Fußball

Großes Trainer-Missverständnis Thomas Tuchel scheitert beim FC Bayern mit Ansage

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Spätestens am Ende der Saison verlässt Thomas Tuchel den FC Bayern. Der Rekordmeister zieht einen Schlussstrich unter die Zeit mit dem Gewinner der Königsklasse 2021. Es ist ein Missverständnis mit Ansage. Bei der Bekämpfung der großen Krisenherde des Vereins haben alle den Überblick verloren.

Der FC Bayern hat die Fußball-Saison 2023/2024 am 21. Februar offiziell für beendet erklärt. In der Meisterschaft acht Punkte hinter Bayer Leverkusen, im Pokal das Aus bei Drittligist Saarbrücken, Trainer Thomas Tuchel eine Lame Duck. Er wird nach dem Saisonende am 18. Mai gehen.

Vielleicht gewährt ihm seine Mannschaft noch eine Gnadenfrist bis zum 1. Juni. Dann wird das Finale der Champions League im Wembley-Stadion ausgetragen. Doch daran glauben in der aktuellen Gemengelage, zu der sich noch eine veritable Liste an verletzten Spieler gesellt, nicht einmal die größten Optimisten rund um die Säbener Straße.

Offiziell klingt das natürlich ganz anders. Die Mannschaft sei vor der nun angekündigten "sportlichen Neuausrichtung mit einem neuen Trainer" in der kommenden Saison angehalten, in der ja doch noch laufenden Saison "in der Champions League und in der Bundesliga das maximal Mögliche zu erreichen", teilte der Vorstandsvorsitzende Jan-Christian Dreesen mit.

Trennung als gesichtswahrender Kompromiss

Dreesen hatte dem Trainer noch nach dem 2:3 in Bochum die Treue geschworen und beging mit der Ankündigung der Trennung am Saisonende auch keinen Wortbruch. Das hatte sich bereits gestern angekündigt, als der Vorstandsvorsitzende in der "Bild"-Zeitung in einem kurzen Statement von Tuchel abgerückt war und die Frage nach einem Rauswurf mit "schauen wir mal" beantwortet hatte.

Jetzt also der vorerst gesichtswahrende Kompromiss. Nach außen gibt sich auch der baldige Ex-Trainer des Rekordmeisters, der sich in Deutschland häufig missverstanden fühlt, gelassen. Er werde mit seinem Trainerteam bis zum Saisonende "selbstverständlich weiter alles für den maximalen Erfolg geben", so Tuchel. Der aber war den Bayern in den letzten Wochen mehr als abhandengekommen. In nur acht Pflichtspielen kassierten die Münchner im Jahr 2024 bereits vier Niederlagen. Mindestens vier Niederlagen zu viel für das Selbstverständnis des FC Bayern.

Besonders die drei Pleiten in der Liga gegen Werder Bremen (0:1), Bayer Leverkusen (0:3) und den VfL Bochum (2:3) waren zu brutal. Zum ersten Mal seit der Saison 2011/2012 könnte der FC Bayern in dieser Saison nicht Meister werden. Bereits in der vergangenen Spielzeit, als Tuchel im März von dem im Ski-Urlaub entlassenen Julian Nagelsmann übernommen hatte, schenkte der angsterfüllte BVB den Bayern die Meisterschaft am 34. Spieltag. Die nahmen das Präsent der Dortmunder jedoch erst in den letzten Minuten ihres Spiels in Köln an und stürzten sich dabei mit der Entlassung von Sportvorstand Hasan Salihamidžić und dem Vorstandsvorsitzenden Oliver Kahn kopfüber in das Chaos.

Ein Transfersommer zum Vergessen - trotz Harry Kane

Der folgende Transfersommer ließ nicht nur den Transferjournalisten Florian Plettenberg live on air verzweifeln, sondern auch Tuchel. Zwar gelang dem FC Bayern mit dem 100-Millionen-Euro-Mann Harry Kane ein Ausrufezeichen, doch die von Tuchel geforderte "Holding Six", Joao Palinha, reiste am Deadline Day ohne Vertrag zurück zum FC Fulham nach London. Auch ein von Tuchel wiederholt geforderter Rechtsverteidiger wollte sich trotz bester Kontakte in die Premier League nicht zu einem passenden Preis finden. Noch lange danach schimpfte Tuchel über die Transferphase. Irgendwann fing ihn Bayern-Patron Uli Hoeneß wieder ein.

Die teils gegenteiligen Äußerungen zur Transferpolitik aus dem Bayern-Lager nannte Hoeneß im Oktober ein "gefundenes Fressen für die Medien, speziell für die Boulevardpresse". Einige, "inklusive des Trainers", hätten "unkluge Äußerungen getätigt", weil "ich nicht mein eigenes Team schlecht aussehen lasse, indem ich sage, wir sind zu dünn besetzt", sagte er im Gespräch mit RTL/ntv.

