Das DFB-Spiel im Schnellcheck Elfmeterheld Neuer titanisiert Italien-Fluch

Auf Neuer ist im entscheidenden Moment Verlass.

Auf Neuer ist im entscheidenden Moment Verlass.

(Foto: picture alliance / dpa)

Was für ein Drama! Bis 23.47 Uhr muss die deutsche Fußball-Nationalmannschaft um den Einzug ins EM-Halbfinale bangen, doch dann legt sich Jonas Hector den Ball auf den Elfmeterpunkt und beendet einen irrwitzigen Strafstoßwahnsinn.

Das ist im Stade Matmut Atlantique passiert:

Der K.o.-Rundenmodus, dieser alte Fahrensmann. Er hat nix verlernt. Gibt direkt vor dem Spiel die legendäre Kuhlenkampff-Parole "Einer wird gewinnen" aus. Er verspricht Spannung, Kampf, Leidenschaft - große Spiele für große Gladiatoren. Und was er verspricht, das hält er natürlich. Altes Fahrensmann-Ehrenwort. In einem irre nervenaufreibenden Viertelfinale ringt Deutschland seinen ewigen Rivalen Italien in einer wahren Elfmeterschlacht nieder. Es ist der erste deutsche Sieg überhaupt in einem K.o.-Rundenspiel gegen die Südeuropäer, nach zuvor vier gescheiterten Anläufen. Trauma? Wer sprach da eigentlich von Trauma? Während allerdings bei den arrivierten DFB-Schützen Thomas Müller, Mesut Özil und Bastian Schweinsteiger gleich reihenweise die Nerven blankliegen, schiebt der Kölner Außenverteidiger Jonas Hector den entscheidenden Elfmeter als neunter deutscher und insgesamt 18. Schütze zum siegbringenden 7:6 (1:1, 1:1) an Keeperlegende Gianluigi Buffon vorbei.

Den ausführlichen Spielbericht finden Sie hier.

Die Highlights im Spielfilm:

20.55 Uhr: Leidenschaft, Feuer, Hingabe, Spektakel! Buffon, Bonucci, Barzagli, Giaccherini – ach, wie sie diese Hymne singen. Immer wieder ein Fest, pelle d'oca!

Für Bixente Lizarazu ist Bastian Schweinsteiger einfach der "Fußballgott".

Für Bixente Lizarazu ist Bastian Schweinsteiger einfach der "Fußballgott".

(Foto: REUTERS)

15. Minute: Bixente Lizarazu macht sich vor Freude fast ins Hemd, denn sein alter Bayern-Homie Bastian Schweinsteiger wird eingewechselt. In perfektem Deutsch wiederholt der Co-Kommentator des französischen Senders TFI gleich dreimal "Fußballgott". Der Grund für den frühen Einsatz des Kapitäns: Sami Khedira hat Leiste, oder so.

37. Minute: Wir sind uns gerade nicht sicher, welches Spiel legendär-aufregender wird: Deutschland gegen Polen, das uns ja nicht mal unser EM-Experte Josef Hickersberger schönreden konnte, oder Deutschland gegen Italien? Es ist ein bisschen wie die Wahl zwischen Wäsche aufhängen (Polen) oder Laubharken im Regen (Italien). Und weil wirklich gaaaar nichts passiert, Folgendes: Manuel Neuer verlässt seinen Strafraum, um einen Ball von Emanuele Giaccherini zu klären. Macht er gut. War aber auch nicht anders zu erwarten. Weiterschlafen.

42. Minute: Der Ball macht ping, der Ball macht pong und nochmal ping und nochmal pong, dann hat ihn Thomas Müller am Fuß. Was bei dieser EM bislang ja nicht die erfolgversprechendste Idee war. Und was sollen wir sagen, sie ist es immer noch nicht.

43. Minute: Vielleicht ist Schlafengehen doch noch keine so gute Idee. Italien greift mal an und das erste Mal verändert sich der deutsche Ruhepuls, weil (a) Alessandro Florenzi die Hereingabe von Giaccherini nur ganz knapp verpasst und (b) der Abpraller von Stefano Sturaro an Boatengs Oberschenkel scheitert.

54. Minute: Dieser Müller ... Ablage Gomez, freie Schussbahn und Tor - wäre da die spektakulär-fliegende Hacke von Florenzi nicht gewesen. So viel Pech kannste echt nicht erfinden.

65. Minute, TOR FÜR DEUTSCHLAND, 1:0, ÖZIL: Da ist das Ding! Deutschland führt, weil Mesut Özil Willen und Entschlossenheit zeigt. In eine Hereingabe von Jonas Hector wuchtet der Spielmacher seinen Körper und haut Buffon den Ball um die Ohren.

68. Minute: Jetzt wird’s beinahe mirakulös im Stade Matmut Atlantique. Einen Chip-Pass vom jetzt aufgedrehten Özil pflückt Mario Gomez mit der Brust und verarbeitet ihn mit der Hacke - doch "Gigi" lässt sich auch mit 37 Jahren so nicht düpieren. Aber: Starke Szene. Von beiden.

