Treffen mit Erdogan Seehofer: Merkel muss klare Grenze ziehen
22.05.2016, 15:40 Uhr
CSU-Chef Horst Seehofer kritisiert, dass der Flüchtlingspakt mit Erleichterungen wie Visafreiheit verknüpft wurde.
(Foto: dpa)
In der Türkei verlieren Abgeordnete die Immunität, kritische Journalisten kommen vor Gericht: Der CSU-Chef warnt in einem Interview davor, wegen des Flüchtlingspakts wegzuschauen. Die Kanzlerin müsse das dem türkischen Präsidenten deutlich machen.
CSU-Chef Horst Seehofer hat Kanzlerin Angela Merkel vor ihrer Türkei-Reise vor zu großer Nachsicht wegen des Flüchtlingsabkommens mit der EU gewarnt. "Der Zweck heiligt nicht alle Mittel", sagte er in der ARD-Sendung "Bericht aus Berlin". Aus der Türkei gebe es derzeit wöchentlich "betrübliche Nachrichten" zu Rechtsstaatlichkeit, Presse- und Religionsfreiheit. "Man darf nie sich abhängig machen von solchen Systemen oder gar erpressen lassen", mahnte Seehofer." Da ist für mich eine Grenze, wo ich hoffe, dass die Kanzlerin diese Grenze auch klar zieht."
Auch mit Blick auf die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten im türkischen Parlament sagte der CSU-Chef: "Da müsste die ganze Welt aufschreien." Dies seien aber Dinge, "die sehr leise nur begleitet werden, wenn es um Kritik geht, weil man offensichtlich den Deal an sich nicht gefährden will".
Seehofer erneuerte seine grundsätzliche Kritik am EU-Türkei-Abkommen. Grundfehler sei gewesen, sich nicht auf die Flüchtlingsfrage zu konzentrieren, sondern einen EU-Beitritt oder Visumfreiheit für Türken in der EU damit zu verbinden. Damit sei man in Abhängigkeit von der türkischen Regierung geraten.
Seehofer bestreitet "Freude am Scheitern"
Gleichzeitig bestritt Seehofer, die CSU hätte Freude daran, wenn das Abkommen zwischen EU und Türkei scheitern sollte. Im Gegenteil - er hoffe, dass die Kanzlerin Erfolg haben werde. Die CDU-Chefin hatte gegenüber der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" gesagt, sie habe "so etwas wie eine Freude am Scheitern" beobachtet.
Merkel trifft sich morgen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan. Vor Beginn der Türkei-Reise hatte sie erklärt, sie werde mit Erdogan in Istanbul über "alle wichtigen Fragen" sprechen.
Kanzlerin unter Druck
Auch Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier sagte, dass es in Fragen der Grundrechte Gesprächsbedarf gebe: "Die Einschränkung der Meinungs- und Pressefreiheit, Eingriffe in Rechtsstaatlichkeit, der eskalierende Kurdenkonflikt und jetzt auch die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten - all dies sind Entwicklungen, die uns Sorgen machen und die wir, ganz unabhängig vom Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit, nicht ignorieren können, sondern über die wir mit Ankara sprechen müssen." Dennoch setzt Steinmeier auf den EU-Türkei-Deal: Bisher hätten sich beide Seiten daran gehalten, sagte er vorab der "Rheinischen Post".
SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann forderte in der "Bild am Sonntag", dass sich Merkel auch mit Vertretern der türkischen Opposition treffen müsse. Mit Erdogan solle die Kanzlerin "Klartext" sprechen, sagte er.
Ähnlich äußerte sich Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht. Sie verlangte von Merkel Gespräche mit dem Vorsitzenden der prokurdischen Partei HDP, Selahattin Demirtas, und mit dem regierungskritischen Journalisten Can Dündar. Andernfalls werde Merkel "zur Komplizin der Verbrechen Erdogans", erklärte Wagenknecht. Der FDP-Europapolitiker Alexander Graf Lambsdorff warf Merkel in der "Welt" vor, gegenüber Erdogan "in die Knie zu gehen".
Quelle: ntv.de, hul/dpa/AFP