Klappt's mit Hansi und Hasan? Der komplizierte Kaderplan des FC Bayern
06.04.2020, 21:08 Uhr
Wer ist hier der Kaderplaner?
(Foto: imago images/MIS)
Was in diesem Sommer passiert, das ist völlig unklar. Corona ist das Stichwort. Arbeit gibt's reichlich. Gerade beim FC Bayern. Doch nach der Kompetenzausweitung von Coach Flick stellt sich die Frage: Wer baut den Kader eigentlich?
Sie machen es natürlich zusammen. Hasan Salihamidzic, der Sportdirektor, und Hansi Flick, der Trainer, basteln gemeinsam am künftigen Kader des Fußball-Bundesligisten FC Bayern. Alles andere wäre ja auch doof. Zumindest in der öffentlichen Darstellung. Also ran an die Schippe und das Aufgebot der Münchner bauen. Aber wo anfangen? Und wo aufhören? Und was ist mit Corona - und den unabsehbaren Folgen für die Ligen, für die Klubs? Klar, ein paar Vertragsverlängerungen stehen an. Klar, ein paar Leihen und deren Fortgang müssen geklärt werden. Und Verstärkungen sind ja eh immer das Ziel. Das klingt eigentlich überschaubar, ist es aber nicht. Denn so erfolgreich die Münchner sich mit Flick entwickelt haben, so viele Herausforderungen stecken in der Personalentwicklung. Und womöglich damit auch mehr Dissens, als das gemeinsame Basteln gerne suggerieren möchte.
Hansi Flick war es wichtig, dass er bei kommenden Transfers ein Vetorecht bekommt. Das hat er sich in den Vertrag verhandelt, der gerade erst um drei Jahre, bis Ende Juni 2023, verlängert worden war. Das Arbeitspapier ist das erste richtig große als Chef für den 55-Jährigen. Und so hat er sehr viel Wert darauf gelegt, dass es ihn auch stark macht. Stark gegenüber der Mannschaft - das war allerdings sowohl als Co-Trainer und erst recht nach seiner Beförderung im Oktober so - und stark gegenüber den Entscheidern. Die Spieler, mit denen er zusammenarbeiten muss, sollen ihm schon auch gefallen. Nun ist es nicht so, dass seine Vorgänger immer nur edle Verwaltungsmasse präsentiert bekamen, "Thiago oder nix" ist das Stichwort, aber nicht immer wurde der Trainer voll erhöht.
Flick hat das selbst erfahren. Als Co-Trainer von Niko Kovac. All die Namen, die ihm als Wunschspieler zugeschrieben wurden, spielten in der Kaderpolitik der Münchener wohl keine Rolle. So entstand im vergangenen Sommer ein Kader, der toll klang (und klingt), dessen eigener Antrieb aber nicht zur Philosophie des ständig angezählten Trainers passen wollte. Aber anders als im Film funktionierte das mit dem passen und passend machen nicht. Der Kulturkampf verstimmte den Kader, verdarb Fußball und Spaß und knockoutete Kovac aus dem Amt. Flick, dessen Status in München lange auf "in Arbeit" stand, reparierte alle sportlichen und atmosphärischen Schäden. Still freundlich. Doch je klarer die Konturen der Zusammenarbeit wurden, desto forscher wurde der Trainer.
Dissens über "mediale Kaderplanung"
Er wurde sogar so forsch, dass er Salihamidzic im Trainingslager in Katar öffentlich gegen sich aufbrachte. Zwar war der Sportdirektor bemüht, den Dissens über die Transferpolitik kleinzureden, ihn gar für nichtig zu erklären, aber den deutlichen Hinweis an Flick, dass er das "mediale Betreiben der Kaderplanung" nicht mag, den ließ er dann doch vehement verkünden. Was bedeutet das nun für die Arbeit der Beiden? Wird gemeinsam diskutiert bis zur einvernehmlichen Lösung? Oder versuchen die beiden Alphatiere ihre Wunschspieler durchzudrücken? Was wird aus Leroy Sané? Salihamidzic ist Fan, Flick offenbar nicht ganz so. Was wird aus Timo Werner? Flick schätzt den DFB-Spieler sehr, Salihamidzic hält ihn dagegen nicht zwingend für bayernrelevant. Wo ordnet sich Kai Havertz ein, das wohl größte (und teuerste) Talent im deutschen Fußball?
