Wie sicher sind deutsche Stadien? "Das ist jetzt wirklich kein Spaß mehr"
20.11.2015, 10:02 Uhr
Polizisten mit Maschinenpistolen vor dem Stadion in Hannover.
(Foto: dpa)
Erst die Terrorgefahr von Hannover, jetzt wieder Bundesliga. Mit gemischten Gefühlen blicken viele Fußball-Fans auf den 13. Spieltag, der am Freitagabend mit dem Spiel Hamburger SV gegen Borussia Dortmund eröffnet wird. Jörg Radek, Stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei, rät den Fans im Gespräch mit n-tv.de zu erhöhter Achtsamkeit und nimmt die Ordner an den Stadioneingängen in die Pflicht, verstärkt nach Sprengstoffen und Waffen zu suchen.
n-tv.de: Herr Radek, die Deutsche-Fußball-Liga hat am Mittwoch entschieden, das Bundesliga-Wochenende trotz oder gerade wegen der Terroranschläge in Paris und nach der Absage des Länderspiels in Hannover wie geplant stattfinden zu lassen. Halten Sie das für richtig?
Ja, ich halte das für eine gute Idee. Denn bei einer Absage hätten die Terroristen ja genau das erreicht, was sie wollen: Verunsicherung und Angst verbreiten. Und ich mache mir da jetzt auch ehrlich gesagt weniger Sorgen. Zwar herrscht derzeit eine erhöhte Aufmerksamkeit, was auch gut ist und so sein muss. Aber es wäre tatsächlich sehr, sehr ungewöhnlich, wenn wir unmittelbar nach solch einem Ereignis wie in Hannover am nächsten Bundesliga-Spieltag eine ähnliche Situation hätten. Das würde wirklich alles übersteigern.
n-tv.de: Kurz nach dem offenbar missglückten Anschlag auf das Stade de France am Freitagabend in Paris behaupteten viele Experten, die Stadien in Deutschland seien sicher. Unter ihnen war der Sicherheitschef der WM 2006, Helmut Spahn. Nun wurde am Dienstag das Testspiel der Deutschen gegen die Niederlande abgesagt. War die Absage von Hannover aus Ihrer Sicht nun ein Argument für oder gegen diese These?
Das ist ganz klar ein Argument für diese These. Ich gehe sogar noch einen Schritt weiter und will Ihnen das gerne begründen. Deutschland hat den Zuschlag für die WM 2006 sicher auch bekommen, weil wir ein Sicherheitskonzept hatten, das auch eine terroristische Bedrohung berücksichtigte. Wir sind in Deutschland also dahingehend gut aufgestellt, Gefahrenlagen zu erkennen, zu handeln und mutig zu entscheiden. So können wir doch für Hannover feststellen: Der Terrorist ist nicht zu seinem Ziel gekommen. Und wenn die Medienberichte von heute stimmen, dann war er offenbar knapp davor.
n-tv.de: Nun ist wieder Bundesliga. In den drei Profiligen stehen an diesem Spieltag insgesamt 28 Partien an. Welche Herausforderung stellt das für die Polizei und wie können Sie die Sicherheit aller Spiele gewährleisten?
Für die Polizei, so banal das klingt, ist das erst einmal ein Spieltag wie jeder andere. Aber selbstverständlich ist die Situation für die Kollege substanziell eine neue Herausforderung, die Wachsamkeit jetzt noch einmal zu erhöhen. Daher auch nochmal der Hinweis, dass die Vereine in der Verantwortung sind, für die Sicherheit zu sorgen. Zumindest im Stadion und beim Zugang. Hier erwarten wir einfach eine Entlastung durch die Ordner. Wir setzen darauf, dass sie die Kontrollen am Einlass sehr genau und akribisch umsetzen.

Jörg Radek ist Stellvertretender Bundesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei.
(Foto: Homepage: Gewerkschaft der Polizei)
n-tv.de: Nun, was bedeutet das für die Vereine? Mehr Personal? Und für die Fans? Geduld und lange Wartezeiten?
Wenn ich gründliche Kontrollen durchführen will, dann brauche ich mehr Ordner. Denn durch die gründlichen Kontrollen werden sich die Besucher an den Stadiontoren stauen und Warteschlangen bilden. Das allein bildet schon wieder eine neue Gefahrenlage. Aber wichtiger als eine erhöhte Anzahl von Ordnern ist deren Sensibilisierung. Es geht jetzt nicht mehr um Pyrotechnik. Es geht jetzt um Waffen und Sprengstoff. Also Gegenstände, die eine allgemeine Bedrohung bedeuten.
n-tv.de: Reicht die Qualität der bisherigen Einlasskontrollen aus, um diese neue Herausforderung zu gewährleisten?
Ich denke, wir brauchen an dieser Stelle mal einen klaren Kontrapunkt. In der Vergangenheit wurde tatsächlich häufig viel zu leicht mit Pyrotechnik und kleinen Silvesterkörpern umgegangen. So, als wäre das nur eine kleine Spielerei. Aber spätestens Paris und Hannover haben gezeigt, dass die Zeiten einen Böller zu zünden, vorbei sind. Das ist wirklich kein Spaß mehr. Wir brauchen jetzt eine andere Priorität. Wir brauchen verstärkte Kontrollen von Rucksäcken. Und wenn verdächtige Gegenstände gefunden werden, dann müssen wir sie überprüfen, wie bei der Fluggastkontrolle. Aber nicht, dass wir uns jetzt falsch verstehen. Ich will keine Kontrollen wie am Flughafen. Ich will damit nur sagen, dass es ganz wichtig ist, jetzt sehr aufmerksam zu sein. Schon bei den kleinen Dingen.
n-tv.de: Was meinen Sie damit genau?
