Wucherzins in der Krankenversicherung Säumige Zahler werden entlastet
10.04.2013, 16:39 UhrSeit 2007 herrscht Krankenversicherungspflicht in Deutschland. Die Versicherer dürfen Mitglieder nicht mehr vor die Tür setzen, wenn diese ihre Beiträge nicht zahlen. Um die Zahlungsdisziplin zu sichern, wurden horrende Säumiszuschläge eingeführt. Die Folge: Wer kein Geld für die Versicherung hat, bekommt noch mehr Probleme. Jetzt werden die Zinsen auf Normalmaß gesenkt.

Für die private Krankenversicherung sieht das Gesetz einen günstigen "Notlagentarif" für säumige Zahler vor.
(Foto: dpa)
Fünf Prozent Zinsen müssen Versicherte derzeit an die Krankenkassen zahlen, wenn sie mit ihren Beiträgen in Rückstand geraten. Nicht fünf Prozent im Jahr, sondern im Monat. Das, was bei Banken und anderen Geldverleihern als Wucher verurteilt würde, ist bei Krankenkassen sogar gesetzlich vorgeschrieben. Jetzt soll eine Neuregelung Versicherte in finanzieller Not entlasten. Das Bundeskabinett hat heute einen Gesetzentwurf verabschiedet, wonach die Zinsen von 60 auf 12 Prozent p.a. sinken sollen.
Dabei geht es um viel Geld: Derzeit stehen die Versicherten bei den gesetzlichen Krankenkassen mit fast 2,2 Milliarden Euro in der Kreide. Und sie sind nicht die einzigen Schuldner: Weitere 2,4 Milliarden Euro Ausstände gibt es bei den Arbeitgebern, die bei Zahlungsschwierigkeiten oder Insolvenzen keine Sozialversicherungsbeiträge abführen. Die Unternehmen allerdings werden auch bislang nur mit einem Prozent Säumniszuschlag im Monat belastet.
Kein Abschreckungseffekt
Der hohe Zins für die Versicherten wurde im Rahmen der Gesundheitsreform von 2007 eingeführt. Seitdem hat jeder das Recht und die Pflicht, sich zu versichern. Vorher konnten Kassen Mitglieder, die zweimal keinen Beitrag gezahlt hatten, vor die Tür setzen. Das dürfen sie nun nicht mehr. Um die Zahlungsdisziplin zu erhöhen wurde aber gleichzeitig der Säumniszins festgelegt. Was der Gesetzgeber damals nicht berücksichtigte: Nicht wenige Versicherte können die Beiträge schlicht nicht aufbringen und geraten durch die hohen Zuschläge in die Schuldenspirale.
Betroffen sind vor allem die sogenannten Selbstzahler, bei denen die Beiträge nicht automatisch vom Arbeitseinkommen abgeführt werden. Die meisten Beitragsrückstände sind bei den freiwillig versicherten Selbständigen angelaufen. Sie haben oft schwankende Einkünfte und nicht jeder verfügt über ein ausreichend dickes finanzielles Polster, um die Beiträge regelmäßig überweisen zu können. Ist abzusehen, dass das Geld bald wieder fließt, kann man mit der Kasse eine Stundung vereinbaren. Problematisch wird es aber bei Insolvenzen. Wo nichts zu holen ist, helfen weder Kulanz noch Wucherzinsen.
Einige Menschen waren bis 2007 gar nicht krankenversichert, weil sie es sich nicht leisten konnten. Jetzt müssen sie einen Mindestbeitrag von rund 133 Euro an die Krankenversicherung zahlen - doch den kann nicht jeder aufbringen. Wer Hartz IV oder Sozialhilfe bekommt, muss sich zwar keine Sorgen mehr um die laufenden Beiträge machen, weil die der jeweilige Träger übernimmt. Um die angelaufene Schulden und die Zinsen müssen sich die Versicherten aber selber kümmern.
Was passiert, wenn man nicht zahlt?
Wer keine Beiträge zahlt, muss Konsequenzen tragen: Die Kassen schränken ihre Leistungen ein und übernehmen nur noch die Akutversorgung. Wer Knieprobleme hat, bekommt dann beispielsweise eher Schmerzmittel als eine aufwendige Operation. In Notfällen kann einen der Arzt aber nicht abweisen und auch bei Schwangerschaften besteht das komplette Leistungsspektrum fort.
Die Neuregelung soll nun dafür sorgen, dass die Versicherten schneller von ihren Schulden wieder herunterkommen und in den normalen Krankenversicherungsschutz zurückkehren können. Das ist auch im Sinne der Krankenkassen, betont der Sprecher des Kassen-Spitzenverbandes, Florian Lanz: "Nun werden die Verhältnisse geradegerückt und wir sind froh, dass die gesetzliche Vorgabe zu solchen Extremzinsen korrigiert werden soll". Der Kassen-Branchenführer Barmer GEK fürchtet jedoch, dass durch den Gesetzentwurf das Hauptproblem der Bestandsschulden nicht gelöst werden könne. Einen Schuldenerlass schließt Gesundheitsminister Daniel Bahr allerdings aus: In der Solidargemeinschaft dürfe es keinen Anreiz geben, sich der Beitragspflicht zu entziehen. Laut Barmer GEK müsse man die Sache aber auch nicht überdramatisieren. Mehr als 99 Prozent der Kassenmitglieder zahlten ihre Beiträge schließlich pünktlich.
Quelle: ntv.de, mit dpa