Und was ist mit einem neuen Rechtsverteidiger? Dass die winterliche Kompromisslösung Álvaro Odriozola länger als nötig (bis zu diesem Sommer) bleibt, ist ausgeschlossen. Und der 24-Jährige sieht sich auch selbst als Mann für Real Madrid. Gegenüber der "Marca" sagte er erst heute: "Ich spüre sehr, dass Zinedine Zidane mir vertraut und habe keine Zweifel, dass meine Zeit in Madrid noch kommen wird." Na gut, ist das geklärt. Also weiter mit Ivan Perisic und Philippe Coutinho. Bleiben sie? Gehen sie? Ihre Statistiken sind zwar gut, aber haben sie alle Zweifel an ihrer Tauglichkeit ausgeräumt? Der Kroate scheint für einen Ersatzspieler etwas zu teuer, die Kaufoption liegt bei 20 Millionen Euro. Zumal er bereits 31 Jahre alt ist. Und Coutinho, dieser Weltstar a. D., auf den sie, vor allem der Sportdirektor so stolz waren, wirkt im Preis-Leistungs-Verhältnis von vermuteten 120 Millionen Euro nicht wirklich attraktiv.
Und dann sind da ja noch die Unzufriedenen. Weltmeister Corentin Tolisso beispielsweise, oder Ex-Wadlbeißer Javi Martinez. Sie sind weitgehend spielzeitbefreit - unfreiwillig. Und Nationalspieler Leon Goretzka, der unbedingt spielen will, für den es aber keine richtige Position im System gibt. Oder der als ewiger Abgang gehandelte Heldengrätscher Jerome Boateng? Der Wiedererstarkte, der atmosphärisch allerdings mal wieder mit dem Klub über Kreuz liegt. Haben sie eine Zukunft? Und was wenn nicht? Dann, dann entstehen allerhand Löcher in einem Kader, den Flick ohnehin zu klein findet. Und nur mit Nachwuchsspielern - die sehr erstaunlichen Entwicklungen von Alphonso Davies oder von Joshua Zirkzee lassen sich nicht konsequent wiederholen - werden die Plätze nicht zu besetzen sein.
Welche Idee passt zum Kader?
Wie auch immer der Kader gestaltet wird, für Flick wird es auch um die Stimmung innerhalb des Teams gehen. Der lange formabwesende Thomas Müller beispielsweise spielt als wertgeschätzte Stammkraft wieder wie zu besten Freigeistzeiten. David Alaba fühlt sich ganz besonders wohl, seit er - allerdings auch aus personeller Not - vom Linksverteidiger zum überragenden Abwehrchef aufgestiegen ist. Und er möchte das sehr gerne bleiben. Selbst wenn Niklas Süle, der eigentliche Chef, und Lucas Hernandez, der Star-Einkauf von Salihamidzic, wieder endgültig fit und belastbar sind. Der feine Herr Thiago hat derweil die vielen Flüchtigkeitsfehler aus seinem phänomenalen Spiel verbannt - und lässt es auch im Duell mal ordentlich scheppern. So ist er unverzichtbar. Ebenso wie Manuel Neuer. Der Torwart untermauert im Fernduell mit seinem mutigen Herausforderer Alexander Nübel besonders oft, warum er der Positions-Beste ist.
Wie also den künftigen Top-Kader planen? Eher mit Perspektive? Für eine stramme und regelmäßige Rotation? Als offenen Konkurrenzkampf? Geleitet von wilden Sehnsüchten (Sané) oder von kühlen Analysen (Werner)? Und wer gibt die Richtung an? Salihamidzic? Flick? Oder aber tatsächlich beide? Nun, Oliver Kahn, Lernender der Geschäftsführung sieht's mal so: "Ich freue mich, dass wir nun mit ihm (Anmerk. d. Red.: Flick) unsere Idee von Vereins- und Spielkultur in den kommenden Jahren gemeinsam entwickeln können." An Arbeit mangelt es nicht. An verantwortlichem Personal aber offenbar auch nicht. Flick hat sich klar positioniert. Und er meint das ernst. Sehr ernst.
Quelle: ntv.de