Mehr Tore und Bilder, bitte! Elf Erkenntnisse der Fußball-EM
15.06.2016, 13:52 Uhr
Alter schützt vor Toren nicht: Bastian Schweinsteiger bewies das gegen die Ukraine.
(Foto: imago/MIS)
Die Fußballzwerge sind nicht nur Beiwerk bei der Mammut-EM, die Großen spielen noch nicht groß auf, es mangelt an Toren, der Modus demotiviert. Die Uefa-Zensur im TV ist und bleibt albern, aber Deutschland eine Turniermannschaft. Und der Ball ist wieder ein Ball. Halleluja!
DEUTSCHLAND = TURNIERMANNSCHAFT: Kennen wir doch: Deutschland humpelt ins Turnier. Spielt in der Vorrunde nicht überzeugend. Gewinnt trotzdem. Und kommt wahrscheinlich erst so richtig in Schwung, wenn es drauf ankommt. Oder, Gary Lineker? Nach Bastian Schweinsteigers märchenhaftem Last-Minute-Tor empfahl er schonmal via Twitter: "Manchester United sollte ihn verpflichten."
DER BALL IST WIEDER EIN BALL: Hören Sie noch einmal ganz genau hinein ins digitale und analoge Blätterrauschen. Und? Hören sie da etwas zum Spielball der EM? Nein, denn der Ball ist diesmal wieder ein Ball. Kein Kunstprodukt mit Kunstnamen, das die Torhüter wegen seiner künstlichen Flugeigenschaften bisweilen so gar nicht wie Künstler aussehen lässt. Einen Namen hat er trotzdem, einen schön schlichten. "Beau jeu".
VIELE CHANCEN, WENIG TORE: England, Spanien, Portugal, die Schweizer, die Kroaten - haushoch überlegen, Chancen in Hülle und Fülle, Ballbesitz in Guardiola-Dimensionen. Aber: keine Tore. Es fehlen: Knipser (siehe auch: keine Knipser) ...
DER MODUS DEMOTIVIERT: Wenn sich zwei Drittel der Vorrunden-Teilnehmer für die K.o.-Runde qualifizieren, wie es bei dieser aufgeblähten EM der Fall ist, lädt das zum Betonmischen ein. Der diesjährige Modus macht Tore verhindern attraktiver, als Toreschießen. Drei ermauerte Nullnummern etwa könnten ja schon reichen zum Weiterkommen. Da mosert nicht nur n-tv.de EM-Experte Josef Hickersberger: "Damit kann ich mich nicht anfreunden."
TAKTISCHE ORGANISATION: Albanien, Island, Nordirland, Wales - und ja, die Ungarn. Es ist noch keine Revolution, aber das Fußvolk des europäischen Fußballs probt den Aufstand. Warum sind die Kleinen so gut? Weil sie sich fortgebildet haben. Weil sie taktisch prima geschult sind und dies sehr diszipliniert umsetzen. Und weil das bereits ausreicht, um den Großen vors Schienbein zu treten.
KEINE KNIPSER: Sie sind oft alleine - und dann auch wieder nicht. Wie will ein Robert Lewandoski Tore schießen, wenn drei Nordiren an ihm dranhängen? Und Mario Götze? Ist eine Neun, aber eine falsche. Und kriegt keinen Ball, gegen die Ukraine blieb er zwischendurch unglaubliche 18 Minuten und 26 Sekunden ohne Ballberührung. Vielleicht klappt es dann im Endspiel besser.
GUTE SCHIRIS: Mit den bisherigen Leistungen der Schiedsrichter bei dieser Europameisterschaft verhält es sich im Grunde genommen wie mit dem Niveau der Spiele selbst, urteilen unsere Schiedsrichterexperten "Collinas Erben": Man liegt wohl nicht falsch, wenn man das Prädikat "sehr solide" vergibt. Die ganz großen Aufreger oder gar Ausreißer waren bislang jedenfalls nicht dabei, anders als bei der Weltmeisterschaft 2014 oder aktuell bei der Copa stehen die Unparteiischen und ihre Entscheidungen nicht im Mittelpunkt der Kritik.
GUTE TORHÜTER: Ohne herausragenden Torhüter wird auch ein Weltmeister kein Europameister. Aber: Nicht nur Deutschland hat einen sicheren Rückhalt. Als Fliegenfänger hat sich noch keiner geoutet, auch wenn sich Albaniens Etrit Berisha beim Schweizer Siegtreffer kapital verschätzte und der ein oder andere Freistoßtreffer (Gareth Bale, Eric Dier) haltbar schien. Und Opa Kiraly hält wie ein junger Fußball-Gott.
ZENSUR IM FERNSEHEN: Die Uefa zeigt nur, was die Uefa zeigen will. Prügeleien auf der Tribüne gehören nicht dazu, Jubelflitzer auch nicht, Joachim Löws Griffe in die eigene Hose schon. Die Uefa-Willkür ist und bleibt Zensur, ARD und ZDF haben deswegen zu Recht protestiert. Allerdings: Alle nationalen Rechteinhaber können von allen EM-Spielen mit bis zu zehn eigenen Kameras berichten und haben mit diesen freie Bildwahl. Für das Deutschland-Spiel am Donnerstag gegen Polen will das ZDF genau diese Option nutzen.
KÖNIGE OHNE LAND: Zlatan Ibrahimovic, Cristiano Ronaldo, sie gehören zu den größten Stars dieser EM: Aber: Spielen sie überhaupt mit? In den Auftaktpartien ihrer Teams bewiesen sie nicht, dass sie ein Team tragen können, auch wenn Ibrahimovic ein Eigentor erzwang. In punkto Mannschaftsdienlichkeit ließen der Schwede und sein portugiesisches Exzentrik-Pendant viel Luft nach oben. Kein gutes Zeugnis in einem Teamsport, der Fußball nun mal ist.
SICHER IST NICHT SICHER: Das Thema Terror haben die Franzosen allem Anschein nach gut im Griff. Die Hooligan-Problematik? Unterschätzt und völlig falsch angegangen! Auch, so ist von vielen Experten zu hören, weil Kooperation nicht gerade ihre Stärke sein soll und der Uefa Quote bisweilen vor Sicherheit geht. Ein Beispiel: Das Hochrisikospiel England gegen Russland zur besten Sendezeit um 21 Uhr anzusetzen und den Fans damit reichlich Zeit für ausgiebigen Alkoholkonsum zu geben.
Quelle: ntv.de, cwo/sid