Politik

EU-Einstufung kaum abwendbar Merkel: Atomstrom wird wohl grün in der EU

Atomstrom gilt in der EU wohl bald als grün.

Atomstrom gilt in der EU wohl bald als grün.

(Foto: picture alliance/dpa)

Atomkraft wird in der EU voraussichtlich bald als nachhaltig gelten. Die Einstufung ist laut Kanzlerin Merkel kaum noch aufzuhalten. Was in Deutschland irritiert, ist das Ergebnis eines Streits zwischen Mitgliedsstaaten um Brückentechnologien.

Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel sieht kaum noch eine Möglichkeit, die Einstufung der Atomenergie als grüne Technologie in der EU zu verhindern. "Deutschland hat seinen Widerstand nicht aufgegeben", sagte Merkel mit Blick auf einen Entwurf der EU-Kommission, die Atomenergie als nachhaltig anzuerkennen. Ein grünes Label für bestimmte Energieformen wie Gas ist auch einer der großen Streitpunkte bei den Verhandlungen zur Bildung der ersten Ampel-Koalition im Bund. In einem Reuters vorliegenden Papier zu den Plänen im Finanzmarktbereich sind hier besonders viele Punkte zwischen SPD, Grünen und FDP noch strittig - erkennbar an durchgestrichenen Sätzen und alternativen Vorschlägen für Formulierungen.

Merkel sagte, bei dem von der EU eingeschlagenen Weg eines sogenannten delegierten Rechtsakts auf Grundlage der Taxonomie-Verordnung könne der Vorschlag nur abgelehnt werden, wenn 20 EU-Mitglieder mit Nein stimmen würden. "Das ist eine sehr hohe Hürde und ist voraussichtlich nicht der Fall", fügte sie mit Blick auf die 27 Mitgliedstaaten hinzu. "Das Verfahren an sich kann nur schwer wieder aufgehalten werden, wenn die EU-Kommission etwas vorlegt."

Hintergrund ist ein Ringen innerhalb der EU um die sogenannte Taxonomie. Damit sollen Technologien ein Label als nachhaltig und unschädlich erhalten, damit die Finanzströme verstärkt in grüne Technologien geleitet werden. Für Frankreich zählt die Atomenergie dazu, weil sie kaum CO2 produziert, Deutschland ist wegen der ungelösten Frage der Atommüll-Entsorgung dagegen. 129 Nichtregierungsorganisationen aus Europa hatten den wahrscheinlich nächsten Bundeskanzler Olaf Scholz von der SPD in einem offenen Brief zuletzt aufgefordert, die Atomenergie nicht als nachhaltig einzustufen.

Noch-Kanzlerin Angela Merkel

Noch-Kanzlerin Angela Merkel

(Foto: REUTERS)

In den laufenden Koalitionsverhandlungen pochen die Grünen darauf, dass sowohl Atomkraft als auch Gas nicht als nachhaltige Technologien anerkannt werden. Dafür müsse sich die Bundesregierung in Brüssel einsetzen. Die SPD will einen Schritt weniger gehen: "Wir werden uns weiterhin dafür einsetzen, dass Atomkraft als nicht nachhaltig eingestuft wird." SPD und FDP wollen Brückentechnologien - also Gas - nicht als schmutzig schmähen. Dagegen wehren sich die Grünen, die in den eigenen Reihen unter Druck stehen, beim Klimaschutz mehr eigene Punkte durchzusetzen.

Umweltschützer befürchten Greenwashing

Das Papier aus der Arbeitsgruppe Finanzen trägt das Datum vom 9. November, kurz vor dem Ende der Verhandlungsphase der insgesamt 22 Arbeitsgruppen. Momentan werden die offenen Fragen von der Hauptverhandlungsgruppe diskutiert. Bis nächste Woche soll der Koalitionsvertrag dann stehen. In dem Finanzmarkt-Papier sind zu Sustainable Finance nur vage Ziele unstrittig. So soll Deutschland der führende Standort für nachhaltige Finanzierungen werden. Die EU-Taxonomie solle ambitioniert und praktikabel sein. Umweltschützer fürchten, dass es ein sogenanntes Greenwashing geben könnte, nicht-nachhaltige Anlagen also als grün durchgehen.

Merkel betonte, die EU-Kommission wisse, dass es in Deutschland parteiübergreifend die Meinung gebe, dass Kernenergie "nicht als gleichrangig sauber" mit Wind- und Sonnenenergie eingestuft werden sollte. Atomkraft sei aber zum Beispiel für Frankreich eine Brückentechnologie. "Wir sagen, dass für uns Erdgas als Brückentechnologie klassifiziert werden muss", so die Kanzlerin im Gegenzug. Außerdem sei die EU-Kommission klug genug, um zu wissen, dass am Ende eine Gesamtstrategie zum Klimaschutzprogramm "Fit for 55" nötig sei. "Da wird man nicht durch verschiedene Rechtsetzungen ein ungutes Beratungsklima erzeugen wollen."

Merkel verteidigte zugleich den in ihrer Kanzlerschaft vollzogenen Ausstieg aus der Kernenergie. Ein weltweites Revival der Technologie sieht sie skeptisch. In Frankreich sei dies anders, weil es dort Staatsbeteiligungen an Energieunternehmen gäbe. Aber private Investitionen in Kernkraftwerke seien weltweit begrenzt. "Bei den im Bau befindlichen Reaktoren gibt es häufig deutliche Kostensteigerungen und starke zeitliche Verzögerungen", fügte sie hinzu. Zudem sei die dauerhafte Lagerung der radioaktiven Abfälle weiterhin nicht geklärt. "Und die Kilowattstunden-Preise für die Kernenergie werden bestimmt nicht geringer sein als die Kilowattstunde-Preise für Offshore-Windenergie", betonte Merkel.

Quelle: ntv.de, joh/rts

Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen