Nicht alle Präparate helfen Welche Antidepressiva sind geeignet?
15.12.2022, 07:54 Uhr (aktualisiert) Artikel anhören
Wer unter Depressionen leidet, muss sich nicht damit abfinden. Es gibt Hilfe.
(Foto: imago images/Fabio Camandona)
15 Prozent aller Deutschen erkranken mindestens einmal im Leben an einer behandlungsbedürftigen Depression. Antidepressiva können - neben einer Psychotherapie - dabei helfen, wieder mehr Freude im Leben zu finden. Doch welche sind wirklich geeignet? Das hat Warentest herausgefunden.
Andauernde Traurigkeit, innere Leere und Kraftlosigkeit sind nur einige der belastenden Symptome, die bei einer Depression auftreten können. Die psychische Erkrankung ist keineswegs zu unterschätzen, denn wird sie nicht rechtzeitig behandelt, drohen weitere psychische Folgeerkrankungen und im schlimmsten Fall sogar Suizid. Bei mittelschweren und schweren Depressionen kann neben einer Psychotherapie auch die Behandlung mit Antidepressiva eine Option sein.
Aber helfen die Mittel wirklich gegen die belastenden Symptome? Wie ist das Risiko-Nutzen-Verhältnis bei den einzelnen Präparaten, die momentan zur Verfügung stehen? Die Tester von Stiftung Warentest haben sich 6 rezeptfreie und 25 rezeptpflichtige Mittel gegen die psychische Erkrankung genauer angeschaut.
Schweregrad der Depression ist entscheidend
Wer lediglich von einer leichten depressiven Episode betroffen ist, sollte lieber auf rezeptpflichtige Medikamente verzichten. Grund dafür ist, dass diese Antidepressiva Studien zufolge nicht besser als ein Placebo wirken. Möchte man dennoch etwas einnehmen, ist Johanniskraut eine Option. Das gibt es auch rezeptfrei in Drogerien und Apotheken. Hier empfiehlt Stiftung Warentest unter anderem Laif 900 Balance (0,68 Euro pro Tagesration) und Neuroplant Aktiv (0,62 Euro pro Tagesration), da diese Produkte nicht nur wirken, sondern auch günstig sind. Johanniskraut ist in der Regel gut verträglich. Allerdings gibt es auch Nachteile. Wer Medikamente oder die Pille einnimmt, muss unter Umständen mit Wechselwirkungen rechnen. So können die Präparate beispielsweise dafür sorgen, dass Schilddrüsenerkrankte plötzlich eine höhere L-Thyroxin-Dosis benötigen. Weiterhin kann die Verhütungssicherheit bei der Pilleneinnahme beeinträchtigt werden.
- Bei Suizidgefahr: Notruf 112
Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33
- Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
- Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
- In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
- Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).
Bei mittelschweren Depressionen muss man auch noch nicht unbedingt zu rezeptpflichtigen Medikamenten greifen. Natürlich ist das eine Option. Allerdings kann es sich lohnen, erst einmal den Kontakt zu einem Psychotherapeuten aufzunehmen. Oft reicht nämlich die dort angebotene professionelle Behandlung aus, um die Symptome in den Griff zu bekommen. Ist die Depression bereits weiter fortgeschritten, sollte diese mithilfe von Medikamenten und einer Psychotherapie behandelt werden. Je frühzeitiger man sich dabei Hilfe holt, desto besser.
Wie schwer die Depression im Einzelfall ist, lässt sich durch diagnostische Fragebögen bestimmen. Zu beachten ist auch, dass Psychologen und Psychotherapeuten keine Antidepressiva verschreiben dürfen, wenn sie keine medizinische Facharztausbildung haben. Deswegen ist es in solchen Fällen oftmals notwendig, zusätzlich einen Psychiater aufzusuchen.
Einige rezeptpflichtige Mittel nur mit Einschränkung geeignet
Es gibt verschiedene Arten von Antidepressiva. Dazu gehören beispielsweise die Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI), Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI), tetrazyklische Antidepressiva, trizyklische Antidepressiva (TZA) und Monoaminoxidase-Hemmer (MAO-Hemmer). Von den SSRI-Medikamenten sind laut Warentest alle geeignet. Sie wirken nicht nur gegen die depressive Stimmung, sondern auch gegen Ängste. Zudem machen sie nicht müde. Nur bei Fluoxetin sehen die Tester Probleme, weil das Mittel noch einige Tage nach Einnahme wirkt und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten häufig sind.
Bei den SNRI drohen Warentest zufolge häufiger Nebenwirkungen (Übelkeit, Unruhe, Schlafstörungen et cetera), dennoch tun die Medikamente ihren Job und wirken zuverlässig gegen die Depression und auch gegen Ängste. Nur den Wirkstoff Milancipran empfehlen die Tester eher eingeschränkt, da zu diesem Mittel noch weitere Studien zur Wirksamkeit und Sicherheit erforderlich sind.
Von den tetrazyklischen Antidepressiva halten die Tester lediglich Mirtazapin für geeignet. Es wirkt dämpfend und angstlösend. Bei Mianserin drohen manchmal sogar schwerwiegende Blutungsstörungen. Von den TZA sind Warentest zufolge alle geeignet. Jedoch machen sie eher müde und haben öfter Nebenwirkungen wie Gewichtszunahme oder Schwindel. Hier ist wie bei allen Antidepressiva eine ärztliche Absprache notwendig, ob die Mittel infrage kommen. Bei den MAO-Hemmern sind oft Einschränkungen in der Ernährung erforderlich, besonders beim Wirkstoff Tranylcypromin, weswegen Stiftung Warentest diesen nur bedingt empfiehlt.
Weitere Mittel wie zum Beispiel Agomelatin oder Tianepin halten die Tester nur eingeschränkt für empfehlenswert. Grund dafür ist, dass hier noch weitere Studien erforderlich sind, die die therapeutische Wirksamkeit belegen können. Sie können aber eingesetzt werden, wenn alle anderen Antidepressiva bisher kaum Wirkung gezeigt werden oder nicht vertragen werden.
Wichtig ist, Geduld mitzubringen. Antidepressiva brauchen oft Wochen, bis sie Wirkung zeigen. Bleibt die erhoffte Wirkung allerdings sehr lange aus, kann es sich lohnen in Absprache mit dem behandelnden Arzt auf ein anderes Mittel umzusteigen.
(Dieser Artikel wurde am Dienstag, 13. Dezember 2022 erstmals veröffentlicht.)
Quelle: ntv.de, imi