Debatte zu Ausländerkriminalität Das brandgefährliche Gefühl vom hilflosen Staat
10.04.2024, 15:48 Uhr
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"Ohne Scheu und Ressentiments" über straffällig gewordene Ausländer reden: Innenministerin Nancy Faeser.
(Foto: IMAGO/Jürgen Heinrich)
Politik und Behörden werden bei der Kriminalitätsbekämpfung zunehmend als überfordert wahrgenommen. Innenministerin Faeser hat daher recht: Es ist Zeit, über Folgen der Einwanderung "ohne Scheu" und "ohne Ressentiments" zu reden. Aber man muss es eben auch tun, statt die Rassismus-Keule zu schwingen.
Das Reflexhafte hat in Deutschland schon funktioniert, als die Republik noch lange nicht so polarisiert war wie heute. "Meine deutschen Kollegen scheuen sich, ihre Meinung über die straffälligen Ausländer zu äußern, da sofort die alte Leier mit den Nazis anfängt", schrieb die Bochumer Kriminalbeamte Tania Kambouri Ende 2013 in einem Brandbrief, erschienen im Magazin der Gewerkschaft der Polizei. Darin klagte die Tochter griechischer Einwanderer, dass sich Polizisten, auch sie selbst, aufgrund der Überzahl ausländischer Straftäter in Einsätzen zunehmend unwohl fühlten.
Zwei Jahre später erschien auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise - der Zeitpunkt war Zufall - Kambouris Buch, wiederum begleitet von erwartbaren Reaktionen. Ihre Kritiker von links vermissten "empirische Belege" für die "Behauptung", Migranten aus muslimischen Ländern fehle "der grundlegende Respekt gegenüber der deutschen Staatsgewalt". Ihre Erfahrungen, etwa "Bullenschlampe" genannt oder wegen ihres Geschlechts abgelehnt zu werden, wurden als pauschale rassistische Hetze eingeordnet. Im rechten Spektrum wiederum wurden die Beobachtungen der Polizistin zum einzig wahren Beleg gescheiterter Integration und als Vorzeichen für den Untergang des Abendlandes erklärt.
Geholfen war und ist damit niemandem. Trotzdem zeigt sich das Muster weiterhin bei jeder Gewalttat. Nur dass inzwischen die einen es regelrecht herbeisehnen, dass sich ein Migrant mit oder ohne deutschen Pass als Fiesling erweist, um sich bestätigt zu sehen, und die anderen hoffen, dass es nicht so war, damit sie sich den Hinweis sparen können, dass die Herkunft keine Rolle spiele. Aus juristischer und soziologischer Sicht stimmt das: Vor dem Gesetz sind alle gleich. Und Menschen, die in Armut und üblen, auch brutalen, Verhältnissen aufwachsen, neigen selbst eher zur Gewalt. Migranten leben häufig in sozialer Not.
Fazit begrenzt und pillepalle?
Doch das ändert nichts daran, dass es "Ausländerkriminalität" gibt. Und dass sie zunimmt, wie die jüngste Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) belegt. 41 Prozent der Verdächtigen sämtlicher behördlich registrierter Straftaten hatten keine deutsche Staatsbürgerschaft. Der Anteil der Ausländer an der Gesamtbevölkerung liegt bei um die 16 Prozent. Über die Aussagekraft der Daten kann gestritten werden. Ein Verdacht ist in einem Rechtsstaat ein Verdacht. Es leben mehr Flüchtlinge und Asylbewerber in der Bundesrepublik als je zuvor. Setzt man ihre Zahl ins Verhältnis zum Anteil in der Bevölkerung, ergibt sich kein Anstieg der Tatverdächtigen ohne deutschen Pass. Straftaten wie "unerlaubte Einreise" und "unerlaubter Aufenthalt" können nur Ausländer begehen. Touristen, die einen Diebstahl begehen, tauchen auch in der Statistik auf.
Doch wäre das Fazit aus der PKS arg begrenzt oder gar pillepalle, müssten sich Bundesinnenministerin Nancy Faeser von der SPD, ihr brandenburgischer CDU-Kollege Michael Stübgen, zugleich Vorsitzender der Innenministerkonferenz, sowie der Präsident des Bundeskriminalamts, Holger Münch, nicht die Mühe machen, die Statistik gemeinsam zu erläutern, zu deuten und Konsequenzen zu verkünden. Dann müsste Faeser nicht in vielen Interviews sagen, wofür sie vor zwei oder drei Jahren noch in der SPD verbal gesteinigt worden wäre. Über Ausländerkriminalität müsse "ohne Scheu und Ressentiments" gesprochen werden. "Wer sich nicht an die Regeln hält, muss gehen."
