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Linker? Groyper? Bella Ciao! Was der Mord an Charlie Kirk mit Memes zu tun hat

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Der mutmaßliche Schütze Tyler Robinson.

Der mutmaßliche Schütze Tyler Robinson.

(Foto: Uncredited/Utah Governor's Offic)

Die Schuldzuweisung kam wie ein Reflex: Nach dem Mord an Charlie Kirk sprachen der US-Präsident und seine Anhänger umgehend von linksextremen Tätern. Doch stimmt das auch? Was über Tyler Robinson bekannt ist, macht die Suche nach seinem Motiv viel schwieriger.

US-Präsident Donald Trump spricht schon kurz nach dem Mord an Charlie Kirk von der Gewalt der "radikalen Linken". Da ist die Identität des mutmaßlichen Schützen Tyler Robinson noch gar nicht bekannt. Spencer Cox, Gouverneur des US-Bundesstaats Utah, wo der tödliche Schuss fiel, attestiert dem Tatverdächtigen später eine "eindeutig linke Ideologie". Von einer angeblichen "inländischen Terrorbewegung" sprechen Regierungsvertreter und blasen zum Sturm, etwa auf missliebige Nichtregierungsorganisationen.

Doch ist Robinson ein Linksextremer? Ausgeschlossen ist das nicht. Aber erste Hinweise deuten darauf hin, dass es komplizierter ist. Viel komplizierter. Robinson selbst verweigert laut den Behörden jede Zusammenarbeit. Ein Geständnis gibt es nicht. Über Freunde und Familie wollen Ermittler nun ein Tatmotiv herleiten. Auch Robinsons Spuren im Internet sollen helfen. Doch wer ihnen folgt, landet schnell in einer Welt, die für Außenstehende kaum zu durchdringen ist. Es geht um Meme-Kultur, Videospiele und Chats, um Anspielungen und Codes, die nur Eingeweihte verstehen. Und die sich alles andere als leicht einordnen lassen. Eine Annäherung.

Wer ist Tyler Robinson?

Der Tatverdächtige ist laut US-Medien 22 Jahre alt. Er stammt aus einer konservativen, mormonischen Familie in Utah. Laut Gouverneur Cox weicht seine "Ideologie" aber davon ab. Bekannt ist inzwischen auch, dass Robinson mit einer Person in einer Beziehung zusammenlebte, die sich laut Cox derzeit "von einem Mann zu einer Frau umwandeln" lässt. Konservative Medien griffen das sogleich auf, obwohl völlig unklar ist, ob es einen Zusammenhang zur Tat gibt.

Robinson studierte 2021 ein Semester an der Utah State University. Danach wurde er laut Cox "politischer". Zuletzt befand er sich im dritten Lehrjahr einer Elektriker-Ausbildung. Robinson war zwar - wie in den USA üblich - als Wähler registriert, aber nicht für eine bestimmte Partei.

Doch Republikaner Cox weiß noch mehr zu berichten: Robinson habe sich an "dunklen Orten" im Internet aufgehalten und viel Zeit mit Videospielen verbracht. Doch mit den "dunklen Orten" ist nicht das Darknet gemeint, von dem die Rede ist, wenn es um Drogenhandel oder Waffenkäufe im Internet geht. Tatsächlich geht es um die weitverzweigte Internetkultur. Dazu ist ein kleiner Umweg nötig.

Was waren Memes nochmal? Und woher stammen sie?

Memes sind Medieninhalte, die im Internet geteilt werden. Oft sind es Adaptionen oder Anspielungen auf bekannte Filme, Serien, Videospiele oder Fotografien. In Memes werden die Inhalte oft humoristisch verarbeitet oder satirisch gebrochen. Memes entstehen in den sozialen Medien, in Internetforen wie Reddit und 4chan, oder auch in speziellen Chatprogrammen für Gamer, etwa Discord. Auf dieser Seite soll Robinson seine Tat gestanden haben, wie die "Washington Post" berichtete.

