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Zweifel an von Choltitz' Rolle War der "Retter von Paris" wirklich ein Held?

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Von Choltitz am 25. August 1944, dem Tag der Befreiung von Paris. Kurz zuvor hatte er die Kapitulationsurkunde unterschrieben.

Von Choltitz am 25. August 1944, dem Tag der Befreiung von Paris. Kurz zuvor hatte er die Kapitulationsurkunde unterschrieben.

(Foto: picture alliance / Photo12)

Im August 1944 wird Paris von den Nazis befreit. Zuvor ordnet Hitler an, die Stadt zerstört zu hinterlassen. Dass dies nicht geschieht, ist einem Mann zu verdanken: Dietrich von Choltitz folgt dem Befehl nicht. Längst sehen Historiker die Rolle des Generals aber kritischer.

Timo von Choltitz lässt bis heute nichts auf seinen Vater kommen: Dem Wehrmachtsgeneral Dietrich von Choltitz sei es zu verdanken, dass Paris trotz eines Befehls von Adolf Hitler 1944 nicht in Schutt und Asche gelegt wurde. Dies habe der General getan, obwohl er als Befehlsverweigerer sein Leben und das seiner Familie aufs Spiel setzte. "Sein Beweggrund war: Solche Befehle werde ich nicht erfüllen", sagt Timo von Choltitz im Gespräch. Historiker sehen die Rolle von Choltitz heute kritischer.

Die Geschichte vom guten Deutschen, der die französische Hauptstadt vor der Zerstörung rettet, ist in Büchern und Filmen wieder und wieder erzählt worden. 1966 kam "Brennt Paris?" mit Gert Fröbe als General heraus, 2014 verarbeitete Volker Schlöndorff den Stoff in seinem fiktiven Film "Diplomatie".

"Mein Vater hat Paris geliebt wie keine zweite Stadt", so beschreibt der Sohn die Haltung des Generals. "Die Franzosen haben ihn zum Retter von Paris gemacht", fügt er hinzu. So sei er "zu einer Legende geworden". Ein Dankesschreiben des Pariser Bürgermeisters von 1954 zeigt, welchen guten Ruf von Choltitz damals hatte: "Herr General, (...) Sie haben eine historische Tat vollbracht - eine von denen, die unsere beiden Länder einander weitest näher bringen könnte", schrieb Pierre Taittinger kurz vor dem zehnten Jahrestag der Befreiung von Paris.

Kurz zuvor hatte von Choltitz seine Memoiren veröffentlicht - und damit die Grundlage für eine Heldenfigur geschaffen, die angesichts der Bemühungen um die deutsch-französische Aussöhnung höchst willkommen war. Er habe erkannt, "dass die Befehle von einem Manne kamen, der sich in rasende Wahnvorstellungen verstrickt hatte", schrieb von Choltitz.

Als der General 1966 in Baden-Baden beerdigt wurde, war unter den Trauergästen auch der französische Stadtkommandant. "Er war ein Symbol, das allen nützte. Die Menschen wollten an die Legende glauben", sagt die französische Historikerin Françoise Cros de Fabrique, die 2019 in einem Dokumentarfilm aufgezeigt hat, dass von Choltitz' Beweggründe keineswegs nur moralischer Natur waren. "Von Choltitz wollte vor allem seine eigene Haut retten", sagt sie. Auch hätte er Paris gar nicht zerstören können, weil ihm die Mittel dafür fehlten.

Zuvor wenig Skrupel, Städte zu zerstören

Von dem schwedischen Konsul in Paris, Raoul Nordling, habe er sich überzeugen lassen, dass er nur in Gefangenschaft geraten, nicht aber als Kriegsverbrecher angeklagt würde, wenn er den Führerbefehl nicht umsetzen würde. Nordling hatte versucht, zwischen dem französischen Widerstand, dem Deutschen von Choltitz und den Alliierten zu vermitteln. Auch der französische Historiker Fabrice Virgili, der die Memoiren von Nordling herausgegeben hat, sieht den deutschen General nicht als Helden. "Die Alliierten rückten immer näher, von Choltitz hatte Angst, in die Hände des französischen Widerstands zu fallen", erklärt er. In früheren Kriegsphasen habe dieser wenig Skrupel gezeigt, Städte zu zerstören. "Er war bekannt als derjenige, der Sewastopol plattgemacht hat", sagt Virgili mit Blick auf die Schlacht um die größte Stadt auf der Krim, an der von Choltitz maßgeblich beteiligt war.

Auch bei deutschen Historikern herrscht Konsens, dass das Helden-Image kaum gerechtfertigt ist. Die Aufzeichnungen des Generals seien Teil des "Memoiren-Booms" in den 50er und 60er Jahren gewesen, der die "Legende der sauberen Wehrmacht" begründet habe, sagt etwa John Zimmermann vom Zentrum für Militärgeschichte der Bundeswehr in Potsdam. Da diese erschienen seien, bevor die historischen Dokumente zugänglich waren, hätten die Autoren die Deutungshoheit beansprucht. Zahlreiche ranghohe Wehrmachtsangehörige hätten den Eindruck vermitteln wollen, sie seien lediglich Werkzeuge in den Händen Hitlers gewesen. Dabei sei sich gerade von Choltitz durchaus bewusst gewesen, dass die Wehrmacht an Verbrechen beteiligt war, betont der Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel.

Von Choltitz nie als Kriegsverbrecher angeklagt

Dies gehe aus Abhörprotokollen hervor, die während der britischen Kriegsgefangenschaft entstanden. "Von Choltitz war eine schillernde Persönlichkeit, es ging ihm mit Sicherheit auch ums eigene Überleben", sagt Neitzel. "Er war lange Zeit eine positive Identifikationsfigur, aber 80 Jahre später wäre eine differenziertere Betrachtung angebracht", fügt er hinzu.

Fest steht, dass von Choltitz in Paris ohnehin nur sehr wenig Zeit hatte - und deswegen vermutlich auf Zeit spielte, um möglichst unbeschadet aus der Sache herauszukommen. Im Juni waren die Alliierten in der Normandie gelandet und rückten auf Paris vor. Am 20. Juli war das Attentat auf Hitler gescheitert.

Von Choltitz traf am 9. August in Paris ein, wenige Tage später kam es zum Generalstreik und zum Aufstand der französischen Widerstandsbewegung. Hitlers Befehl war eindeutig: "Paris darf nicht oder nur als Trümmerfeld in die Hand des Feindes fallen." Nach 16 Tagen in der Stadt, am 25. August 1944, kapitulierte von Choltitz, ohne dem Befehl des Führers gefolgt zu sein. Warum er das getan hat, wird sich wohl nie eindeutig klären lassen. Einem Prozess als Kriegsverbrecher ist er jedenfalls entgangen.

Quelle: ntv.de, Ulrike Koltermann, AFP

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