Ich gebe Ihnen ein Beispiel. An Bahnhöfen werden die Leute immer wieder darauf hingewiesen sich zu melden, wenn sie einen herrenlosen Gegenstand sehen. So soll es auch am Stadion sein. Denken Sie zum Beispiel an eine Kühlbox. Im Sommer okay, nachvollziehbar. Aber im Winter? Wenn ich so etwas beobachten würde, würde ich die Polizei informieren. Da sind jetzt alle gefordert.
n-tv.de: Leverkusens Sportdirektor Rudi Völler hat nach den gescheiterten Anschlägen auf das Stade de France gefordert, über erhöhte Sicherheitsstandards nachzudenken. Wie in Italien praktiziert, spricht er sich unter anderem für personalisierte Eintrittskarten aus. Ihre Meinung?
Grundsätzlich gilt: Wir müssen bei allen Schlussfolgerungen aus den Ereignissen von Paris und Hannover immer die Verhältnismäßigkeit wahren. Personalisierte Tickets können durchaus ein probates Mittel sein. Aber wir sollten die Freiheit und Freizügigkeit in Deutschland immer noch als hohes Gut behandeln.
n-tv.de: Gehört dazu auch, dass wir uns künftig an Polizisten mit Schutzwesten und Maschinenpistolen am Stadion gewöhnen müssen?
Nein! Bilder von Polizisten mit Maschinenpistolen verblassen in ihrer Wirkung, wenn wir uns daran gewöhnen. Sie müssen daher die absolute Ausnahme bleiben. Die Ausnahme kann dieser Spieltag sein. Nächste oder übernächste Woche kann die Situation schon eine ganz andere sein. Und so wie nicht an jedem Bahnhof in Deutschland Polizisten mit Maschinenpistolen rumlaufen, ist auch die Situation in unseren Stadien. Ein Spiel wie beispielsweise Hertha BSC Berlin gegen Hoffenheim hat eine ganz andere Qualität als etwa der Hamburger SV gegen Borussia Dortmund.
n-tv.de: Das heißt, Sie legen auf das Spiel Hamburger SV gegen Borussia Dortmund am Freitagabend einen besonderen Fokus?
Ja. Die Stadt Hamburg ist Olympiabewerber. Hamburg ist weltoffen. Aber Hamburg ist auch der Herkunftsort der Attentäter vom 11. September. Der Terrorismus zielt auf Symbolkraft. All diese Aspekte spielen bei der Bewertung eine große Rolle. Denn der Terrorist wird immer dort zuschlagen, wo er Fanal setzen kann. Das soll jetzt keine Überinterpretation sein, sondern so ist die Denkweise der Terroristen.
n-tv.de: Also ist ein Fußballspiel in der Logik der Terroristen ein "gutes" Ziel für einen Anschlag?
Lassen Sie es mich so ausdrücken. Fußball gehört sicher dazu. Denn Fußball gehört zu unserer Kultur. Fußball ist für uns Europäer ein Ausdruck von Lebensfreude. Der Terrorist ist dagegen jemand, der mit seinem Leben abgeschlossen hat. Der gönnt einem die Freude nicht. Der Selbstmordattentäter denkt in Kategorien, die für uns nicht nachvollziehbar sind. Er ändert sein Bemühen also dahingehend, lebensfeindlich zu agieren. Anhand dessen sucht er sich Ziele. Das kann ein Fußballspiel sein, ja. Seine Angriffe gelten der Mitte der Gesellschaft. Das ist das perfide.
n-tv.de: Also ist die Gefahrenlage derzeit sehr hoch?
Die Bedrohungslage in Deutschland ist ernst. Und sie wird solange ernst bleiben, bis wir die Hintermänner der Anschläge bekommen. Aber darauf zu schließen, dass die Bedrohung immer einen direkten Bezug zum Fußball hat, wäre nicht richtig.
n-tv.de: Wie funktioniert das Abschätzen der Gefahrenlage? Gibt es seit Paris einen engeren Austausch mit den Geheimdiensten?
Gerade eine terroristische Lage lebt von einem intensiven Austausch. Das funktioniert in Deutschland traditionell gut, auch wenn Sie jetzt als Gegenargument natürlich die NSU-Mordserie anführen könnten. Ich sage, die Sicherheitsbehörden sind gut aufgestellt, was die Informationsauswertung, -aufarbeitung und -weitergabe anbelangt. Es gibt nur wenige Fälle von Behördenegoismus. Auf europäischer Ebene ist da noch etwas Luft nach oben. Obwohl sich auch hier seit den Anschlägen von Paris im Januar (Anmerkung: Charlie Hebdo) einiges geändert hat und Zusammenrücken zu spüren ist. Mittlerweile werden Erkenntnisse so weitergegeben, dass andere Nationen ihre Maßnahmen entsprechend abstimmen können.
Mit Jörg Radek sprach Tobias Nordmann
Quelle: ntv.de