78. Minute, 1:1, TOR FÜR ITALIEN, BONUCCI (ELFMETER): Eieiei, Herr Kassai ... Elfmeter für Italien, weil ausgerechnet Jérôme Boateng den Ball im Strafraum an seinen weit ausgestreckten Arm bekommt. Leonardo Bonucci läuft an, Neuer ist im richtigen Eck, aber der Elfer zu gut geschossen. Die Bewertung der Szene überlassen wir lieber mal den Experten "Collinas Erben" (siehe unten).

ELFMETERSCHIESSEN: WAS FÜR EIN DRAMA! 18 Schützen legen sich den Ball zu recht, verwandeln mal sehr souverän, scheitern mal kläglich (Müller, Pellé und Schweinsteiger), ehe dieser coole Hector kommt! Ganz großes Kino, meine Herren!

Teams & Tore:

Deutschland: Neuer - Höwedes, Boateng, Hummels - Kimmich, Khedira (15. Schweinsteiger), Kroos, Hector - Müller, Özil - Gomez (72. Draxler); Trainer: Löw;
Italien: Buffon - Barzagli, Bonucci, Chiellini (120. Zaza) - Giaccherini, Parolo, Sturaro - de Sciglio, Florenzi (86. Darmian) - Pellè, Eder (108. Insigne); Trainer: Conte
Tore: 1:0 Özil (65.), 1:1 Bonucci (78./Elfmeter); Elfmeterschießen: 1:0 Insigne, 1:1 Kroos, Zaza schießt über das Tor, Müller scheitert an Buffon, 2:1 Barzagli, Özil schießt an den Pfosten, Pellé schießt neben das Tor, 2:2 Draxler, Bonucci scheitert an Neuer, Schweinsteiger schießt drüber, 3:2 Giaccherini, 3:3 Hummels, 4:3 Parolo, 4:4 Kimmich, 5:4 de Sciglio, 5:5 Boateng, Darmian scheitert an Neuer, 5:6 Hector;
Zuschauer: 42.052 Zuschauer (ausverkauft)
Schiedsrichter: Viktor Kassai, Ungarn

Was war gut?

Mit Wille und Leidenschaft erzielt Mesut Özil das erste Tor für Deutschland.

Mit Wille und Leidenschaft erzielt Mesut Özil das erste Tor für Deutschland.

(Foto: imago/Chai v.d. Laage)

Och, da gibt's eine ganze Menge über das wir an dieser Stelle referieren könnten. Über die Stabilität der von Bundestrainer Joachim Löw wieder entdeckten Dreierkette. Über den früh eingewechselten Bastian Schweinsteiger. Über den tüchtigen Mario Gomez. Oder über Mesut Özil. Und ja, der Spielmacher der deutschen Nationalmannschaft hat es sich redlich verdient, dass wir über ihn sprechen. Und das sehr positiv. In den vergangenen Tagen von unserer Redaktion noch wegen seiner Körpersprache getadelt, legte er los wie Obelix, wenn der die Römer sieht. Direkt in seinem ersten Zweikampf schickte er seinen Gegenspieler zu Boden. Bissig, aggressiv und willensstark wie selten im DFB-Dress war der 27-Jährige in beiden Spielhälften unterwegs, erzwang den Führungstreffer und hätte sich endgültig einen Platz in den Herzen aller italientraumatisierten Deutschlands-Fans erspielt, hätte Gomez seinen Traumpass in der 68. Minute mit der Hacke doch irgendwie an Buffon vorbei gemogelt. Dass ihm im Elfmeterschießen wie Müller und Schweinsteiger auch die Nerven durchgingen, geschenkt: War trotzdem ein schönes Ding vom Özil, dieses Spiel.

Was war nicht gut?

Wir hatten sie ja bereits veröffentlicht, die Suchanzeige eines Twitter-Users nach Thomas Müller. Aber gefunden haben wir ihn, den echten Thomas Müller, leider immer noch nicht. Den Thomas Müller, der immer für ein Tor gut ist, der seinen Körper solange verdreht, bis sich eine Extremität findet, die den Ball ins Gehäuse wuchtet. Und so ging auch gegen Italien die Suche nach dem gewinnbringenden Körperteil weiter. Zum Beispiel in der 42. Minute, als er freistehend einen Ball eher verstolperte als aufs Tor schoss. Oder in der 54. Minute als er spektakulär an der Hacke von Florenzi scheiterte. Und dann, die ganz bittere Pointe, vergibt er auch noch im Elfmeterschießen.

