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Des Kanzlers Wagenburgmentalität Lambrechts Patzer rütteln am System Scholz

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Noch hat er ein Lächeln für sie: Scholz und Lambrecht. (Archivbild)

(Foto: picture alliance/dpa)

Kein anderes Regierungsmitglied bereitet dem Bundeskanzler so zuverlässig Ärger wie die Verteidigungsministerin. Doch so sehr Lambrecht die Koalition auch belasten mag: Scholz wird sie eher nicht rausschmeißen. Die Gründe hierfür erzählen viel über die Art und Weise, wie Scholz das Land regiert.

Christine Lambrecht ist eine gute Nachricht für die Opposition, allen voran für die nach der Absetzung der Verteidigungsministerin rufenden Unionsparteien CDU und CSU. Schließlich liefert keine andere Ministerin so zuverlässig Vorlagen für beißende Kritik an der Ampelkoalition. Der jüngste Patzer: ihr Instagram-Video zum Jahreswechsel, das einen erstaunlichen Mangel an Feingefühl und Medienkompetenz demonstrierte. Der Clip reihte sich ein in Peinlichkeiten wie den Mitflug ihres erwachsenen Sohnes im Bundeswehr-Hubschrauber und Truppenbesuche in Stöckelschuhen. Und er passt zum von Opposition und Medien verbreiteten Bild einer Ministerin, die von ihrem Amt überfordert ist, angesichts der beschleunigten, 100 Milliarden Euro schweren Ertüchtigung der Bundeswehr sowie Deutschlands militärischer Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine. Dennoch ist ein baldiger Rauswurf von Christine Lambrecht unwahrscheinlich - und der Grund hierfür heißt Olaf Scholz.

Der Bundeskanzler hat in seiner einjährigen Amtszeit mehr als einmal deutlich gemacht, dass er schon aus Prinzip nicht über Stöckchen springt, die ihm von politischen Gegnern, Koalitionspartnern oder Medien hingehalten werden. Der 64-Jährige weigert sich beharrlich, seine Entscheidungen entlang von Stimmungen und tagesaktuellen Aufregern auszurichten. Das kann zu kluger Politik führen, etwa als die Bundesregierung im vergangenen März nicht dem Druck der öffentlichen Debatte nachgab, ein totales Importverbot für Gas, Öl und Kohle aus Russland zu verhängen. Doch Scholz' gelassene Selbstgewissheit steigert sich eben auch schnell zum Trotz. Der gipfelt mal in den Verwirrung stiftenden Begründungen, warum Deutschland der Ukraine weder "Marder"- noch "Leopard"-Panzer liefert. Oder führt gar zu Zerwürfnissen mit wichtigen Bündnispartnern, etwa als Scholz während seines Antrittsbesuchs in den USA, wenige Wochen vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine, partout nicht über ein Aus der Pipeline Nord Stream 2 sprechen wollte.

Das Prinzip Loyalität

Scholz ist überzeugt, dass die Regierung erst gen Ende ihrer Amtszeit bewertet werden sollte. Und er ist sich sicher, dass diese Bilanz positiv ausfallen wird. Größere und kleinere Aufreger, wie sie Lambrecht bis dahin produziert, würden diesem Kalkül zufolge dann längst in Vergessenheit geraten sein. Zumal Scholz ohnehin nicht viel auf Empörungswellen in den sozialen Medien gibt. Er nutzt sie selbst praktisch nicht. Doch dass diese Überlegungen tatsächlich auch für die Verteidigungsministerin greifen, ist eine zunehmend riskante Wette. Schließlich untermauern Lambrechts kommunikative Patzer nur den Eindruck, dass sie insgesamt fehl am Platz ist. Zu langsam und planlos läuft bislang die Beschaffungsoffensive. Zu häufig sind Berichte darüber, dass die ehemalige Justizministerin auch noch nach einem Jahr mit ihren neuen Themen fremdelt, seien es Details der Wehrtechnik oder die ganz eigene Hierarchie- und Kommunikationskultur der Bundeswehr.

