"Die Koalition arbeitet" Schwarz-Gelb macht weiter
19.09.2011, 15:26 UhrKanzlerin Merkel und Vize-Kanzler Rösler sehen trotz der Abwahl der Liberalen in Berlin und des Euro-Streits die Arbeit der schwarz-gelben Koalition nicht belastet. Die Kanzlerin glaubt nicht, dass "etwas schwieriger werden wird". Rösler macht sich jedoch keine Illusionen: Seine Partei stecke im Überlebenskampf. Die Opposition fordert Neuwahlen.

Die FDP ist aus fünf Landtagen geflogen. Drei Niederlagen gehen auf das Konto von Parteichef Rösler.
(Foto: dpa)
FDP-Chef Philipp Rösler sieht seine Partei nach dem Berlin-Desaster in der schwersten Krise ihrer Geschichte. "Es ist unbestritten vielleicht die schwierigste Situation für die FDP seit ihrem Bestehen", sagte der Wirtschaftsminister in Berlin. Rösler sprach vom "schwersten Wahlabend", seit er FDP-Mitglied sei. Präsidium und Vorstand stellten sich einstimmig hinter Röslers umstrittene Aussagen über eine mögliche Insolvenz Griechenlands. Die FDP war in Berlin mit nur 1,8 Prozent aus dem Abgeordnetenhaus geflogen und ist nur noch in 11 von 16 Landtagen vertreten.
Bundeskanzlerin Angela Merkel zeigte sich aufgrund der Querelen mit ihrem Koalitionspartner pragmatisch-nüchtern. "Die Koalition arbeitet", sagte die CDU-Chefin nach einer Sitzung des Parteivorstands auf die Frage eines Journalisten. "Wir werden unsere Regierungsarbeit fortsetzen und ich glaube nicht, dass dabei etwas schwieriger wird. Die Koalition werde die Aufgaben, die sie zu erledigen habe, auch erledigen.
Merkel kritisierte allerdings den euroskeptischen Wahlkampf der FDP in Berlin. Hier habe es Tendenzen gegeben, "die ich nicht in Ordnung finde". Dies sei aber von der Politik der FDP im Bund "deutlich zu unterscheiden". Ihr Verhältnis zu Rösler sei wegen der Euro-Debatte nicht beschädigt. Allerdings bekräftigte Merkel ihre Forderung, "dass man in der Eurokrise die Worte sehr sorgfältig wählen muss". Dies war schon beim ersten Mal als Kritik an Rösler verstanden worden. Merkel äußerte sich zuversichtlich, dass die Koalition am 29. September im Bundestag eine eigene Mehrheit für die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms erreichen werde.
Rösler: Diskussionsbedarf zu Europa
Auch Rösler ließ keinen Zweifel daran, dass die Liberalen zu ihrer Regierungsverantwortung im Bund stehen. "Und zwar über die volle Legislaturperiode", betonte Rösler, dessen Partei sich zuvor mit der Niederlage bei der Abgeordnetenhauswahl befasst hatte. Rösler bekräftigte erneut seine Position in der Eurokrise. Es gehe grundsätzlich darum, den Euro stabil zu halten. Seine Haltung in der Frage sei "pro europäisch mit der notwendigen wirtschaftspolitischen Vernunft", sagte der FDP-Vorsitzende. Es gebe zu Europa erheblichen Diskussionsbedarf. Die Politik habe die Bürger hier nicht ausreichend mitgenommen.
Sorgen vor einem Koalitionsbruch oder dem Abdriften der FDP in Richtung Rechtspopulismus wies er zurück. "Jeder, der eine andere Partei haben will, wird auf den erbitterten Widerstand des Parteivorsitzenden treffen." Die FDP liefere keine "platten Antworten".
Dissens auch mit der CSU
"Ich glaube, dass alle Koalitionspartner um ihre Aufgaben wissen und mit großer Ernsthaftigkeit ihre Aufgaben erfüllen werden", so Merkel. Sie stehe zu dem Satz: "Scheitert der Euro, scheitert Europa." CSU-Chef Horst Seehofer hatte einen solchen Zusammenhang am Wochenende in einem Interview bestritten. Merkel räumte ein, dass es hier einen Dissens mit der Schwesterpartei gebe. Darüber müssten Gespräche geführt werden.
Lernen von den Piraten
Als Konsequenz aus dem Erfolg der Piratenpartei bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin will die CDU ihre Internet-Kompetenz verstärken. "Das Thema Internet ist eine zusätzliche Komponente, die bei den Wahlkämpfen eine Rolle spielen wird", sagte Merkel. Sie fühle sich bestätigt, auf diesem Gebiet weiterzuarbeiten. Die Partei habe eine Netzplattform eingerichtet und sei mit den jungen Mitgliedern in Kontakt. Merkel nannte den Erfolg der Piratenpartei einen "Ausdruck eines eher protestierenden Potenzials", der von allen Parteien ernst genommen werden müsse.
Der CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel sagte, die Eurodebatte bei in Berlin kein wahlentscheidendes Thema gewesen. Ohne die FDP beim Namen zu nennen ergänzte er: "Außer für die, die es missbraucht haben." Henkel machte sich für eine Große Koalition mit der SPD stark. Er habe große Zweifel, dass sich eine Stadt wie Berlin mit nur einer Stimme über der absoluten Mehrheit regieren lasse. "Wir sind bereit, in Berlin Verantwortung zu übernehmen", sagte Henkel.
Opposition fordert Neuwahlen
SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel glaubt nicht mehr an einen Fortbestand der Berliner Koalition. Er sieht nach dem Wahlsieg auch für die Bundesebene die Signale klar auf Rot-Grün. Das Berliner Ergebnis zeige, dass die SPD dafür die führende strategische Kraft sei. Die schwarz-gelbe Koalition habe völlig abgewirtschaftet. Der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, sagte der "Leipziger Volkszeitung": "Für die FDP gibt es eigentlich nur die Chance, endlich einzusehen, dass sie nicht regierungsfähig ist, und die Regierung zu verlassen und damit den Weg für Neuwahlen frei zu machen." Der Berliner Wahlsieger Klaus Wowereit betonte, die Bundesregierung sei am Ende.
Ähnlich äußerte sich der Parlamentarische Geschäftsführer der Grünen-Bundestagsfraktion, Volker Beck. Sollte der von FDP-Parlamentariern angestrebte Mitgliederentscheid einen europakritischen Kurs besiegeln, müssten die Liberalen sich aus der Regierung verabschieden, sagte er dem "Handelsblatt". "Und die Koalition muss den Weg für Neuwahlen freimachen."
Quelle: ntv.de, dpa/AFP