Pressestimmen

Grenzkontrollen in Deutschland "De Maizière reagierte in jedem Fall zu spät"

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(Foto: picture alliance / dpa)

Die Bundesregierung scheint erkannt zu haben, dass sie die Bundesländer mit ihrer Flüchtlingspolitik überrumpelt hat. Um den Menschenandrang zu bremsen, verhängt Deutschland nun Kontrollen an der Grenze zu Österreich. Mit der Entscheidung kommt Innenminister Thomas de Maizière vor allem Bayern entgegen, das Alarm schlägt. Auch Österreich zeigt sich besorgt und plant seinerseits Grenzkontrollen. Jetzt wird Kritik laut, dass Deutschland mit seinem Entschluss das Schengen-Abkommen in Frage gestellt hätte. Haben Angela Merkel und ihr Innenminister einen Dominoeffekt ausgelöst? Die Presse sieht den Fehler vor allem bei der EU.

Der Tagesspiegel aus Berlin zieht eine klare Linie zwischen dem Handeln Merkels und dem de Maizières. Die Kanzlerin handle in der Flüchtlingskrise europäisch und human. Doch "de Maizière reagierte in jedem Fall zu spät". Er habe die Dimension des Ganzen nicht vorausgesehen und agiere nun in den Grenzen seiner Möglichkeiten. "Das straft die Kanzlerin gewissermaßen Lügen, die sich deutsche Flexibilität gewünscht hatte. Die ist de Maizières Sache nicht." Thomas de Maizière sei, so das Blatt, "Verwalter, nicht Gestalter" und damit nicht der Typ Politiker, den man in den letzten Wochen der Flüchtlingskrise gebraucht hätte. "Gerade verliert de Maizière nach innen und nach außen Autorität, im Ministerium und bei den Kollegen. Nur sein Amt, das hat er noch nicht verloren."

Das Handelsblatt blickt hingegen über den deutschen Tellerrand hinaus und erkennt Fehler im System EU. "Schengen kann nur funktionieren, wenn Europa als politische Solidargemeinschaft funktioniert". Doch genau das Gegenteil sei der Fall. Vor wegen den osteuropäischen Mitgliedern, die sich gegen Flüchtlingsquoten sträuben und vor Verantwortung drücken. "Nicht nur Ungarns umstrittener Premier Viktor Orbán, sondern auch seine Kollegen in Prag oder Warschau betrachten die EU vor allem als Geldautomaten. Die Milliardenhilfen werden selbstverständlich genommen." Von ihren Pflichten im Asylrecht wollten die ehemaligen Ostblock-Staaten jedoch nichts wissen und verfielen in "nationale Eigensucht", so das Urteil des Handelsblatts.

Diesen Tenor schlägt auch die Münchener Abendzeitung ein. Der Euro und das Schengen-Abkommen seien der Stolz der EU. "Beide sind in den vergangenen Monaten in einer beispiellosen Art und Weise ramponiert worden", kritisiert die Zeitung. Nach dem Euro würde nun auch Schengen wanken, denn Deutschlands Grenzkontrollen hätten einen Dominoeffekt ausgelöst. "Ob es am Ende nur noch ein bisschen Freizügigkeit gibt, lässt sich nicht vorhersagen. Jetzt rächt sich, dass die EU in fetten Jahren versäumt hat, ihr supranationales Gebilde auf eine Grundlage zu stellen, die mehr ist als eine Geldverteilungsmaschine."

Die Grenzkontrollen verringern durchaus den Druck auf Deutschland, erkennt die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Den Druck beseitigen könne nur eine gemeinsame europäische Politik, die aber auf sich warten lässt. "Dazu müssten sich die einen von der Vorstellung verabschieden, man könne Europa zu einer Festung ohne jeden Zugang ausbauen. Und die anderen von der Wahnidee, mit genügend Gutmenschentum sei es möglich, Europa zu einer neuen Heimat für die Flüchtlinge der Welt zu machen." Daher plädiert die FAZ für strengere Auswahlkriterien bei Migranten, der "Qual der Wahl" werde Europa sich nicht länger entziehen können. "Auch die deutsche Politik, die andere gerne belehrt, steht auf den Feldern der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik noch am Anfang der Lernkurve."

Ob die Flüchtlingskrise Angela Merkels "Kanzlerdämmerung" einläutet, wird sich erst im Nachhinein entscheiden, analysiert der Mannheimer Morgen. "Sicher ist nur: Ausgerechnet Bundeskanzlerin Angela Merkel, von der es immer hieß, sie betrachte die Dinge vom Ende her, hat im entscheidenden Moment eben jenes Ende nicht mit bedacht." Diese Schnellschussreaktion der Kanzlerin könnte Deutschland teuer zu stehen kommen, sowohl finanziell als auch ideel. "Auch Deutschland, das von der faszinierenden Idee der Freizügigkeit profitiert wie kein EU-Mitglied sonst, ist nun Teil eines neuen Europas: des Europas der Schlagbäume."

Zusammengestellt von Katja Belousova

Quelle: ntv.de

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