Die Bedeutung von Memes ist nicht festgeschrieben, sie kann sich wandeln und auch ins Gegenteil verkehren. Was gerade noch eine Beleidigung war, kann im nächsten Moment von den Beleidigten ironisch aufgegriffen werden und als Selbstbezeichnung dienen. Die wahre Bedeutung erkennen dann nur noch Gleichgesinnte - es geht darum, sich als Teil einer Community zu erkennen zu geben. Über Außenstehende macht man sich lustig.

Ein Beispiel: Memes spielten eine wichtige Rolle im US-Wahlkampf 2016, aus dem Trump siegreich hervorging. Aktivisten der Alt Right, des rechtsextremen Randes in den USA, fabrizierten damals in einschlägigen Chats eine ganze Welle von rassistischen, sexistischen oder homophoben Memes, die weiße Wähler für Trump mobilisieren sollten. Bekannt wurde vor allem "Pepe, the frog", eine grüne Comicfigur, die keinerlei politische Bedeutung hatte - bis sie von Rechtsextremen gekapert wurde. 2019 tauchte Pepe dann bei den Protesten in Hongkong auf, diesmal aber ohne jeglichen rechtsextremen Hintergrund.

Was stand auf den Patronenhülsen?

Womit wir wieder bei Kirk und Robinson wären. Neben dem Gewehr des Schützen, auf dem laut FBI seine DNA gefunden wurde, fanden die Ermittler mehrere Patronenhülsen mit Aufschriften, die auf Memes verweisen. Diese lauten:

  • "Notices bulges OwO what's this?" stand auf der Patrone, die Kirk getötet hat. Übersetzt heißt das etwa: "Bemerkt Beule OwO Was ist das?" Die Formulierung bezieht sich auf einen alten Witz mit sexueller Anspielung aus der Furry-Community - das sind Fans vermenschlichter Tiere, die sich auch selbst Tierkostüme anziehen. OwO steht für ein Emoji, das Verwunderung oder Überraschung ausdrückt. Der von Robinson benutzte Satz ist mittlerweile weit verbreitet, vor allem bei Trollen.
  • "Hey fascist! Catch! ↑ → ↓↓↓": Die Pfeilkombination ist eine Anspielung auf das Videospiel Helldivers 2. Sie steht für eine besonders starke Waffe, die dort verwendet werden kann. Worauf sich der vorangestellte Satz bezieht, ist nicht ganz klar.
  • "If you read this, you are gay lmao": Der Satz - "Wenn du das liest, bis du schwul", lmao bedeutet "laughing my ass off" - ist so weit verbreitet, dass er sich kaum noch zuordnen lässt.
  • "Oh bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao": siehe unten

Die wörtlichen Übersetzungen geben das Gemeinte nur unzureichend wieder. Alle vier Aufschriften beziehen sich auf Internet-Memes oder weit verbreitete Äußerungen, die unterschiedliche Bedeutungen haben.

Ein Beispiel: "Bella Ciao"

"Oh bella ciao bella ciao bella ciao ciao ciao" ist die auch in Deutschland bekannte Zeile aus einem Lied italienischer Partisanen aus dem Zweiten Weltkrieg. Nach dem Krieg wurde es weiter von linken Gruppen gesungen. Also geht's bei der Patronenhülse um Antifaschismus? Nicht unbedingt. Denn 2018 erlebte der Song dank mehrerer Fernsehserien ein Comeback, etliche Remixe entstanden, der Satz ging in die Meme-Kultur ein. Seine Bedeutung ist nicht mehr eindeutig antifaschistisch. Er wird etwa verwendet, um nicht nur linken, sondern verschiedenste Arten von Widerstand auszudrücken.

Was sind Groyper?

Ursprünglich leitet sich der Begriff von Pepe ab. Die Froschgestalt Groyper, die teils auch als Kröte bezeichnet wird, ist seine noch rechtere, extremere Variante. Mittlerweile werden auch Anhänger des amerikanischen Rechtsextremisten Nick Fuentes als Groyper bezeichnet. Fuentes steht am äußersten rechten Rand, er leugnet den Holocaust, äußert sich antisemitisch und frauenfeindlich und bezeichnet sich selbst als Incel. Ihm schwebt eine Art katholischer Taliban-Staat in den USA vor.

