Der Kriegstag im Überblick Russland nimmt die Großstädte ins Visier
01.03.2022, 20:55 Uhr
Am sechsten Tag des Ukraine-Krieges verstärkt Russland seine Attacken auf die Großstädte des Landes. Bei einem Luftangriff auf einen Hochhausblock in Charkiw sterben Behörden zufolge mindestens acht Menschen, in Kiew wird laut ukrainischen Angaben der Fernsehturm getroffen. Während die deutsche Politik angesichts der russischen Aggression über die mögliche Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht diskutiert, verliert Altkanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder mehrere Mitarbeiter - und die Nord Stream 2 AG ist pleite. Der sechste Kriegstag im Überblick.
Russland verstärkt Angriffe auf Städte und Infrastruktur
Die russische Armee hat im Laufe des Tages den Druck auf die wichtigsten Städte der Ukraine verstärkt. So zeigen etwa Satellitenbilder einen mehr als 65 Kilometer langen russischen Militärkonvoi in der Nähe von Kiew. Aufnahmen wie diese bestärken die Sorge, die Armee plane angesichts eigener Probleme bei der bisherigen Offensive einen Großangriff auf die Hauptstadt. Angeblich haben sich mittlerweile auch belarussische Truppen dem Einmarsch in das Land angeschlossen.
Laut ukrainischem Außenministerium beschießt die russische Armee die Großstädte des Landes nun vermehrt mit Raketen. "Russland führt Krieg unter Verletzung des humanitären Völkerrechts", twitterte das Ministerium in Kiew. Moskau weist den Vorwurf zurück. Schwere Attacken von russischer Seite wurden aus der zweitgrößten ukrainischen Stadt Charkiw gemeldet. Nach örtlichen Behördenangaben wurden bei einem Luftangriff auf einen Hochhausblock mindestens acht Menschen getötet, zehn weitere starben demnach bei einem Angriff auf ein Regierungsgebäude in der 1,4-Millionen-Einwohner-Stadt.
Nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau übernahmen russische Streitkräfte die Kontrolle über die Region entlang der Küste des Asowschen Meeres. Von der annektierten Krim-Halbinsel die Küste entlang vorrückende Streitkräfte seien bis zu den Truppen der pro-russischen Separatisten aus Donezk vorgestoßen. Die Angaben waren nicht unmittelbar überprüfbar.
Auch konzentrieren sich die Angriffe Russlands offenbar zunehmend auf die Informationsinfrastruktur der Ukraine. Nach ukrainischen Angaben ist der Fernsehturm von Kiew von Raketen getroffen worden. Dabei seien mindestens fünf Menschen ums Leben gekommen. Die russische Armee wird ihre Angriffe nach Angaben aus Moskau so lange fortsetzen, "bis alle Ziele erreicht sind". Das bekräftigte am heutigen Tag auch Russlands Verteidigungsminister Sergej Schoigu. Die Zahl der ukrainischen Kriegsflüchtlinge stieg nach UN-Angaben auf mindestens 677.000. Laut Bundesinnenministerium sind in Deutschland bislang mehr als 3000 Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine eingetroffen.
Während die Ukraine eine Feuerpause zumindest in den Städten zur Bedingung für Verhandlungen mit Russland machte, hat Kremlchef Wladimir Putin seine Maximalforderungen in einem Telefonat mit Venezuelas Präsident Nicolás Maduro noch einmal bekräftigt - darunter eine Entmilitarisierung des Nachbarlandes. Auf Seite der Ukraine wurden nach offiziellen ukrainischen Angaben bis zum heutigen Tag mindestens 350 Zivilisten seit Beginn des russischen Angriffskriegs am vergangenen Donnerstag getötet. Inzwischen hat auch Russland Tote und Verletzte eingeräumt, ohne jedoch Zahlen zu nennen.
UN-Diplomaten boykottieren Rede von Lawrow
Für einen emotionalen Moment im Europaparlament sorgte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der per Videobotschaft aus Kiew einen Appell an die Abgeordneten richtete. "Wir kämpfen für unsere Rechte, für unsere Freiheit, für unser Leben. Und nun kämpfen wir ums Überleben", sagte Selenskyj zu Beginn der Sondersitzung. Viele der Parlamentarier waren in den Nationalfarben der Ukraine gekleidet, Selenskyj erhielt für seine Worte Applaus und stehende Ovationen.
