Die Lehren des 15. Spieltags Der FC Bayern menschelt, Frankfurt brennt
07.12.2015, 15:16 Uhr
Josep Guardiola und sein FC Bayern werden die Saison nicht ungeschlagen beenden.
(Foto: imago/Philippe Ruiz)
Der FC Bayern von Josep Guardiola unbesiegbar? Nicht, wenn es gegen den Glückspullover von Andre Schubert geht. Spektakulärer als die Borussia aus Gladbach siegt nur die aus Dortmund. Im Keller wird's derweil eng - und in Frankfurt brenzlig.
1. Bayern wird nicht ungeschlagen Meister
Seit Wochen hadert das Fußballmutterland England mit seinem Rekordmeister, am Nikolaussonntag goss der "Guardian" das Unbehagen der Nation schließlich in eine formschöne Frage: "Wenn Louis van Gaal so ein Genie ist, warum spielt Man United dann so langweilig?" Es spricht für die Arbeit von van Gaals Nachnachfolger als Trainer des FC Bayern, dass Fußball-Deutschland ähnlich despektierliche Fragen zu seinem Rekordmeister auch nach dem 15. Spieltag nicht in den Sinn kamen - obwohl sich schlichtweg Unglaubliches ereignet hatte. Erstmals in der Ära Josep Guardiola kassierte der FC Bayern beim 1:3 gegen Gladbachs Bubis eine Bundesliga-Niederlage in der Hinrunde, nachdem die Münchner das unter dem Spanier zuvor 49 Mal in Folge vermieden hatten.
Trotz auf fünf Zähler geschrumpften Vorsprungs auf die Dortmunder sorgt das aber weder für ernsthafte Spannung im Meisterrennen noch für nennenswerte Anspannung in München. Chefmahner Matthias Sammer, nebenberuflich Bayern-Sportdirektor, verbuchte als Erkenntnis des Spieltags lapidar: "Die Niederlage tut nicht gut, aber sie zeigt, dass unsere Mannschaft von diesem Planeten ist und menschlich agiert." Und zu schlagen - allerdings nur, wenn sie wie in Gladbach ihre eigenen Chancen nicht nutzt, durch Verletzungsprobleme nicht personell variieren kann und dazu auf einen taktisch höchst disziplinierten Gegner trifft, dessen Trainer in Person von Andre Schubert außerdem im Besitz eines grünen Glückspullovers ist. Angst um die vierte Meisterschaft in Serie müssen sich die Münchner nicht machen - sie werden sie halt nur nicht ungeschlagen feiern dürfen.
2. Auch einen Lucky Punch kann man noch kontern
War das jetzt ein glücklicher Sieg von Borussia Dortmund beim VfL Wolfsburg? Oder war es einer im Stil einer Spitzenmannschaft, erzwungen mit der richtigen Mischung aus Klasse und Bayern-Dusel? Auf jeden Fall war der 2:1-Erfolg der Dortmunder der spektakuläre Beweis, dass der BVB auch nach dem Abschied von Jürgen Klopp die größte Drama Queen der Liga ist - und nach Guardiolas Münchnern weiter die zweitgrößte Attraktion. Erst eine grandiose Anfangsphase zu zeigen, dann 60 Minuten erstaunlich zu wackeln, Wolfsburgs Last-Minute-Ausgleich schließlich mit einem Last-Second-Traumtor zu kontern und damit ganz nebenbei die formidable VfL-Serie von 29 Liga-Heimspielen ohne Niederlage zu beenden, darf durchaus als Fußball-Wahnsinn verbucht werden. Wolfsburgs Bas Dost ging hinterher zwar mit einem "Scheißgefühl" nach Hause, sagte vorher aber über das Dortmunder Siegtor noch anerkennend: "Direktabnahme, Flanke, guter Abschluss. Das ist einfach Qualität." Qualität, mit der sich selbst ein Lucky Punch noch kontern lässt.
3. Der Keller muss ausgebaut werden
Natürlich, man kann in der Bundesliga auch mit 27 Punkten die Klasse halten, der Hamburger SV lässt freundlich grüßen. Generell gilt aber schon noch: Weniger Punkte als Spiele ist kein Qualitätsnachweis und sorgt gemeinhin für Schnappatmung bei Fans und Klubverantwortlichen. Gemessen darin ist die Liga der Weltmeister im Moment die Liga der weltmeisterlichen Schnappatmer, zeigt ein Blick auf die Tabelle. Nach den verdienten Niederlagen von Eintracht Frankfurt und Hannover 96 haben nach dem 15. Spieltag mittlerweile sechs Mannschaften weniger Punkte als Spiele. Ein Drittel der Liga befindet sich also im Kampf um den Klassenerhalt und wer diesem Drittel in den letzten Spielen aufmerksam zugeschaut hat, der ahnt, dass das noch ein wenig so bleiben dürfte. Bald werden deshalb die Ersten "Schneckenrennen!" schimpfen und andere betont lässig entgegnen, Abstiegskampf sei halt die neue Meisterschaft. Unser unverbindlicher Tipp an alle: atmen.