Fuentes ist zudem ein scharfer Kritiker Charlie Kirks. Er wirft ihm etwa vor, seinen Konservatismus nur zu heucheln und Israel zu verteidigen. Kurz: In Fuentes Augen ist Kirk zu moderat. In den sogenannten Groyper Wars ab 2019 besuchten Fuentes-Anhänger Veranstaltungen Kirks, um ihn mit Fragen zur Migration oder zu Israel zu provozieren und bloßzustellen. Typisches Trollverhalten, das Groyper auch im Internet anwenden, um missliebige Nutzer mit Kommentaren zu provozieren, zu beleidigen oder einzuschüchtern. Dazu sollen auch solche Sprüche gehören, die auf den Patronenhülsen Robinsons zu finden sind.

Und wie hat Robinson es gemeint?

"Bella Ciao" - antifaschistischer Protestsong oder Symbol rechtsextremer Trolle? Robinsons Verwendung der Liedzeile heißt nicht unbedingt, dass er ein Fuentes-Anhänger ist. Genau wie sie nicht unbedingt bedeutet, dass er sich als Antifaschist präsentieren will. Wie genau er die Verwendung gemeint hat und welche Gruppe er damit ansprechen will, ist unklar. Zufällig ist sie aber sicher nicht.

So wird etwa auch ein altes Foto Robinsons von manchen als Beweis dafür gehalten, er sei ein Groyper gewesen. Es zeigt ihn im schwarzen Trainingsanzug, in tiefer Hocke. Es gibt Darstellungen von Pepe (oder Groyper?) in derselben Pose. Aber diese Körperhaltung ist auch als ein anderes Meme bekannt: Gopnik, eine Anspielung auf osteuropäische Männer der Unterschicht, in der sogenannten Russenhocke. Als Beweis für extreme Umtriebe taugt das Foto also wenig. Auch wenn die von Robinson verwendeten Aufschriften von Rechtsextremen verwendet werden, heißt das noch nicht, dass er sie in deren Sinn verwendet hat. Satire und permanente Umdeutungen können ohnehin die dahinterstehende radikale Weltsicht verschleiern.

Was sind die Folgen?

Die Interpretation von Memes ist vielschichtig. Und Robinson ist nicht der erste Täter, der sich solcher Zeichen bedient oder das Internet als Resonanzraum für seine Tat nutzt. Der Attentäter, der 2019 seinen Angriff auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch streamte, postete zuvor etliche Memes, mit denen er seine Tat ankündigte. Ähnlich ging der Attentäter von Halle vor, der seine Tat auf Twitch übertrug. Auch die Beschriftung von Patronen ist nicht neu, das ist etwa vom Anschlag auf den CEO von United Healthcare bekannt. Es sind Fälle, in denen die Intenetkultur in die Realität übertragen wird. Und es wird nicht der letzte derartige Fall sein. Polizei, Politik und Gesellschaft müssen überlegen, wie sie darauf reagieren können.

Die ausgesendeten Zeichen richten sich an Eingeweihte und werden meist nur von ihnen verstanden. Es geht um Exklusivität. Das zeigt auch die erste und teils widersprüchliche Reaktion der Polizei nach dem Mord an Kirk, die sich keinen Reim auf die Sätze auf den Patronenhülsen machen konnte. Diese Unsicherheit ist gewollt. Es geht dabei nicht mehr unbedingt um Links oder Rechts, es muss nicht mal eine politische Tat sein. Es geht in erster Linie um Memes und die Aufmerksamkeit in der eigenen Gruppe.

Fakt ist: Vorschnelle Schuldzuweisungen sind fehl am Platz. Trump stört das freilich nicht. Wenn er im Zusammenhang mit dem Mord von "radikalen Linken" spricht, geht es ihm nicht um die Aufdeckung wahrer Hintergründe. Es geht ihm um eine strategische Positionierung. Er schlachtet das Attentat für seine eigenen Zwecke aus. Es geht dem US-Präsidenten darum, seine eigene Basis zu mobilisieren und gleichzeitig politische Gegner ins Visier zu nehmen. Was ihm offensichtlich gut gelingt. Ob Robinson nun tatsächlich ein Linksextremer war, ist dabei irrelevant.

Quelle: ntv.de, mli

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