"Der Weg nach Jamaika ist weit" Sondierer stellen sich dem Kulturschock
18.10.2017, 21:17 Uhr
Der schwierigere zweite Teil der gesplitteten Sondierungsgespräche, zumindest für manche: Nach der FDP empfing die Union die Grünen.
(Foto: dpa)
Jamaika ist ein fernes Land - besonders, wenn es eine bundesdeutsche Regierungskoalition meint. Die ersten Sondierungsgespräche zeigen: Manche Parteien sind sich einander fremder als andere. Für alle geht es um viel.
Das Jamaika-Bündnis steht und fällt mit den Grünen und der CSU. Das ist überdeutlich nach den allerersten Sondierungsgesprächen, die zuerst zwischen den Unionsparteien und der FDP und später mit den Grünen stattgefunden hatten. Für die Runde mit den Grünen war von vorneherein eine Stunde mehr angesetzt. CSU-Chef Horst Seehofer sagte anschließend Reportern, die Gespräche würden wohl noch schwieriger als gedacht. Er nannte es aber auch "historisch", dass die CSU jetzt erstmalig mit den Grünen ernsthaft über eine Regierungsbildung spreche. "In meiner Sammlung der Koalitionen fehlt noch Jamaika", witzelte der Bayer.
Grünen-Geschäftsführer Michael Kellner versuchte es nach drei Stunden Gespräch mit CDU und CSU auch mit Humor. "Ich komme gestählt aus zwei Elternabenden", begann er. Sich mit der Union zu treffen, ist für ihn jedenfalls nicht schlimmer. Das Gespräch sei geprägt von der Frage gewesen, "wie der Zusammenhalt in dieser Gesellschaft organisiert werden kann".
Schon mittags hatte CSU-Generalsekretär Scheuer gesagt, die Gespräche mit den Grünen würden "wohl ein größeres und härteres Werkstück". Hinterher stellte er fest: "Mit dem Blick in den Atlas sieht man, dass der Weg nach Jamaika weit ist." Die Themen seien aber "das Entscheidende". Die geografische Entfernung dürfte in etwa auch der politischen entsprechen. Die größten Differenzen gibt es bei den Themen Einwanderung, Landwirtschaft und Energie. Der schleswig-holsteinische Grünen-Politiker Robert Habeck hatte zuvor der "Rheinischen Post" gesagt: "Das Unionspapier zur Flüchtlingspolitik [wird] die Koalitionsverhandlungen nicht unverändert überstehen." Seehofer meinte dagegen, er habe schon oft von roten Linien gehört. Die verschwänden, wenn es konkret würde.
Auch für Seehofer geht es um viel
Schon am Vorabend hatten sich Seehofer und die beiden Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir getroffen. Seehofer besuchte sie erstmals in der Grünen-Parteizentrale, zum Kennenlernen, wie er sagte. Man werde ja jetzt hoffentlich viele Wochen und Monate zusammensitzen. Vor dem eigentlichen Sondierungsgespräch zog Katrin Göring-Eckardt trotzdem nochmal eine rote Linie: "Zwischen uns steht auch eine Obergrenze, die man jetzt nicht mehr so nennt." Ob und wie sich die Parteien in diesem Hauptstreitpunkt begegnet sind, wurde nicht verraten. CSU-Generalsekretär Scheuer stellte lediglich fest: "Wahlkampf beendet, Treffen wichtig, Atmosphäre okay."
Durchweg positiv äußerte sich nach beiden Sondierungsrunden nur der Generalsekretär der CDU, Peter Tauber. Er sprach von "guten Gesprächen aus Sicht der CDU". Wenn Parteien so unterschiedlich seien, "dann ist das auch ein starkes Signal, wenn es darum geht, Trennendes in unserer Gesellschaft zu überwinden". Für Taubers Chefin, Kanzlerin Angela Merkel, ist es existenziell wichtig, dass die Jamaika-Koalition zustande kommt. Die SPD hat in puncto Regierungsverantwortung abgesagt und sich auf eine Oppositionsrolle festgelegt. Sagte Merkel am Wahlabend noch, sie wolle trotzdem mit der SPD reden, nannte sie die Sozialdemokraten später "auf absehbare Zeit nicht regierungsfähig". Was Merkel unbedingt verhindern will, sind Neuwahlen. Also muss Jamaika funktionieren.
Wie wichtig das aber auch für die CSU ist, unterstrich der Brückenbauversuch Seehofers durch seine Aufwartung bei der Grünen-Spitze, eine höchst ungewöhnliche Geste. Seine politische Zukunft hängt am Zustandekommen einer stabilen Koalition - mit der zusätzlichen Schwierigkeit, dass er sich in den für die CSU wichtigen Punkten durchsetzen muss.
Am Freitag wird es ernst
Zum Ausgleich frühstückte der CSU-Chef am Mittwochmorgen vor der Sondierung mit FDP-Chef Christian Lindner. Die Hürden für eine Verständigung sind zwischen diesen Parteien ungleich niedriger, auch wenn FDP-Generalsekretärin Nicola Beer betonte, alle Optionen lägen auf dem Tisch - also auch ein Entschluss ihrer Partei gegen eine Jamaika-Koalition. Dennoch war nach gut zwei Stunden schwarz-gelber Sondierung am Mittag klar: Zwischen CDU, CSU und FDP stimmt die Harmonie im Großen und Ganzen. Die drei Parteien attestierten sich gegenseitig, konstruktiv, respektvoll und sachlich gewesen zu sein. Ja, sogar "Aktionen des Lächelns" soll es gegeben haben, wie CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer berichtete.
Nach dem Kulturschock, den Grüne und CSU nun gemeinsam zu verarbeiten haben, steht am morgigen Donnerstag eine nicht minder exotische Runde an: Als dritte bilaterale Runde findet ein Sondierungstreffen zwischen den Grünen und der FDP statt. Die ganz große Runde wird am Freitag zusammenkommen. Dann treffen sich CDU, CSU, FDP und Grüne mit insgesamt über 50 Vertretern, die dann in Gruppen über Themen sprechen sollen. Längst ist klar: Die Sondierungen für Jamaika sind bereits halbe Koalitionsverhandlungen. Zu groß wäre die Blamage, wenn die Koalitionsverhandlungen, die dann auch so heißen werden, zu einem späteren Zeitpunkt platzten.
Quelle: ntv.de