Wohin gehen? Zum Sozialamt? Zum Anwalt? Jeder Mensch weiß, dass die Zahl der Abschiebungen nicht groß zunehmen wird, weil die Herkunftsländer kein Interesse haben, Kriminelle aufzunehmen. Noch ist es so: Wer es einmal nach Deutschland geschafft hat, kann hier bleiben. Ob das Paket der Ampel-Koalition, das die FDP als "Abschiebungsoffensive" bezeichnet, tatsächlich etwas bringen wird, wird die Zukunft zeigen. Betroffene haben das Recht auf einen Anwalt - so funktioniert der Rechtsstaat. Man ahnt schon, wie das endet. Und wer zahlt den Juristen? Es läuft auf den Steuerzahler hinaus. Man ahnt schon, wie das in der Bevölkerung ankommt.
Faeser lobt, dass die Maßnahmen der Ampel nach 2015/16 in der Härte "nicht getroffen" worden seien, was erstaunlich ist. Da gehörte die SPD der Regierung von Angela Merkel an und zu denen, die "Wir schaffen das" ohne jeden Abstrich unterstützen. Wer damals prognostizierte, dass, wenn sich an der Praxis nichts ändert, das Asylrecht geschliffen wird, politisch, religiös, ethnisch oder wegen ihrer sexuellen Orientierung Verfolgte die Leidtragenden sein werden, auch weil die Akzeptanz für die Aufnahme "Fremder" in der Bevölkerung schwindet, wurde mindestens als "Rassist" oder "Rechtspopulist" gebrandmarkt.
Man frage nur Boris Palmer
Faesers Erkenntnisse, dass es an der Zeit für "hartes Durchgreifen des Rechtsstaates", "schnelle Strafen" und "ausreichend" gut ausgestattete Polizei sei, sind seit Jahren Allgemeingut. Die Debatte, die sie wünscht, wird ausbleiben, dafür wird der linke Flügel der SPD und die Mehrheit der Grünen sorgen - man frage nur Boris Palmer. Dass sich die Sozialdemokratin an der Stelle - natürlich spielen die AfD-Umfragewerte eine wesentliche Rolle - korrigiert und überhaupt die Notwendigkeit einer Diskussion sieht, muss man anerkennen. Doch wie schmal der Grat ist, auf dem Faeser zwischen "ohne Scheu" und "ohne Ressentiments" wandelt, zeigt sich an ihrem Ausweichen auf bestimmte Fragen, etwa nach einer Obergrenze für Einwanderer oder ob Deutschland durch die ungebrochene Migration gefährlicher geworden sei.
Die Bundesrepublik ist nach wie vor eines der sichersten Länder der Welt. Doch die Angst geht um. Zunehmend macht sich das brandgefährliche Gefühl vom überforderten und hilflosen Staat breit. Dass die Politik tatsächlich am Ende ist, zeigt sich im Großen bei den Abschiebungen und im Kleinen an dem zunehmend bizarren Streit in Berlin um Ja oder Nein eines abschließbaren Zauns um den Görlitzer Park in Kreuzberg. Die Grünen sind gegen die Umfriedung und haben gute Gründe. Denn die Drogenkriminalität wird so nur in andere Straßen verschoben. Aber deshalb nichts tun? Das kann auch nicht die Lösung sein.
Kontraproduktiv ist der von rechts befeuerte Alarmismus und ein Generalverdacht gegenüber Ausländern. Genauso falsch ist es, den Anteil der Kriminellen ohne deutschen Pass klein- oder schönzureden, mit Multikulti-Gerede zu bemänteln oder sogar zu ignorieren. Alles andere als hilfreich ist auch, Politiker wie den NRW-Innenminister Herbert Reul "Diskriminierung", also Rassismus, zu unterstellen, wenn er wie jüngst im "Spiegel" sagt: "Ich möchte offensiv dieses Thema ansprechen, das die Menschen beunruhigt. Damit keine Stimmung entsteht, die der AfD die Leute in die Arme treibt und die dafür sorgt, dass sich immer mehr Menschen vom Staat entfernen." Recht hat der Mann. Redebedarf gibt es. Hoffen wir, dass die Debatte nicht wieder endet wie die Diskussion nach dem Brandbrief von Tania Kambouri: Du Gutmensch! Du Nazi! Das führt zu gar nichts.
Quelle: ntv.de