Person der Woche: Dieter Salomon Warum der Fall Maria politisch so brisant ist
06.12.2016, 09:23 Uhr
Das Internet glüht vor Aufregung um den Fall Maria. Von den Volksparteien bis zur "Tagesschau" wird Ruhe eingefordert. Doch das macht alles nur schlimmer. Dabei könnte man vom grünen Stadtoberhaupt Freiburgs einiges lernen.
Es ist für die politische Kultur wie eine gefühlte Wiederholung des Kölner Silvesterübergriffs. Ein Verbrechen mit Migrationshintergrund - diesmal der Fall der umgebrachten Freiburger Medizinstudentin Maria - wird von Volksparteien und Leitmedien eilends zum politischen Tabu erklärt. Als sei Deutschland ein neurotischer Aggressionskindergarten hört man aus vielen Kanälen: Es dürfe jetzt keinen "Generalverdacht" gegen Flüchtlinge geben, es handele sich um einen "Einzelfall" und jede Politisierung des Vorgangs sei rechtspopulistischer Missbrauch.
Während fast alle großen Medien der Welt von der "New York Times" bis zu "Le Monde" ausführlich über den Fall berichteten, gerade weil er offensichtlich diese politische Dimension hat, weigerte sich die "Tagesschau" sogar gänzlich über den Fall zu berichten. Die ARD erklärte vielmehr, die Sache sei von "regionaler Bedeutung". Kurzum: Der amtliche Teil der öffentlichen Kommunikation reagiert mit politisch korrekter Tabuisierung - und macht damit selbst erst aus einem traurigen Kriminalfall ein brisantes Politikum.
Seit dem Wochenende glühen jedenfalls die politischen Foren im Internet. Insbesondere die Reaktion der "Tagesschau"-Redaktion löst eine Welle der digitalen Empörung aus. Wie im Fall der Silvesterübergriffe entsteht mit der offiziellen Beschwichtigungskommunikation der Nährboden für Misstrauen und Manipulationsvermutungen. Merke: Wer eine politische Debatte, die noch gar nicht begonnen hat, schon mundtot machen will, der entfacht sie erst.
Merkel wird im Alltag widerlegt
Der Fall Maria befeuert vor allem die Sorge, dass Deutschland mit der Massenzuwanderung zugleich ein großes Kriminalitätsproblem importiert hat. Die Zunahme von gewaltsamen Übergriffen vieler Arten sind - da gleichen sich die Polizeiberichte aller Bundesländer - leider keine "Einzelfälle". Sie verändern vielmehr das Alltagsleben in Deutschland spürbar - vom sommerlichen Schwimmbadbesuch bis zur abendlichen S-Bahn-Fahrt. Der "Spiegel" berichtet aus Freiburg: "Seit Wochen verkaufen die Waffengeschäfte der Stadt kistenweise Pfefferspray, Mädchen werden zur Schule gebracht, statt wie früher mit dem Bus zu fahren. Die Frauen, die überhaupt noch joggen gehen, tun das oft mit einer App, die einer Vertrauensperson in regelmäßigen Abständen signalisiert, dass alles in Ordnung ist."
Und weiter melden die "Spiegel"-Reporter: "Tatsächlich gab es in Freiburg in den vergangenen Wochen und Monaten eine Häufung an Gewalttaten: Ende September wird ein 13-jähriges Mädchen von minderjährigen Jugendlichen missbraucht. Zwei der drei Verdächtigen haben einen Migrationshintergrund. Mitte Oktober wird ein Mann aus dem Obdachlosenmilieu von zwei Nichtdeutschen so schwer geschlagen, dass er kurz darauf seinen Verletzungen erliegt. Ende Oktober werden zwei Frauen unweit des Hauptbahnhofs sexuell belästigt und retten sich in eine Polizeiwache. Die Verdächtigen stammen aus Gambia. Anfang November verletzt ein Afghane einen anderen schwer mit Messerstichen. Mitte November tötet ein georgischer Mann seinen Neffen mit Messerstichen."
Merkels Diktum "Deutschland wird Deutschland bleiben, mit allem was uns lieb und teuer ist" wird damit im Alltag der Menschen und ihrem erschütterten Sicherheitsgefühl widerlegt. Und Sigmar Gabriels Reaktion auf Freiburg (es müsse vor "Hetze" von Rechts und vor "Verschwörungspropaganda" gewarnt werden) klingt eher wie pädagogischer Exorzismus als nach ernsthafter Problembewältigung.
