' ist keine Option", sagt er nicht nur einmal in der Sendung, in der die Gäste über Wege aus der deutschen Wirtschaftskrise diskutieren.
Scholz' Realitätsverlust: Dafür ist zu viel zu tun
Auch Grünen-Chefin Ricarda Lang kritisiert die Aussage des Kanzlers: "Wir sind nicht in einer Position, wo man die Hände in den Schoß legen kann", sagt sie. Zwar seien einige Signale der Entspannung erkennbar. Momentan sinke die Inflation, die Rezession sei abgewehrt worden. Dennoch sei Deutschland verglichen mit anderen Wirtschaftsnationen nicht auf dem Wachstumspfad, den die Politik erreichen wolle. "Wir sehen vor allem, dass viele strukturelle Probleme über Jahre hinweg liegen geblieben sind und uns jetzt immer härter treffen." Dazu gehöre der Fachkräftemangel oder die mangelnde Investitionsbereitschaft vieler Unternehmen. Dem will Lang mit einem Steuerentlastungsprogramm beikommen. "Damit ist gemeint, dass Investitionen in Zukunft wieder steuerlich bevorzugt, besser abgeschrieben werden sollen." Vor allem seien das Investitionen in Klimaschutz, Transformation und Digitalisierung. "Für mich ist aber klar: Die Vorstellung, dass die Menschen zu wenig arbeiten in Deutschland, ist ziemlich realitätsfern."
Auch Finanzminister Lindner sagt: "Wir haben die Wirtschaftswende nicht hinter uns. Dafür ist zu viel zu tun. Das ist eine Aufgabe, die seit gut einem Jahrzehnt überfällig ist." Einige Bausteine für eine Wirtschaftswende seien bereits vorhanden, sagt Lindner - und nennt das Fachkräfte-Einwanderungsgesetz, das Wachstumschancengesetz oder die Gigabit-Strategie. "Aber das Eigentliche steht uns noch bevor: Wir haben zu viel Bürokratie, unser Arbeitsmarkt muss mobilisiert werden, wir müssen in der Energiepolitik ganz pragmatisch einen Weg einschlagen, die Kosten zu reduzieren durch Marktwirtschaft, und wir müssen insgesamt die steuerlichen Rahmenbedingungen verbessern." In Deutschland sei die Inflation niedriger als in den USA, weil die Regierung nicht mit geliehenem Geld in die Wirtschaft hineinsubventioniere. "Unsere moderate Fiskalpolitik ist die Inflationsbremse", so Lindner.
"Wir haben nicht überall Krise", analysiert DGB-Chefin Yasmin Fahimi. Zwar brauche die Wirtschaft mehr Investitionen aus privater und öffentlicher Hand, doch es gebe auch Branchen, denen es sehr gut gehe: dem Lebensmittelhandel, Banken, Versicherungen, Energieversorgern. Wirtschaftswachstum ja, aber nicht mit der Gießkanne, ist Fahimis Forderung. Zudem verlangt sie temporäre Subventionen, die gezielt und bedarfsgerecht sowie an die Zusage für Standorttreue und Arbeitsplätze geknüpft sein müssten.
Arbeitszeit und Überstunden
Die CDU sei sich mit der FDP in vielem einig, sagt CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann. Das Problem der Ampel: "Sie setzen die komplett falschen Prioritäten." Und weiter: "Es geht darum, den Menschen eine Perspektive zu geben, Hoffnungen, Zuversicht. Und das gibt es nicht mehr."
Ob dazu die Wohlstandsdiskussion beiträgt, die den zweiten Teil der "Maybrit-Illner"-Talkshow prägt, kann zumindest bezweifelt werden. DGB-Chefin Fahimi eröffnet sie mit einer steilen These: "Mehr Lohn, mehr Freizeit, mehr Sicherheit, das ist absolut notwendig!" Das steigere die Binnenkaufkraft und sei deswegen wirtschaftlich sinnvoll. So viel wie aktuell sei in Deutschland noch nie gearbeitet worden. Dass trotzdem weniger produziert werde, habe einen Grund: "Weil wir einen sehr hohen Teil von Teilzeitarbeit haben."
Das sieht Linnemann erwartungsgemäß völlig anders: "Leistungslosen Wohlstand gibt es nicht, auch nicht in Deutschland", sagt er. Deswegen müsse die Politik Arbeitsanreize schaffen, damit die Menschen wieder Lust zum Arbeiten hätten. Ein Arbeitsanreiz für Linnemann: Überstunden sollen nicht mehr besteuert werden, allerdings erst ab der 40. Wochenstunde. "Ich würde in der ersten Kabinettssitzung sofort klarmachen, dass die Überstunde steuerfrei ist", verspricht Linnemann. Damit meint er wohl, wenn die Union an die Regierung käme. Außerdem fordert Linnemann, dass Unternehmen Überstunden höher bezahlen. "Wenn der Unternehmer ab 40 Stunden 20 oder 30 Prozent nochmal draufhaut auf die Überstunde und die steuerfrei ist, was glauben Sie, was das für einen Schub in Deutschland gibt."
Mehr Arbeit oder höhere Löhne
Leistung müsse sich wieder lohnen, fordert auch Ricarda Lang. Sie setzt dabei auf höhere Löhne. Und sie will Anreize für ältere Arbeitnehmer schaffen. Ihnen solle zusätzlich zu ihrem Gehalt auch der Arbeitgeberanteil für die Sozialversicherung direkt ausgezahlt werden, schlägt sie vor.
Christian Lindner möchte dagegen, dass die Menschen wieder mehr arbeiten. "Dass die Leistungsbereitschaft in unserm Land gestärkt werden muss, daran geht überhaupt kein Weg vorbei." Zudem möchte er, dass mehr Bürgergeldempfänger arbeiten. "Wenn mehr Menschen arbeiten, beziehen sie keine Sozialleistungen, zahlen aber Steuern und Abgaben", sagt er. Dieses Geld könne man dann in die Betreuungsinfrastruktur investieren, also um zum Beispiel Kitaplätze zu schaffen.
Maybrit Illner ist es, die eine entscheidende Frage stellt: Warum all das eigentlich erst jetzt diskutiert werde, möchte sie wissen. Eine Antwort bekommt sie nicht.
Quelle: ntv.de