Hohes Terror-Risiko in Europa Was wir über die Absage der Taylor-Swift-Konzerte wissen
08.08.2024, 15:55 Uhr Artikel anhören
Der Hauptverdächtige leistete dem IS den Treueschwur und wurde festgenommen.
(Foto: dpa)
In Wien sitzt der Schock tief, dass ein Islamist in diesen Tagen bei einem Taylor-Swift-Konzert ein Blutbad anrichten wollte und mit seinen Vorbereitungen schon weit fortgeschritten war. Bei den vielfach jungen Fans der US-Sängerin ist die Enttäuschung über das entgangene Konzert zwar riesig, aber sie sind auch erschüttert darüber, was hätte passieren können. Die Terrorgefahr bei Großveranstaltungen ist wieder zum Greifen nah. Fragen und Antworten zu den brisanten Geschehnissen.
Warum geraten gerade große Konzerte ins Visier?
Die Täter suchen maximale Aufmerksamkeit und möglichst viele Opfer, die zum Feiern zusammenkommen und Sicherheitsbedenken oder -vorkehrungen womöglich beiseitegeschoben haben. "Große Konzerte sind dabei oft ein bevorzugtes Ziel von islamistischen Attentätern", sagte Österreichs Innenminister Gerhard Karner. Er verwies unter anderem auf den Anschlag auf den Konzertsaal Bataclan in Paris 2015, wo 130 Menschen ermordet wurden. Und auch auf Manchester, wo 2017 bei einem Konzert der Sängerin Ariana Grande 22 Besucherinnen und Besucher zu Tode kamen. Im März sind auch in einem Vorort von Moskau beim Konzert einer russischen Band 140 Menschen einem Anschlag zum Opfer gefallen.
Wie ist die Terrorbedrohungslage in Österreich?
Nach den verheerenden Anschlägen der terroristischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 mit 1200 Toten gilt in Österreich die zweithöchste Terrorwarnstufe. Das bedeutet erhöhte Wachsamkeit der Behörden und Sicherheitsvorkehrungen bei Veranstaltungen. Auch das Entsetzen über die Zerstörungen durch den israelischen Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen schürt unter vielen jungen Menschen die Gewaltbereitschaft. Wien hat 2020 einen terroristischen Amoklauf erlebt, bei dem ein Attentäter vier Menschen tötete und 23 weitere verletzte, einige von ihnen schwer. Er wurde von der Polizei erschossen.
Für die bevorstehenden Coldplay-Konzerte im selben Stadion bestehe keine erhöhte Gefahr, teilte der Veranstalter Live Nation mit. "Wir sollten versuchen, Ruhe zu bewahren und die Situation nicht mit Spekulationen weiter anzuheizen", hieß es. "Alle Fans können davon ausgehen, dass die Sicherheit der Besucher, Mitarbeiter und Künstler stets Vorrang hat." Auch für das am kommenden Mittwoch startende Frequency-Festival in St. Pölten gibt es nach Angaben der Polizei keine konkreten Hinweise auf eine spezifische Gefährdung.
Wie groß ist der IS überhaupt noch?
Der Hauptverdächtige des Anschlags in Wien hat der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen. Der IS stellt mit seinen verschiedenen regionalen Ablegern weiterhin eine große Gefahr dar. Nach seiner militärischen Niederlage im Irak 2017 und in Syrien 2019 hatte das Terrornetzwerk zwar eine Zeit lang weniger Anhänger rekrutieren können. Inzwischen sieht es aber wieder anders aus. Vor allem radikalisierte Einzeltäter und kleine Terrorzellen, die schwerer zu entdecken sind, sind gefährlich - auch in Europa.
"Das Risiko dschihadistischer Anschläge ist so hoch wie seit Langem nicht mehr", sagte der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, im Juni. Er nannte verschiedene Gründe. Der IS und die islamistischen Taliban sind zwar Gegner. Dennoch hat die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan die dschihadistische Idee nach Einschätzung des Verfassungsschutzes insgesamt befördert. Weitere verstärkende Faktoren seien Koran-Verbrennungen in Skandinavien sowie der israelische Militäreinsatz gegen die islamistische Hamas im Gazastreifen, sagte Haldenwang.
Gibt es aktuell konkrete Gefahrenlagen in Deutschland?
Nein, aber die abstrakte Gefahr bleibt hoch. Die Sicherheitsbehörden greifen heute in einem früheren Stadium zu als noch vor zehn Jahren. Das ist auch eine Lehre aus dem Terroranschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt 2016. Im Juni und Juli dieses Jahres wurden in Deutschland mehrere mutmaßliche IS-Anhänger festgenommen. Einer von ihnen war ein junger Mann mit deutsch-marokkanisch-polnischer Staatsangehörigkeit. Er hatte sich vergeblich als Ordner und Sicherheitskraft bei Großveranstaltungen beworben, darunter bei einem Musikfestival und Veranstaltungen während der Fußball-EM außerhalb der Stadien. Bei der Prüfung seiner Bewerbung fiel er durch, weil ihn die Sicherheitsbehörden wegen möglicher Sympathien für die Terrorgruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) auf dem Schirm hatten. Der Mann wurde am Flughafen Köln/Bonn gefasst, als er ausreisen wollte.