Ausgerechnet in Freiburg
Die Debatte um den Fall Maria trifft die Kanzlerin just in dem Moment, da ihr innenpolitisches Abgleiten in den Umfragen beendet schien. Ihre nochmalige Kandidatur hat Solidaritätsreflexe ausgelöst und die grimmige Migrationsdebatte schien weniger aggressiv, auch weil es seit einigen Wochen keine Terrorattacken von Islamisten mehr gegeben hat. Plötzlich sammelte sie wieder Sympathiepunkte, und es wurde wieder über eine schwarz-grüne Perspektive für 2017 gesprochen. Nun aber zerstört der Fall Maria diese politische Stimmung - ausgerechnet kurz vor Merkels Krönungsparteitag ist die Zuwanderungsdebatte wieder da. Sie gipfelt in dem Leitartikelzitat der "Welt": "Wären die Grenzen im September 2015 geschlossen geblieben, würde die Medizinstudentin aus Freiburg noch leben."
Verstärkt wird die Nachwirkung des Falles auch durch die besondere Tragik und die Zufälligkeiten - vom Namen des Opfers bis zur Minderjährigkeit des Täters. Es traf ausgerechnet eine junge Frau, die für Flüchtlinge engagiert und im Studentenverein "Weitblick" aktiv war. In der Traueranzeige baten die Eltern sogar um Spenden für Weitblick Freiburg e. V., jenem Verein, der mit Spendengeldern Bibliotheken für Flüchtlinge einrichtet. Die "Welt" schreibt: "Der Mord von Freiburg stellt nun eine kaum zu ertragende Zuspitzung dar. Der Hilfsbedürftige mordet den Helfer. Eine junge Frau, die das Beste, was diese Gesellschaft zu bieten hat, in sich vereint: Nächstenliebe, Bildung, Gemeinsinn, wurde zum Opfer ihrer Hilfsbereitschaft. Sie wurde getötet von dem, der sein Überleben ihrer Hilfe zu verdanken hat. Sie bezahlte ihre Nächstenliebe mit dem Leben."
Und schließlich findet die Tat ausgerechnet in Freiburg statt, dem schwarz-grünen Vorzeige-Idyll der Nation - einem Laborversuch für das, was Angela Merkel und Katrin Göring-Eckardt sich ab 2017 auch für ganz Deutschland gut vorstellen wollen. Die Verkörperung dieser politischen Linie heißt Dieter Salomon und ist seit mehr als 14 Jahren Freiburger Oberbürgermeister. Salomon ist eine Art Kretschmann in jung. Ein post-ideologischer Vorzeige-Grüner, gebildet, umsichtig, weltläufig - in Australien geboren, in Frankreich unterwegs, ein promovierter Politologe. Salomon war der erste grüne Oberbürgermeister einer deutschen Großstadt überhaupt. Und er regiert wie Kretschmann mit einer guten Portion bürgerlicher Eigenvernunft. Er legt sich schon mal mit streikenden Gewerkschafterinnen an wie ein CDUler alten Schlags, er setzt auf Alkoholverbote wie ein konservativer Pietist, verteidigt Polizeieinsätze gegen Demonstranten wie ein CSU-Innenminister und kann die Privatisierung von Wohnungsbaugesellschaften fallweise für gut halten wie ein Liberaler.
"Nicht das süddeutsche Bullerbü"
Salomon kommt - ähnlich wie sein Amtskollege aus Tübingen, der grüne Bürgermeister Boris Palmer - aus einer pragmatischen Generation von grünen Politikern, die eher Helmut Schmidts Leitbild (Wer Visionen hat, sollte besser zum Arzt gehen) nach nüchterner Vernunft, Maß und Mitte folgen. Dazu gehört bei Palmer wie bei Salomon auch - nichts verharmlosen, nichts dramatisieren. Und so sagt er zum Fall Maria jetzt im "Spiegel Online"-Interview: "Freiburg hat kein besonderes Problem, wir sind schlicht nicht das süddeutsche Bullerbü, für das wir gerne gehalten werden. Viel Sonnenschein, viele Fahrräder und ein lustiger grüner Bürgermeister, so sehen uns viele im Rest der Republik. Aber Freiburg ist eine mittelgroße deutsche Großstadt mit 230.000 Einwohnern und echten Problemen. Seit 15 Jahren führen wir die Kriminalitätsstatistiken an und haben noch immer viel zu wenig Polizei."
Schon im Januar 2016 erklärte Salomon im Zusammenhang mit den Übergriffen der Silvesternacht gegenüber der FAZ: "Es ist eine harte Linie gefragt. Unsere Rolle muss es sein, die Polizei zu stärken, so dass das Sicherheitsgefühl auf den Straßen zunimmt und die Polizei mehr Präsenz zeigen kann." Er warnt natürlich vor ungerechter Pauschalverurteilung von Migranten, aber er spricht eben auch die Kehrseite der Wahrheit an: "Wir müssen bei der Integration auf unsere Werte pochen." Offen und klar, und ohne jenen volkspädagogischen Reflex der politisch Korrekten. Die Folge - die AfD erreichte in Palmers Tübingen wie in Salomons Freiburg bei den diesjährigen Landtagswahlen nicht einmal halb so viel Zustimmung wie im Rest des Landes. Der grüne Salomon-Palmer-Weg ist das Gegenteil dessen, was die "Tagesschau" gemacht hat.
Quelle: ntv.de