Die Tweets zum Spiel:

 

Der Kniff des Spiels:

Am 29. März 2016 hatte es ja ganz gut geklappt. Mit 4:1 hatte die deutsche Auswahl Italien in den Stiefel gestopft. Offensiv wirbelten Kroos, Özil und Mario Götze und hinten hielt eine Dreierkette die zarten Angriffsbemühungen der Südeuropäer in Schach. Was also einmal klappt, das funktioniert bestimmt auch ein zweites Mal. Nun, zumindest, für die Abwehr dürfen wir festhalten: Stimmt! Das Konstrukt Jérôme Boateng, Mats Hummels und Benedikt Höwedes ließ an diesem Samstagabend kaum etwas zu und die fünfte Null im Turnier hätte ganz sicher gehalten, hätte Boateng in der 78. Minute doch bloß die Arme bei sich gelassen. Und anders als noch bei der viel beschworenen Niederlage 2012, als Löw gegen Italien im EM-Halbfinale (1:2) ebenfalls die Taktik änderte, ging der Plan des Bundestrainers nun voll und ganz auf. Kompliment für diesen Mut!

So war's im Stadion

Grundsätzlich gilt es laut n-tv.de-Spielbeobachter Stefan Giannakoulis Folgendes zu berichten: Das war im Stade de Bordeaux nämlich das, was man sich unter richtiger EM-Stimmung vorstellt. Beide Fanlager waren etwa gleichstark vertreten, vielleicht mit einem kleinen Plus für die aus Deutschland. Aber natürlich sangen die Italiener ihre Hymne mit mehr Leidenschaft - ein bisschen Klischee darf schon sein. Die Anhänger der DFB-Elf hatten auf ihrer Seite hinter dem Tor, in dem Manuel Neuer in der ersten Halbzeit stand, vier sehr große Laken aufgehängt. Dort standen dann Schwarz auf Weiß die Jahre, in denen die deutsche Mannschaft die Europameisterschaft gewann: "1972 - 1980 - 1996 - X …" Angesichts der bisher desaströsen Turnierbilanz gegen die Squadra Azzurra hätte da auch stehen können: "1970 - 1982 - 2006 - 2012 - und 2016?". Stand da aber nicht. Dafür sangen die Damen und überwiegend Herren mit dem Adler auf der Brust mehrmals: "Scheiß Italiener!" Herzlichen Glückwunsch, der Support wird immer kreativer. Die Freude nach dem 1:0 durch Mesut Özil 25 Minuten vor dem Ende der Partie aber war zumindest echt. "Super-Deutschland, olé!" Und als sie schon dachten, sie können ganz sicher nach Marseille fahren und dann am 10. Juli nach dem Endspiel im Stade de France das "X …" mit einer 2016 ausfüllen - da beschloss Jérôme Boateng, eine Runde Basketball zu spielen. Der Rest ist Spektakel, Wahnsinn - historisch.

Wie war der Schiedsrichter?

Exzellente Vorstellung von Viktor Kassai in einem intensiven und für ihn sehr anspruchsvollen Spiel. So urteilen unsere Schiedsrichterexperten von "Collinas Erben". Vor allem in den Schlüsselszenen lag der Ungar ihrer Expertise nach durchweg richtig. So erkannte er das Tor von Bastian Schweinsteiger in der 27. Minute zu Recht nicht an, weil de Sciglio vom deutschen Kapitän zuvor mit unfairen Mitteln entscheidend aus dem Gleichgewicht gebracht worden war. Völlig korrekt war auch der Elfmeterpfiff für Italien, als Jérôme Boateng der Ball gegen seine weit ausgestreckten Arme geköpft wurde – ein Lehrbuchbeispiel für eine "Vergrößerung der Körperfläche", die ein regeltechnisches Kriterium für Absicht ist. Die Strafstoßausführung selbst war ebenfalls regelkonform, weil Bonucci (was erlaubt ist) nur beim Anlauf fintierte, nicht aber (was verboten ist) die Schussbewegung antäuschte oder abbrach. Kassai hielt die Partie gut im Fluss, indem er bei der Zweikampfbeurteilung tendenziell großzügig war, gleichzeitig ging er konsequent gegen Regelübertretungen jedweder Art vor. Als die Partie nach der Pause spürbar anzog, nahm er die aufkommende Unruhe und Härte mit gleich drei Gelben Karten gegen italienische Spieler zwischen der 56. und 59. Minute sofort aus dem Spiel. Auch die Verwarnung für Hummels, die dem Neu-Münchner eine Sperre für das Halbfinale eintrug, war richtig. Beim Tritt von Graziano Pellé auf die Achillessehne von Boateng kurz nach dem Beginn der Verlängerung wäre bei strenger Regelauslegung auch ein Platzverweis denkbar gewesen, doch der Unparteiische entschied sich, es bei Dunkelgelb zu belassen. Insgesamt ein sehr couragierter und umsichtiger Auftritt des Referees, der sich mit viel Persönlichkeit große Akzeptanz verschaffte, jederzeit die volle Kontrolle über die Begegnung hatte und nur wenige, vernachlässigenswerte Fehler machte.

Quelle: ntv.de

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