Als Reaktion auf die Absage der Taylor-Swift-Konzerte in Wien verwies Bundesinnenministerin Nancy Faeser auf die weiterhin hohe Terrorgefahr auch in Deutschland. "Die aktuellen Ermittlungen in Wien zeigen, wie ernst die Bedrohung durch islamistischen Terror in Europa zu nehmen ist", sagte die SPD-Politikerin der Funke Mediengruppe. "Unsere Sicherheitsbehörden tauschen sich mit den österreichischen Behörden eng aus." Die Bedrohungslage durch islamistischen Terrorismus sei auch in Deutschland anhaltend hoch, so Faeser. "Das war einer der Gründe, warum wir gemeinsam mit den Ländern so starke Schutzmaßnahmen zur Fußball-Europameisterschaft in Deutschland getroffen haben."
Was ist über die Tatverdächtigen in Wien bekannt?
Der 19 Jahre alte Hauptverdächtige ist IS-Anhänger und hat inzwischen ein volles Geständnis abgelegt. Auch ein 17-Jähriger wurde festgenommen. Es werde aktuell nicht nach weiteren Terrorverdächtigen gesucht, auch wenn die Ermittlungen im Umfeld des Duos mit Hochdruck weiterliefen, so der Generaldirektor für die öffentliche Sicherheit im Innenministerium, Franz Ruf.
Der Plan der beiden jungen Männer war laut Behörden, entweder am Donnerstag oder am Freitag mit Sprengstoff und Stichwaffen "sich selbst und eine große Menschenmenge zu töten", sagte Omar Haijawi-Pirchner, der Leiter der Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) im Bundesinnenministerium. Ein Ticket für eines der drei Konzerte im Ernst-Happel-Stadion im Wiener Prater habe der Hauptverdächtige nicht gehabt, hieß es.
Wie gingen die Behörden vor?
Die Polizei nahm am Mittwoch neben dem 19-Jährigen auch den 17-Jährigen fest und verhörte zudem einen 15-Jährigen. Beide hätten Kontakt mit dem 19-Jährigen gehabt. Der 19 Jahre alte Österreicher mit familiären Wurzeln auf dem Balkan habe am 25. Juli seinen Job gekündigt und dabei gesagt, dass er noch Großes vorhabe, so die Polizei. Er habe sich dann intensiv auf einen geplanten Anschlag vorbereitet. "Er hat sein Erscheinungsbild auffällig verändert" und an die IS-Standards angepasst, sagte Ruf. Der 17-Jährige habe sich in Vorbereitung des Anschlags von seiner Freundin getrennt. Bei beiden Verdächtigen sei eine klare soziale Veränderung eingetreten.
Der 17-Jährige ist bei einem Unternehmen angestellt, das die Zuschauer im Happel-Stadion versorgt. Die Festnahme erfolgte am Mittwoch, als sich der Jugendliche auf dem Weg ins Stadion befand. Hier wurde er von Sondereinsatzkräften der Polizei kurz vor dem Stadion gefasst. Er schweigt bisher zu den Vorwürfen. In Polizeigewahrsam befindet sich auch ein 15-Jähriger mit türkischem Hintergrund, der intensiv befragt wird. Er soll zumindest von den Terror-Plänen des 19-Jährigen gewusst haben. Inwieweit er eingebunden war, ist Gegenstand der laufenden Ermittlungen.
Bei einer Durchsuchung der Wohnräume des 19-Jährigen in Ternitz südlich von Wien waren chemische Substanzen und technische Vorrichtungen sichergestellt worden, die auf "konkrete Vorbereitungshandlungen" hindeuteten, sagte Ruf weiter. Außerdem wurden ein Polizei-Blaulicht und ein akustisches Polizeihorn gefunden. Sie sollten möglicherweise den Verdächtigen helfen, zum Tatort zu kommen oder von diesem zu flüchten.
Wie reagiert Österreichs Politik?
Die Parteien sehen Aufklärungsbedarf. Die sozialdemokratische SPÖ verlangte die Einberufung des Nationalen Sicherheitsrates. Die Öffentlichkeit werde im Unklaren gelassen, ob weiterhin eine tatsächliche Bedrohungslage bestehe. Die liberalen Neos forderten indes eine Lagebesprechung im Kanzleramt. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger sorgt sich außerdem um den Ruf der Alpenrepublik. "Ich fürchte, der Imageschaden für Österreich und Wien ist enorm. In Paris, Berlin, London, München, … überall können Veranstalter und Sicherheitsbehörden Konzerte durchführen. Nur bei uns nicht? Sind wir dermaßen herabgewirtschaftet?", schrieb sie auf X. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) sagte bei einer Pressekonferenz, durch das Einschreiten der Fahnder sei eine Tragödie verhindert worden. "Die Lage war ernst, die Lage ist ernst".