4. In Frankfurt brennt es lichterloh
Aufmerksame (und chronologische Leser dieser Rubrik) wissen inzwischen: Die Frankfurter Eintracht hat sich am 15. Spieltag hochoffiziell im Abstiegskampf angemeldet. Vorstandsboss Heribert Bruchhagen sagte nach der Derby-Heimpleite gegen Darmstadt: "So wie wir im Augenblick spielen, sind wir hochgradig gefährdet." Nach dem in allen Belangen katastrophalen 0:1 schallten gut vernehmbar "Armin raus"-Rufe durch die Frankfurter Arena. Der derart unfreundlich angesprochene Eintracht-Trainer Veh sprach selbst von einer "der schwärzesten Stunden" seiner Trainerkarriere, die immerhin seit 24 Jahren andauert. Die brennenden Darmstadt-Trikots im Frankfurter Fanblock, seine so gar nicht brennenden Profis, der von der Polizei vereitelte Sturm von Frankfurt-Ultras vor die Darmstädter Fankurve, das nach nur einem Sieg aus zwölf Spielen bedrohliche Heranrücken der Abstiegsränge, das alles hinterließ Spuren. Veh sprach von einer "Situation, in der alles zusammenkommt". Er wirkte mitgenommen und ratlos und erinnerte fatal an den Armin Veh vom Spätherbst 2014, der schließlich in Stuttgart freiwillig zurückgetreten war. An den Veh, der nicht mehr brannte.
5. Die Retter retten nicht mehr
Trainerwechsel im laufenden Ligabetrieb gelten als zwar einfallsloses, aber dennoch beliebtes Mittel, um erfolglose Fußballmannschaften mindest weniger erfolglos zu machen. Nimmt man die aktuelle Saison zum Maßstab, drängt sich allerdings die Frage auf: Warum eigentlich? Trotz drangvoller Enge im Keller (siehe oben) muss allen kriselnden Vereinen dringend von einer personellen Änderung auf dem Cheftrainerposten abgeraten werden, sofern der Coach nicht freiwillig gehen möchte. Von den drei Klubs, die nicht mehr vom selben Trainer gecoacht werden wie beim Saisonstart, hat einzig Borussia Mönchengladbach nennenswert davon profitiert - jener Verein also, der von seinem Coach Lucien Favre partout nicht lassen wollte und vom Schweizer zur Trennung gezwungen werden musste.
In Hoffenheim und Stuttgart stellt man hingegen frustriert fest: Die Retter retten gar nicht. Hoffenheim brauchte unter Huub Stevens vier Spiele, um überhaupt mal ein Tor zu schießen und gegen Aufsteiger Ingolstadt am Wochenende ein Tor in der 96. Minute, um nicht zu verlieren. Letzter bleibt 1899 trotzdem, weil sich der VfB nach der Demission von Alexander Zorniger unter Interimsretter Jürgen Kramny zu einem ärmlichen Heimremis gegen Werder Bremen kriselte. Das reichte VfB-Sportdirektor Robin Dutt, um Kramny auch im nächsten Ligaspiel gegen Mainz auf der Bank zu lassen. Aber er dürfte wissen: Die Rettung ist das nicht.
6. Der Bundesliga fehlen Gilberto Silvas
Razzien und Massenverhaftungen beim Fußball-Weltverband Fifa, ein vom Big Boss jahrelang geduldetes Schmiergeld-Schneeballsystem im dreistelligen Millionenbereich, WM-Vergaben an die technisch schlechtesten Bewerber, dazu hierzulande der Verdacht eines gekauften Sommermärchens 2006: Der Fußball leidet und es gibt viele Sachverhalte, zu denen sich die maßgeblichen Protagonisten des Sports doch bitte einmal kritisch äußern könnten. Das findet zumindest Gilberto Silva, brasilianischer Weltmeister von 2002: "Ich denke, jeder der Fußball liebt - Spieler, Ex-Spieler, Trainer - muss jetzt aufstehen. Es ist unmöglich, dass niemand irgendetwas sagt, dass jeder ruhig bleibt. Das ist sehr seltsam", klagte er vergangene Woche im "Guardian" und stellte fest: "Es ist enttäuschend und frustrierend."
Bezogen auf die Fußball-Bundesliga lässt sich trotz eines Schalkes-Witzchens über die Fifa nach dem 15. Spieltag vermelden: Das Schweigen der Männer, in der Fußball-Bundesliga bleibt es der Normalzustand. Leider.
Quelle: ntv.de