Ganz anders reagierten Diplomaten in Genf auf eine Rede des russischen Außenministers Sergej Lawrow vor dem UN-Menschenrechtsrat. Bereits vor der Ansprache, die per Videolink übertragen wurde, verließen sie den Saal. Lawrow verlas eine lange Erklärung, in der er den Angriff auf die Ukraine mit Menschenrechtsverletzungen auf ukrainischer Seite rechtfertigte.
Deutsche Politik debattiert über allgemeine Dienstpflicht
Angesichts der russischen Aggression in der Ukraine diskutiert die deutsche Politik über die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für junge Menschen. Einer der Fürsprecher ist CDU-Vize Carsten Linnemann. "Ein solcher Dienst würde sich nicht auf die Bundeswehr beschränken, sondern auch den Pflege- und Sozialbereich sowie THW, Feuerwehr oder Vereine berücksichtigen", sagte der Bundestagsabgeordnete der "Bild"-Zeitung. "Das würde die Krisenresilienz unserer Gesellschaft stärken." Auch der Sicherheitsexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Wolfgang Hellmich, sagte gegenüber der "Rheinischen Post", eine allgemeine Dienstpflicht könne "den Gemeinsinn fördern".
Gegen eine bloße Reaktivierung der Wehrpflicht sprach sich indes die Wehrbeauftragte des Bundestags, Eva Högl, aus. Ähnlich äußerte sich der Generalsekretär der FDP, Bijan Djir-Sarai, bei ntv.
Währenddessen wenden sich immer mehr langjährige Wegbegleiter von Altkanzler Gerhard Schröder ab. Weil er sich nach wie vor nicht von seinem Freund Wladimir Putin distanziert, kündigten gleich mehrere Mitarbeiter des 77-Jährigen. Und auch bei der Linkspartei sorgt das Thema Haltung für Verwerfungen: In einem Brief an mehrere Parteifreunde kritisierte der außenpolitische Sprecher der Linken im Bundestag, Gregor Gysi, deren Aussagen zum Krieg in der Ukraine deutlich - und erhielt direkt Widerspruch von Sahra Wagenknecht.
Nord Stream 2 AG ist pleite
Konkrete Folgen hat der Krieg in der Ukraine und die damit verbundenen Sanktionen gegen Moskau für die russische Wirtschaft: Während sich russische Oligarchen "zutiefst schockiert" von der Begründung der Strafmaßnahmen zeigten, ist die Nord Stream 2 AG, also die Betreibergesellschaft der auf Eis gelegten Gas-Pipeline nach Deutschland, bereits insolvent. Das Unternehmen hat alle seine Angestellten entlassen.
Derweil stoppte die in Dänemark ansässige und weltweit größte Containerreederei Maersk den Großteil der Transporte von und nach Russland. Der Grund: "Stabilität und Sicherheit" des Betriebs seien "direkt und indirekt schon durch die Sanktionen beeinflusst".
Weitere Artikel zum Ukraine-Krieg
- Die "Spezialoperation" stockt: Putins mangelhafter "Blitzkrieg"
- Alles Spekulation! Wo ist Putin?
- Interview mit Karl Schlögel: "Putin ist ein von Obsessionen geplagter Mensch"
- "Geht nach Hause": Ukrainische Zivilisten stellen sich Panzern in den Weg
- Neue Eskalationsstufe? Kiew wirft Moskau Einsatz der Vakuumbombe vor
- Noch nie zuvor gesehen: Was bedeutet das "Z" auf russischen Fahrzeugen?
- Person der Woche: Warum Putin Selenskyj töten will
- Freiheitskämpfer gegen Diktator: Selenskyj liefert ein Meisterstück der Kommunikation
- Putin alleine reicht nicht: Wer hat die russischen Atomkoffer?
Alle weiteren Entwicklungen des Tages können Sie in unserem Liveticker zum Ukraine-Krieg nachlesen.
Quelle: ntv.de, mbe/dpa/AFP/rts