Gruß aus einer anderen Zeit Respekt und Hass mit Helmut Kohl
03.11.2014, 19:05 Uhr
Helmut Kohl lauscht den Worten seines Gastes Jean-Claude Juncker.
(Foto: imago/epd)
Altkanzler Kohl bleibt sich treu: Seine Feinde werden ignoriert und kritisiert, den Euro hält er für alternativlos, Europa will er zu einer "Herzensangelegenheit" machen. Klingt nach einem rechthaberischen alten Mann? Nicht für EU-Kommissionspräsident Juncker.
Bei allem Respekt. So muss man wohl anfangen, wenn man über den Auftritt von Helmut Kohl an diesem Montag in Frankfurt schreibt. Kohl stellt sein neues Buch vor, eigentlich ein Büchlein. "Aus Sorge um Europa" heißt es, und zur Buchvorstellung hat Kohl nicht nur seine Frau mitgebracht, sondern auch den neuen Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker.
Es ist Junckers erster Arbeitstag, doch für Kohl hat er sich Zeit genommen. Vielleicht revanchiert er sich für Kohls Hilfe im Europawahlkampf. Anders als Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte Kohl den Luxemburger vorbehaltlos unterstützt. "Es gibt keinen besseren Mann!", sagte Kohl im Mai.
Respekt also. Juncker hat viel davon. Er nennt Kohl einen guten Freund und einen großen Europäer, der mit viel handwerklichem Geschick Politik gestaltet habe. Ohne Kohl "hätte es nicht in der gelungenen Form zur deutschen Wiedervereinigung kommen können", sagt er. Ausdrücklich lobt Juncker Kohls Satz, Europa sei eine Frage von Krieg und Frieden. Dieser Satz sei nicht überholt, er müsse "auf immer Gültigkeit" haben.
"Ich bin froh, dass ich es schreiben konnte"
Damit ist Juncker beim Euro, der für Kohl "Friedenspolitik mit den Mitteln unserer Zeit" sei. Kohl wollte die europäische Integration mit der Gemeinschaftswährung unumkehrbar machen. In seinem Buch schreibt der Altkanzler, er sei nicht sicher, ob Europa ohne Euro in den jüngsten Krisen nicht auseinandergebrochen wäre. Juncker teilt diese Auffassung: "Wenn wir den Euro in den letzten Jahren nicht gehabt hätten, es stünde schlimm um den europäischen Kontinent."
Soweit der Respekt.
Da vorn auf dem Podium sitzt jedoch nicht nur ein großer Europäer und der Kanzler der Einheit. Dort sitzt auch ein alter Mann, der sich kaum noch artikulieren kann. Nachdem Juncker fertig ist, liest Kohl ein paar Sätze ab. Er spricht, wie immer seit seinem Unfall vor sechseinhalb Jahren, stockend und schwer verständlich. Einmal muss seine Frau Maike Kohl-Richter ihm die Notizen ordnen.
Wie soll man das finden? Ist dies ein selbstbewusster Mann, der sich trotz einer Sprachbehinderung nicht verstecken will? Ist dies ein alter Herr, der nicht merkt, dass sein Publikum ihn streckenweise nicht versteht?
Kohl sagt: "Dieses Buch ist ein schönes Buch geworden. Es ist ein wichtiges Buch in einer ganz schwierigen Zeit, und ich bin sehr froh, dass ich es schreiben konnte." Noch sei es nicht zu spät in Europa. "Wir brauchen wieder mehr europäischen Gemeinsinn und Gemeinsamkeit. Wir sind auch alle gefordert, und man muss aus vielen Gründen sagen: Jetzt ist die Politik gefordert, ... mit Mut und Entschiedenheit voranzugehen, damit Europa wieder eine Herzensangelegenheit der Menschen wird."
"Mein Mann hat das im Kopf"
So ähnlich klingt auch sein Buch, für das es, so heißt es aus dem Verlag, keinen Ghostwriter gab. Seine Frau Maike Kohl-Richter beschreibt den Arbeitsprozess so: Wortmächtig diktieren könne ihr Mann nicht mehr. "Mein Mann hat das im Kopf, ich gehe dann in die Archive und suche, was er im Kopf hat, dann redigiert er, wie früher." Das klingt glaubhaft - auf überaus großzügig bedruckten 119 Seiten finden sich zahlreiche banale Sätze wie dieser: "Wir müssen den Bau des 'Hauses Europa' jetzt mit neuem Schwung angehen und Schritt für Schritt vollenden."
Ein solcher Satz richtet sich vermutlich auch gegen Merkel, die in diesem Buch an keiner Stelle erwähnt wird. Niemand wird erwähnt, der sich einmal die Wut des Patriarchen zugezogen hat. Sein sozialdemokratischer Nachfolger Gerhard Schröder und der grüne Ex-Außenminister Joschka Fischer werden zwar scharf kritisiert, im Buch sucht man ihre Namen jedoch vergeblich. Kohl hat sich seinen Hass bewahrt; an einer Stelle erinnert er "an die aus Moskau und Ost-Berlin zur Unterwanderung des Nato-Doppelbeschlusses mitfinanzierte sogenannte Friedensbewegung, die in der Partei der Grünen aufging".
Das ist ein Gruß aus einer anderen Zeit, ein Denken aus den 1980er Jahren, das nichts mit einer Gegenwart zu tun hat, in der CDU und Grüne in Hessen gemeinsam regieren und Joschka Fischer sich mindestens ebenso sehr um Europa sorgt, wie der Altkanzler es tut.
Bei allem Respekt also: Kohls Buch ist überflüssig. Würdelos ist sein Auftritt in Frankfurt jedoch nicht. Dafür sorgt Juncker, dessen Anwesenheit eine Brücke darstellt zwischen Kohls Pathos und der politischen Praxis. Juncker erinnert daran, dass Kohl mehr ist als ein grimmiger alter Mann, der von früher träumt. "Helmut Kohl hat recht, dass er Bücher schreibt, denn er muss sich ja die Deutungshoheit über sein Lebenswerk bewahren." Da wiederum hat Juncker recht. So viel Respekt muss sein.
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Quelle: ntv.de