Kanzler Karl Nehammer lobte am Nachmittag in einer eigens einberufenen Pressekonferenz die Absage der drei Konzerte ausdrücklich. Die Entscheidung des Veranstalters sei "sehr verantwortungsvoll und nachvollziehbar". Die Verdächtigen hätten mit ihren Mitteln ein großes Blutbad anrichten können. Ohne das rechtzeitige Eingreifen der Fahnder hätte ein "unermesslicher Schaden" gedroht. Zehntausende Fans des US-Stars seien durch die Islamisten um eine große Freude gebracht worden. "Ich verstehe sehr gut, dass die Traurigkeit sehr groß ist." Der ÖVP-Politiker kündigte an, den Nationalen Sicherheitsrat einzuberufen.
Wie bereitet sich London auf die bevorstehenden Swift-Konzerte vor?
Die britische Polizei-Staatssekretärin Diana Johnson sagte, die Londoner Polizei werde alle verfügbaren Informationen prüfen, bevor Taylor Swift für eine Reihe von Konzerten nach Großbritannien zurückkehrt. Ein Sprecher der Metropolitan Police sagte, es gebe keine Berichte über irgendetwas Bemerkenswertes in Bezug auf Swift, man werde die Öffentlichkeit aber auf dem Laufenden halten. Londons Bürgermeister Sadiq Khan sagte, die Stadt halte an den geplanten Konzerten mit Swift fest. "Wir haben viel Erfahrung bei der Polizeibegleitung solcher Veranstaltungen", so Khan. Man habe viel gelernt nach dem furchtbaren Anschlag in Manchester.
Was sagen die Swift-Fans?
"Sicherheit geht vor" - so oder ähnlich äußern sich viele in den sozialen Medien. Gleichwohl sind viele Fans untröstlich. Eine deutsche Familie ist extra aus Kalifornien angereist, weil sie für die Tochter nur Karten für das Swift-Konzert in Wien ergattern konnte. Die Tochter sei seit zehn Jahren treuester Swift-Fan und habe ein Jahr lang auf das Konzert hingearbeitet, berichtete die Mutter. Die Familie habe ihren ganzen Europatrip um das Konzert geplant und "Tausende Euros für völlig überteuerte Hotels in Wien" ausgegeben.
Einige "Swifties", wie die Fans der Sängerin sich nennen, riefen dazu auf, auf sozialen Medien trotzdem Party zu machen. Auf Instagram schlug jemand vor, das für das Konzert geplante Outfit anzuziehen und kleine Tanzvideos zu Swift-Songs zu posten, mit dem Hashtag #viennaswifties. "Wir bringen die sozialen Medien zum Glänzen" hieß es dazu. "Ist doch ein großartiger Tag, gleichzeitig mit Taylor Swift am Leben zu sein."
Bekommen Fans, die ihre Anreise nach Wien stornieren, Kosten erstattet?
Die Kosten für die Tickets werden erstattet, aber auf Hotel- und Flugkosten dürften die meisten sitzenbleiben. Im Einzelfall müssen Betroffene in die Stornobedingungen des Anbieters schauen. "Ich schätze, dass viele nicht stornierbare Tarife gewählt haben und jetzt auf den Kosten sitzenbleiben", sagte die Reiserechtsexpertin Karolina Wojtal vom Europäischen Verbraucherzentrum. Wer ein Paket mit Konzerttickets, Hotel und Anreise gebucht hat, dürfte bessere Chancen auf Erstattung haben. Die österreichische Bahn wollte direkt bei ihr gekaufte Tickets für die Anreise zu den Konzerten "aus Kulanzgründen" erstatten.
Bleibt der Veranstalter auf seinen Kosten sitzen?
Barracuda Music hat den Fans zugesichert, dass die Tickets innerhalb von zehn Tagen erstattet werden. Was die Kosten für die Miete des Stadions, Sicherheitsdienste und vieles mehr angeht: In der Regel schließen Veranstalter dafür Ausfallversicherungen ab, sagte Johannes Everke, Geschäftsführer des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft e.V. "Eine solche Versicherung umfasst Schäden und Verluste durch Abbruch oder Ausfall einer Veranstaltung, soweit der Veranstalter den Grund dafür nicht zu vertreten hat." Terrorgefahr zähle zu den versicherbaren Risiken.
Quelle: ntv.de, fzö/dpa/AFP