Irans Rolle in Syrien Steinmeier lotet die Stimmung in Teheran aus
17.10.2015, 23:59 Uhr
Frank-Walter Steinmeier und Hassan Ruhani.
(Foto: AP)
Frank-Walter Steinmeier ist auf heikler Mission in Teheran: Wie geht es weiter mit dem Atomprogramm? Und kann die Regionalmacht auf Frieden in Syrien hinwirken? Der Außenminister wagt eine Annäherung, aber bleibt Realist.
Der Oktober ist angeblich einer der schönsten Monate in Iran. Eigentlich. Nicht an diesem Wochenende: Regen, kühl und grau - 1001 Nacht möchte bei diesem Wetter niemand erleben. Und auch sonst ist die Stimmung nicht wie erwartet. Die ausgelassenen Jubelbilder vom Frühjahr sind nicht nur Monate her, sie scheinen geradezu aus einer anderen Zeit zu sein. In jener Nacht nach dem Durchbruch in den Atomverhandlungen feierten die Iraner ihren Außenminister so wie die Deutschen ihre Fußballweltmeister im vergangenen Sommer. Vor allem junge Leute jubelten Mohammed Javad Zarif zu, als er im offenen Auto durch die überfüllten Straßen fuhr. Zarif hatte mit dem Westen jenen Deal ausgehandelt, der das Land aus der inzwischen mehr als zehnjährigen Isolation führen soll.
Jetzt brettert die Wagenkolonne des deutschen Außenministers durch die Straßen der 12-Millionen-Metropole. Frank-Walter Steinmeier ist zum ersten Mal im Iran. In seiner ersten Amtszeit war das Land schon isoliert. Der letzte deutsche Chefdiplomat in offizieller Mission in Teheran war Joschka Fischer, das ist mittlerweile zwölf Jahre her. Allerdings kennen sich Steinmeier und Zarif schon seit zehn Jahren, seit Beginn der Atomverhandlungen. Sie scheinen gut miteinander auszukommen, das kann helfen, um den Atomdeal über die letzten Meter zu retten, und vor allem bei der Suche nach einer Lösung für den Syrienkonflikt. Der Iran ist ein wichtiger Player im Nahen Osten und könnte bei der Beendigung des Krieges in Syrien eine wichtige Rolle spielen. Könnte. Da gibt es aber viele wenn und aber.
Als Steinmeier und Zarif in Teheran zusammenkommen, wird das für Kameramänner und Fotografen zu einer Herausforderung. Dem halben Dutzend Deutschen stehen mehr als 100 iranische Kollegen gegenüber, beinahe prügeln sie sich um das beste Bild vom Gast aus Deutschland. Keine Frage, die Iraner betrachten diesen Besuch als Ritterschlag – Steinmeier, für den die Zwei-Tages-Visite in Teheran die "spannendste Reise in diesem Jahr" ist, sieht das etwas gelassener. Sowohl das Hauen und Stechen der Kameraleute als auch die Vorschusslorbeeren der Iraner. Für ihn ist das hier eine Art Realitätscheck für das was möglich ist.
Der Iran will zurück auf die politische Bühne
Im Frühjahr stehen Parlamentswahlen im Iran an und der Wahlkampf hat begonnen. Reformer und Konservative bekämpfen sich immer erbitterter. Präsident Hassan Ruhani, vor allem aber Außenminister Zarif und Parlamentspräsident Ali Larijani gehören zu den progressiven Kräften im Land, auf die setzt der deutsche Chefdiplomat. Aus Delegationskreisen wird kolportiert, dass Steinmeier mit allen dreien ausführliche und konstruktive Gespräche geführt hat, den Außenminister trifft er sogar zweimal an diesem Tag. Ohne Zweifel, die Iraner wollen zurück auf die politische Bühne – und Steinmeier macht ihnen klar, dass die Tür offen ist, aber der Eintritt ist nicht zum Nulltarif zu haben.
