Ampel könnte heute zerbrechen Nein, Herr Habeck, Trumps Sieg ist kein Grund zum Weitermachen


Habeck, Lindner und Scholz wollen am Mittwoch ausloten, ob da noch etwas zusammengeht in der Ampel.
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Die Koalitionsspitzen wollen am Abend noch einmal zusammenkommen, um einen Weg aus der Regierungskrise zu finden. Robert Habeck appelliert mit Blick auf die US-Wahlen an die FDP, die Ampel werde mehr denn je als Stabilitätsfaktor gebraucht. Doch gerade dieses Argument schlägt fehl.
Der 6. November 2024 ist ein schlechter Tag für die Demokratie. Der Wahlsieg des künftigen US-Präsidenten Donald Trump ist sogar ein Desaster. Wird doch die mächtigste liberale Demokratie der Welt vier weitere Jahre von einem Mann geführt, der jede Achtung für demokratische Grundwerte missen lässt. Noch bitterer aus deutscher Sicht: Auch die Bundesrepublik steuert mit Wucht auf eine Führungskrise historischen Ausmaßes zu. Vieles spricht dafür, dass die Ampel noch im Laufe des Mittwochs oder zumindest bis Ende kommender Woche auseinanderfällt. Selbst entschiedene Ampel-Gegner sollten darüber nicht zu laut jubeln: Das mögliche Scheitern der Bundesregierung wirft nicht weniger als die Frage nach der Problemlösungsfähigkeit unseres demokratischen Systems auf.
Jedwede Nachfolgeregierung wird schließlich vor denselben Herausforderungen stehen, derer sich die Ampel nicht gewachsen gezeigt hat: ein überaltertes Land, wenig Spielräume im Haushalt durch hohe Sozialausgaben und Rentenzuschüsse, strukturelle wirtschaftliche Probleme, der Umbau hin zur klimaneutralen Wirtschaft, eine akute Bedrohung des Friedens in Europa durch Russland, der Systemwettbewerb mit China, eine breit gefächerte Parteienlandschaft mit stark widerstreitenden Ansichten. Die Liste ließe sich fortsetzen und niemand sollte darauf setzen, dass nicht auch die nächste Regierung drei Parteien für eine Bundestagsmehrheit braucht.
Die Ampel schafft keine Stabilität
Der Grünen-Politiker und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck wandte sich zuletzt wiederholt via Öffentlichkeit an die FDP: "Dies ist die schlechteste Zeit, dass die Regierung scheitert", sagte Habeck etwa am Montag. Seine Begründung: die US-Wahlen, der Krieg in der Ukraine, die noch nicht arbeitsfähige EU-Kommission sowie die dringende Notwendigkeit, die deutsche Wirtschaft aus der Rezession zu führen und den Industriestandort zu erhalten. Bundeskanzler Scholz argumentiert ähnlich, wenn er an Pflicht, Verantwortung und Amtseid der Regierung erinnert. Die gemeinsame Botschaft: In der aktuellen Weltlage mit lauter innenpolitisch schwachen Regierungen in einem gespaltenen Europa müsse zumindest Deutschland Stabilitätsanker sein. Wäre die Lage nicht so ernst, man müsste Scholz und Habeck zu ihrem Humor gratulieren.
Die Ampel schafft keine Stabilität - nicht in Deutschland, nicht in Europa und schon gar nicht in der Welt. Die Verunsicherung in Deutschland durch undurchdachte, halbherzige oder im Nachhinein zerredete Entscheidungen ist hinreichend diskutiert worden. In der EU hat sich die Bundesregierung mangels Einigkeit im Kabinett wiederholt enthalten müssen (EU-Autozölle gegen China) oder sich in wichtigen Fragen einer Minderheitenposition unter den EU-Regierungen wiedergefunden (EU-Asylreform). Zur Befriedung des Nahost-Konflikts hat die Bundesregierung bei allen Bemühungen nichts Entscheidendes beitragen können. Und in der Ukraine-Politik steht die Bundesregierung auf immer einsameren Flur - in Europa, aber auch in Deutschland. Die militärische Unterstützung des von Wladimir Putin attackierten Landes verliert allerorten an Rückhalt, selbst in der Kanzlerpartei SPD.
Erkennen, wann es genug ist
Was hat die Ampel in dieser Lage noch dem Land zu geben? Sie ist nicht fähig, einen Haushalt für das kommende Jahr zu schmieden, der klare Prämissen erkennen lässt. Sie ist völlig uneins darüber, was gegen die strukturelle Wirtschaftsschwäche zu tun ist. Sie bringt nicht die Kraft auf, substanziell mehr Geld und Waffen für die Ukraine zu mobilisieren und die Mehrheit der eigenen Bevölkerung von der Notwendigkeit dieser Hilfen zu überzeugen. Spätestens seit dem Lindner-Papier zur Neuausrichtung der Wirtschaftspolitik ist sie sich auch in der Klimaschutzpolitik vollkommen uneins. Die Ampel ist zu großen Entscheidungen schon lange nicht mehr in der Lage. In so einer Situation aber blasen die Beteiligten auch jede kleinere Entscheidung zu einer großen Frage auf und blockieren einander auch da - wie die jüngst gescheiterte Aufarbeitung der Corona-Pandemie zeigt.
Natürlich ist es fatal, wenn Berlin mit Wahlkampf beschäftigt und von der Weltbühne abgemeldet ist, während Donald Trump im Weißen Haus übernimmt. Auch die Wirtschaft bräuchte eher früher als später klare Signale, mit welcher Art von Entlastungen sie rechnen kann - und ob überhaupt. Doch es führt kein Weg daran vorbei: Die Bundesrepublik muss sich in einem vorgezogenen Bundestagswahlkampf verständigen, welche Richtung das Land einschlagen soll und entsprechend wählen. Auch die kommende Regierung wird keine schnellen Wundertaten vollbringen können; sich im Angesicht der Herausforderungen vielleicht als genauso machtlos erweisen. Doch jedweder Neustart birgt mehr Chancen auf besseres Gelingen als ein Weiter-so der inhaltlich heillos verkanteten Ampel-Parteien. Die von Habeck angeführte "Staatsräson" heißt eben nicht, um jeden Preis weiterzumachen. Sie bedeutet auch, dass gewählte Politiker erkennen, wann es genug ist.
Quelle: ntv.de