Doch Lambrecht als Fehlbesetzung einzustufen, hieße für Scholz, einen Fehler zuzugeben. Und das ist so gar nicht nach dem Wesen des Bundeskanzlers. Der hatte am Nikolaustag 2021 die SPD-Ministerinnen und -Minister als von ihm handverlesene Truppe vorgestellt. Lambrecht war seine persönliche Wahl und vieles spricht dafür, dass er sich aus Gründen der Loyalität und des Vertrauens für Lambrecht entschieden hat, weniger wegen ihrer fachlichen Eignung. Scholz hat sich sein Kanzleramt und sein Kabinett nach dem Loyalitätsprinzip zusammengestellt. Wie Lambrecht sind auch Innenministerin Nancy Faeser, Bauministerin Klara Geywitz und Arbeitsminister Hubertus Heil politisch auf einer Linie mit Scholz und zum Teil langjährige Mitstreiter des Hamburgers. Der in der eigenen Bundestagsfraktion umstrittene, in Teilen der Bevölkerung aber äußerst populäre Karl Lauterbach wurde zum Gesundheitsminister von Scholz' Gnaden.

Im Kanzleramt umgab sich Scholz mit noch engeren Weggefährten. Seine Büroleiterin Jeanette Schwamberger, sein Sprecher Steffen Hebestreit und Kanzleramtschef Wolfang Schmidt begleiten ihn schon seit seinen Tagen als Hamburgs Erster Bürgermeister. Der vormalige Goldmann-Sachs-Manager und heutige Staatssekretär im Kanzleramt, Jörg Kukies, stieß während dessen Zeit als Bundesfinanzminister zum Team Scholz. Die Liste mit langjährigen Vertrauten im Bundeskanzleramt ließe sich fortsetzen. Wer Scholz gegenüber loyal ist, wird mit dessen Loyalität belohnt. Nach diesem Prinzip überstand Scholz auch tiefe politische Krisen, wie sein Scheitern bei der Wahl für den SPD-Vorsitz oder die lange aussichtslos erscheinende Kanzlerkandidatur. Skandale wie der noch immer Fragen aufwerfende Umgang der Stadt Hamburg mit dem Cum-Ex-Betrug der Warburg Bank perlten auch deshalb zuverlässig an Scholz ab, weil er um sich herum eine personelle Wagenburg errichtet hat, die in Zeiten des Gegenwinds alle Tore und Fenster geschlossen hält, bis sich der Sturm irgendwann gelegt hat.

Die Hessenwahl als Exitstrategie

Scholz' Festhalten am Loyalitätsprinzip ist eine Säule seines politischen Erfolgs. Aber sie befördert auch die Unflexibilität eines Regierungschefs, der sich aus tiefstem Glauben an die eigene intellektuelle Überlegenheit ungern belehren lässt. Eben deshalb ist es unwahrscheinlich, dass Scholz sich einen Rauswurf Lambrechts von außen diktieren lässt. Auch nicht, wenn die eigenen Koalitionspartner die Ministerin öffentlich anzählen. Der Kanzler korrigiert sich, wenn überhaupt, diskret. So wie er an seinem Auftreten gearbeitet hat: Kritik an seinen mitunter schnoddrigen oder lustlos wirkenden öffentlichen Äußerungen hatte Scholz im Frühjahr noch vehement zurückgewiesen. Dennoch sprach der Kanzler seit dem Frühsommer merklich öfter und freundlicher mit Volk, Bundestag und Medien.

Ähnlich könnte er den Fall Lambrecht lösen: dann nämlich, wenn sich Faeser offiziell zu ihrer Spitzenkandidatur bei der hessischen Landtagswahl bekennt. Spätestens im Falle eines möglichen Wahlsiegs der hessischen SPD müsste Scholz sein Kabinett umbauen. Scholz könnte zu diesem Anlass seine Mitstreiterin Lambrecht mit einem anderen Posten versorgen oder ihr im Rahmen eines größeren Stühlerückens im Kabinett einen gesichtswahrenden, freiwilligen Abschied aus der Politik ermöglichen. Das Problem: Die Wahlen finden erst im Herbst statt und Faeser wird Medienberichten zufolge bis dahin im Amt bleiben wollen, um den Wahlkampf mit dem Bonus einer amtierenden Bundesministerin zu führen. Mindestens bis dahin müsste also auch Lambrecht im Bendlerblock ausharren, ohne die SPD vor den insgesamt vier anstehenden Landtagswahlen weiter zu beschädigen. Dafür bräuchte sie dringend politische Erfolge und bessere Beratung in ihrem Auftreten. Für beides könnte der Kanzler sorgen - oder aber eine personelle Fehlbesetzung eingestehen.

Quelle: ntv.de

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