Vor allem junge Iraner wollen die Öffnung ihres Landes - der größte Anteil der Bevölkerung ist jünger als 30 Jahre und überdurchschnittlich viele haben keinen Job. Sie wollen endlich gut leben. Die Kämpfe der vergangenen Jahrzehnte sind nicht mehr ihre – trotz aller Traditionen und religiösen Vorschriften. Das Kopftuch gehört für die jungen Frauen in den Straßen Teherans ebenso dazu wie Twitter und Facebook, vor allem Studentinnen kleiden sich sehr konservativ in Tschador oder mindestens bodenlangem schwarzen Mantel und Kopftuch, wohl weniger aus religiöser Überzeugung als vielmehr aus pragmatischen Gründen. Fast alle Universitäten sind staatlich, da wird über Kleiderfragen nicht diskutiert.
Zu große Schuhe für Deutschland
Das gehört zum Iran des Jahres 2015. Ein Land im Umbruch, mit vielen Chancen, aber auch großen Risiken. Die sieht der deutsche Außenminister, will aber trotzdem nicht auf die Iraner verzichten, die immer noch Einfluss in der Region haben und stabilisierend wirken. Dafür nimmt Steinmeier Krach mit den Israelis in Kauf, die das Comeback der Iraner auf der internationalen Bühne mit größtem Argwohn betrachten – und ist sich hier absolut einig mit der Bundeskanzlerin.
Für beide sind die Sicherheit und das Existenzrecht Israels nicht verhandelbar, aber beide lassen sich auch nicht darin beirren mit Teheran in Kontakt zu bleiben. Zu groß sind die Auswirkungen, die der Syrienkrieg mittlerweile auch auf Deutschland hat, zu hoffnungsvoll die Möglichkeit, mit Hilfe der Iraner – und übrigens auch der Saudis – eine Art Syrienkontaktgruppe zu Stande zu bringen. Steinmeier macht sich überhaupt keine Illusionen darüber, dass das ein ganz dickes Brett ist, das es zu bohren gilt, aber er will es wenigstens versuchen. Wenngleich immer wieder betont wird, dass die Deutschen im Syrienkonflikt keine Vermittlerrolle anstreben, vielleicht, weil diese Schuhe dann doch zu groß erscheinen.
Deutsche Außenpolitik außerhalb der Kuschelzone
Alle an einen Tisch holen, das bedeutet: Amerikaner und Russen, die seit ihrem militärischen Eingreifen ja auch mitmischen, die Türkei, Saudi-Arabien und den Iran - und über den Umweg der Russen, die den syrischen Machthaber Baschar al-Assad unterstützen, sitzt der irgendwie auch mit am Verhandlungstisch. Ob es dem Westen gefällt, Assad ist und bleibt wohl auch auf absehbare Zeit ein Machtfaktor, der irgendwie in die Gespräche einbezogen werden muss.
Steinmeier sieht sich selbst als "Realpolitiker genug", um zu wissen dass er nicht nur mit guten Freunden in der politischen "Kuschelzone" reden kann. Er hat erkennbar wenig Ambitionen, Assad selbst die Hand zu schütteln, aber gegen den Syrer wird es keine Lösung geben – was bedeutet, dass das brutale Morden in Syrien weiter geht und die Menschen weiter ihr Land Richtung Westen verlassen. Die aktuellen Flüchtlingsströme verbinden plastisch deutsche Innen- und Außenpolitik.
Also verhandelt er weiter, lotet aus, ob es kleine Chancen auf noch kleinere Schritte gibt, wenn diese nur in die richtige Richtung führen. Steinmeiers Weg führt an diesem Wochenende von Teheran nach Riad – die Iraner müssen damit leben, dass er unmittelbar nach ihnen den Erzfeind Saudi-Arabien besucht, die Saudis damit, dass der Deutsche zuerst im Iran war. Und in Riad warten Gesprächspartner und –themen, die es auch in sich haben. Bei aller Dringlichkeit, die Lösung des Syrienkonfliktes wenigstens anzuschieben, dürfen Themen wie die andauernde Verletzung der Menschenrechte und immer noch verhängte und vollstreckte Todesstrafen nicht außen vor bleiben. In einem hat Steinmeier absolut recht: deutsche Außenpolitik findet derzeit nicht in der Kuschelzone statt. Definitiv nicht.
Quelle: ntv.de