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Flüchtlingsdrama im Mittelmeer Hilflos im Todesmeer

Gekenterte Flüchtlinge im Mittelmeer - Aufnahme vom 12. April. Das Foto wurde von einem Frachtschiff aus. Zahlreiche Flüchtlinge werden von solchen Frachtschiffen gerettet.

Gekenterte Flüchtlinge im Mittelmeer - Aufnahme vom 12. April. Das Foto wurde von einem Frachtschiff aus. Zahlreiche Flüchtlinge werden von solchen Frachtschiffen gerettet.

(Foto: dpa)

Nach der Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer verfällt die EU in Aktionismus. Nach ihrer langen Untätigkeit ist das überfällig. Doch die plötzliche Aktivität kaschiert auch den Umstand, dass sich solche Katastrophen nicht verhindern lassen.

Seit Jahren ertrinken im Mittelmeer Menschen, die versuchen, illegal in die Staaten der Europäischen Union zu gelangen. Doch nun bricht in der EU plötzlich Hektik aus. Rund 1000 Ertrunkene binnen einer Woche, davon allein 700 am Samstag vor der libyschen Küste - das rüttelt dann sogar die Brüsseler Gewohnheitsbürokratie auf. Heute beraten die Außenminister der Union bei einem blitzartig anberaumten Krisentreffen darüber, wie sich solche Schiffkatastrophen mit Flüchtlingen künftig verhindern lassen.

Ratschläge, Vorschläge, Ideen gibt es viele. Doch sollte das nicht darüber hinwegtäuschen: Nichts davon ist geeignet, um das Flüchtlingsdrama im Mittelmeer zu beenden.

Für Bundesinnenminister Thomas de Maizière beispielsweise ist die vordringlichste Aufgabe die Bekämpfung von Schleppern, die Flüchtlinge aus Afrika und Asien in kaum seetüchtigen Schiffen über das Mittelmeer schicken. Das klingt gut, ist aber utopisch. Denn viele Schlepper agieren von Libyen aus, einem "failed state", in dem die Zentralregierung wenig und die einander bekämpfenden Milizen viel zu sagen haben. Mit wem soll die EU dort bei der Schlepperbanden-Bekämpfung zusammenarbeiten? Zumal: Nicht einmal im Nato-Land Türkei, das einen sehr durchsetzungsstarken Präsidenten hat, gelingt es, den Schleusern das Handwerk zu legen.

Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier plädiert dafür, "mehr Stabilität nach Libyen zu bringen". Das klingt auch sehr schön. Aber wie soll das funktionieren? Eine Kooperation mit der schwachen libyschen Zentralregierung ist fruchtlos. Eine militärische Besetzung der libyschen Küste, wie in Brüssel auch überlegt wird? Die EU müsste dies im Alleingang machen, da Moskau und Peking einer UN-Mission wohl kaum zustimmen dürften. Und selbst wenn: Die EU müsste sich in Libyen nicht nur mit diversen schwerbewaffneten Milizen auseinandersetzen, sondern auch mit dem "Islamischen Staat", der einen Teil der Küste okkupiert hat.

Die EU muss die Flüchtlinge als Menschen sehen

Eine weitere Forderung ist, die EU solle Aufnahmezentren in nordafrikanischen Küstenstaaten einrichten, in denen schnell über Asylanträge entschieden wird. Das ist ebenfalls unrealistisch. Denn Länder mit solchen Zentren werden unweigerlich zu Magneten für Flüchtlinge. Dort würden gigantische Camps entstehen, deren Unterhalt diese Staaten überfordern, sie sogar destabilisieren würde.

Doch der Hauptgrund, weshalb alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt sind: Im Vergleich zu den meisten anderen Teilen der Welt ist die EU ein Hort des Friedens und des Wohlstandes. Auch wenn sie endlich ihre Entwicklungshilfe massiv erhöhen würde, änderte das nichts daran, dass die EU-Staaten auf Jahrzehnte ein Sehnsuchtsort für die Armen, Hungernden und Verfolgten bleiben werden. Sie werden immer versuchen, in dieses Paradies zu gelangen, mit Hilfe von Schleppern, auf maroden Schiffen, über das Mittelmeer. Und dagegen ist die EU hilflos.

Die Union kann Katastrophen wie jetzt vor der libyschen Küste nicht verhindern, wohl aber weniger wahrscheinlich machen. Sie muss endlich begreifen, dass die Flüchtlinge nicht nur illegale Einwanderer sind, die mit polizeilichen Mitteln gestoppt werden müssen. Sie muss sie endlich als Menschen sehen, die Hilfe brauchen.

Bis zum Herbst gab es ist EU-Rettungsaktion "Mare Nostrum", bei der vor allem die italienische Marine schiffbrüchige Flüchtlinge rettete. Die Aktion wurde im Herbst eingestellt - ein Fehler. Mit einem gewissen Recht wirft etwa Amnesty International der Union deshalb eine Mitschuld an der Katastrophe vor Libyen vor. "Mare Nostrum" muss sofort wieder aufgenommen werden. Und diesmal darf die EU die Rettung der Flüchtlinge nicht nur den überforderten Italienern und Griechen überlassen; jedes EU-Land muss sich daran beteiligen, es ist eine Gemeinschaftsaufgabe.

Die Rettungsschiffe der Europäer müssen vor den Küsten Nordafrikas, Syriens und der Türkei kreuzen und Flüchtlinge aufnehmen, die in nicht-hochseetauglichen Booten und Seelenverkäufern unterwegs sind. An Land, in der EU, muss dann aber so schnell wie möglich über die Asylanträge der Flüchtlinge entschieden und - wo kein Asylgrund vorliegt - abgeschoben werden. Andernfalls lockt die Aktion nur noch mehr Arme, Hungrige und Verfolgte aufs Mittelmeer. Und die humanitäre Rettungsaktion würde das Gegenteil bewirken.

Quelle: ntv.de

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