Politik

Griechenland vor dem Referendum "Neuwahlen würden nichts ändern"

"Ja zu Griechenland, Ja zum Euro", steht auf diesem Plakat in Athen.

"Ja zu Griechenland, Ja zum Euro", steht auf diesem Plakat in Athen.

(Foto: dpa)

Die griechische Journalistin Xenia Kounalaki ist von allen politischen Akteuren enttäuscht: von den früheren griechischen Regierungen, von der derzeitigen Regierung, von Europa und Deutschland. Das Referendum hält sie für einen Fehler. Nun hofft sie, dass es wenigstens das richtige Signal aussenden wird.

n-tv.de: Finanzminister Varoufakis hat gestern in einem Interview gesagt, er und seine Frau seien vermutlich die einzigen Griechen, die noch nicht ihre 60 Euro vom Geldautomaten abgeholt hätten. Wie kommt so eine Äußerung in Griechenland an?

Xenia Kounalaki ist Ressortleiterin für internationale Politik bei der griechischen Zeitung "Kathimerini".

Xenia Kounalaki ist Ressortleiterin für internationale Politik bei der griechischen Zeitung "Kathimerini".

Xenia Kounalaki: Wenn man bedenkt, dass alte Leute stundenlang anstehen müssen, um an einen kleinen Teil ihrer Renten zu kommen, dann muss diese Äußerung sehr provozierend wirken. Zumal Varoufakis wahrscheinlich Konten im Ausland und ausländische Kreditkarten hat. Aber wie das in der griechischen Gesellschaft angekommen ist, kann ich nur schwer einschätzen. Er ist noch immer sehr beliebt. Allerdings schätze ich, dass sich das ändern wird, wenn die Banken für längere Zeit geschlossen bleiben.

Welche Folgen hatte die Schließung der Banken für Sie persönlich?

Ich kann meine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Die Stromrechnung beispielsweise beträgt rund 150 Euro. Ich müsste mich drei Tage lang anstellen, um beantragen zu können, diese Rechnung zu bezahlen. Ich gehe nicht mehr aus, von Lebensmitteln wie Spaghetti oder Reis habe ich mehr als normalerweise gekauft, für den Fall, dass es Versorgungsengpässe geben sollte. In Argentinien gab es Anfang des Jahres infolge der dortigen Wirtschaftskrise keine Tampons mehr. Das könnte hier auch passieren. Geändert hat sich aber auch die Stimmung. Die griechische Gesellschaft hat sich stark polarisiert, es wird viel gestritten, auch unter Freunden. Wir sind alle gestresst, wir können kaum noch schlafen. Viele Leute sind sehr wütend.

Trotzdem stehen die meisten Griechen noch aufseiten der Regierung, oder?

Das stimmt, aber zugleich ergab eine Umfrage, die gestern veröffentlicht wurde, dass 78 Prozent der Griechen für den Verbleib im Euro sind. Die Regierung stellt es so dar, als sei das Referendum keine Abstimmung für oder gegen den Euro, sondern für oder gegen die Maßnahmen der Troika. Etwa die Hälfte der Griechen denkt, wenn sie mit Nein stimmen, werde die Regierung am Tag nach dem Referendum die Verhandlungen neu beginnen und dass die Maßnahmen dann nicht so hart sein werden. Ich halte das für absurd. Ich denke, ein Ja wäre ein Signal an Europa, dass Griechenland wirklich im Euro bleiben will.

Wagen Sie eine Prognose über den Ausgang des Referendums?

Ich vermute, dass es einen knappen Sieg der Ja-Seite geben wird, mit einem Vorsprung von höchstens drei Prozentpunkten. Das wäre zwar ein Sieg, aber leider kein eindeutiges Signal.

Sie halten das Referendum für einen Fehler?

Ich halte es für verfassungswidrig. Die griechische Verfassung verbietet ausdrücklich Volksabstimmungen über fiskalpolitische Maßnahmen. Und es ist auch viel zu kompliziert. Die Frage lautet unter anderem, ob man für die "Reforms for the Completion of the Current Program and Beyond" und für die "Preliminary Debt Sustainability Analysis" ist. Wie soll eine alte Frau in einem griechischen Dorf das entscheiden? Sie will, dass ihre Rente nicht gekürzt wird, sonst nichts. Oder ein junger arbeitsloser Grieche: Er will, dass es nicht noch mehr Maßnahmen gibt, die zu immer höherer Arbeitslosigkeit führen. Wenn die Regierung sie überzeugen kann, dass ein "Nein" in ihrem Interesse ist, dann werden sie mit Nein stimmen. Dabei wäre ein Austritt aus dem Euro für sie viel schlimmer.

Was würde passieren, wenn das Referendum mit einem Ja endet?

Ministerpräsident Tsipras hat sich nicht eindeutig festgelegt. In einem Interview kündigte er seinen Rücktritt für den Fall eines Ja an, in einem anderen Interview sagte er etwas anderes. Ich denke, dass es schwierig für ihn wäre, im Amt zu bleiben. Wahrscheinlich würde es zur Bildung einer neuen Regierung kommen, die aus einem Teil von Syriza und mehreren europafreundlichen Parteien bestünde. Das wäre vermutlich die beste Lösung für Griechenland und für Europa. Neuwahlen halte ich für unwahrscheinlich. Sie würden auch nichts ändern, Syriza würde in jedem Fall wieder die stärkste Partei.

Als wir im Februar miteinander sprachen, sagten Sie, die Griechen sähen die Regierung von Ministerpräsident Tsipras als "letzte Hoffnung". Damals hatten Sie die Befürchtung, dass nach Syriza die Neonazi-Partei "Goldene Morgenröte" gewählt werden könnte.

Die Angst, dass die Rechtsradikalen gestärkt werden könnten, habe ich immer noch. Ich hoffe, dass wir eine Regierung aus pro-europäischen Kräften bekommen und dass die Stimmung sich dann ändert. Das ist wirklich meine letzte Hoffnung.

Sie sind Griechin, aber Sie sind in Hamburg zur Welt gekommen und kennen Deutschland sehr gut. Wer trägt die Hauptverantwortung dafür, dass es so weit gekommen ist?

Das sind auf jeden Fall die früheren Regierungen von Nea Dimokratia und Pasok. Dass Syriza die Verhandlungen abgebrochen hat, war ein riesiger Fehler. Aber es war nur der letzte Tropfen. Gleichzeitig finde ich, dass die Europäer, insbesondere Deutschland, aber auch der IWF eine Mitschuld tragen. Nach fünf Jahren Krise ist klar, dass die Maßnahmen falsch waren. Trotzdem bestehen sie unverändert auf der harten Austerität, die die griechische Konjunktur seit fünf Jahren lähmt.

Mit Xenia Kounalaki sprach Hubertus Volmer

Quelle: ntv.de

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