Das missglückte Transferfenster im Sommer 2023 und die damit einhergehenden Diskussionen um die "Holding Six" waren auch Ausgangspunkt für einen weiteren Konfliktherd. Es waren die Tage, in denen die langsame Demontage des ohnehin seit Längerem umstrittenen Joshua Kimmich ihren Anfang nahm. Sie fand mit der Auswechslung in Bochum und dem anschließenden Konflikt mit Tuchel-Co Zsolt Löw ihren vorläufigen Höhepunkt. Sie versuchten den Streit noch runterzukochen, doch die Krisenherde waren da schon kaum noch zu überschauen.

"Murphy's Law" als Bankrotterklärung

Der erratisch seine Formation und Hoffnungsträger wechselnde und sich in Scharmützeln mit dem Sky-Experten Didi Hamann verlierende Tuchel hatte da schon längst den Überblick verloren. In einem Interview mit ESPN noch vor den großen Niederlagen sprach er bereits über die mangelnde Wertschätzung für ihn in Deutschland und sein hohes Standing in England. Auf der Trainerbank, auf der er seinen Kopf immer tiefer in seinen Händen vergrub, trug er wenig dazu bei, dieses Standing zu verbessern. Es hatte etwas von Selbstaufgabe. Dabei wollte er womöglich nur alles probiert haben und sich nichts vorwerfen müssen. Es wurde unübersichtlich.

Der Verteidiger Matthijs de Ligt wurde einmal zum zentralen Mann seiner Abwehr und dann zum Bankspieler gemacht, der in der Versenkung verschwundene Eric Maxim Choupo-Moting plötzlich wieder aufgeboten. Das Sturmtalent Mathys Tel wurde erst in den Himmel gelobt und dann in den Boden gestampft. Für den alternden Vereinssprecher Thomas Müller fand er nie eine Rolle. Jamal Musiala, eines der größten Talente, stagnierte unter Tuchel und gegen Leverkusen bot der Trainer plötzlich aus dem Nichts eine Dreierkette auf. Das ging gründlich daneben. Die im Winter getätigten Transfers von Eric Dier, Sacha Boey und Bryan Zaragoza taugten letztendlich nur als Notlösung.

Spätestens als Tuchel nun in Bochum "Murpyh's Law" und die "Expected Goals" bemühte, war auch Außenstehenden klar, dass der gemeinsame Weg bald ein Ende haben würde. Insofern war es sogar überraschend, dass Dreesen sich gegen jede Trainerdiskussion wehrte. Die nun getroffene Entscheidung ist eine, die in den kommenden Wochen immer wieder überprüft werden wird. Es ist eine der absoluten Selbstaufgabe und eine, die es in dieser Form beim FC Bayern so noch nicht gegeben hat. Ein Feuerwehrmann, der die Zeit bis zum Umbruch im Sommer moderieren kann, scheint jedoch aktuell nicht in Sicht.

Maulwürfe unterwandern die Kabine

Tuchel reiht sich damit in eine lange Liste der gescheiterten Trainer in München nach dem Ende des kurzen Guardiola-Zeitalters im Jahr 2016 ein. Dazu gehören neben dem Leichtgewicht Niko Kovač auch Carlo Ancelotti, der bislang erfolgreichste Trainer in der Geschichte der Champions League, sowie der aktuelle Bundestrainer Julian Nagelsmann und sein Vorgänger Hansi Flick, der sich mit der ehemaligen Bayern-Führung rund um den damaligen Sportvorstand Salihamidžić überworfen hatte. Die anderen Trainer hatten die meist von einem Maulwurf unterwanderte Kabine verloren.

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Wer kann den FC Bayern überhaupt noch trainieren? Viele Namen schwirren herum. Unter ihnen befinden sich große Namen wie Zinédine Zidane, Antonio Conte, José Mourinho und Xabi Alonso. Auch Weltmeister-Trainer Joachim Löw wird plötzlich als Nachfolger gespielt, Hansi Flick sowieso. Es ist ein wilder Mix. Die Entscheidung dürfte dem wohl im März beginnenden neuen Sportvorstand Max Eberl obliegen.

So viele Konflikte schon in Dortmund

Wie Borussia Dortmund in den Jahren nach Jürgen Klopp, so sind auch die Bayern immer auf der Suche nach einem Trainer, der sie in eine erfolgreiche, aber eben auch spielerisch zufriedenstellende Zukunft führt. Dass mit Tuchel nun der Klopp-Nachfolger auch in München scheitert, gibt den Dortmundern zumindest in einem Punkt recht: Ihre von vielen kritisierte Entscheidung damals war keineswegs eine verkehrte. Auch beim BVB hatte Tuchel mit seiner Art für einige Konflikte gesorgt.

Dort war er nach dem DFB-Pokalsieg 2017 aus dem Amt gejagt worden. Die Konflikte rund um seine Person waren schon vor dem Anschlag auf die Leben der BVB-Spieler vor dem Champions-League-Spiel eskaliert. Der BVB hatte sich im zweiten Tuchel-Jahr spielerisch kaum weiterentwickelt und war dann von irren Kämpfen erschüttert worden, die über die unterschiedliche Sichtweise auf den Umgang mit dem Anschlag des Deutsch-Russen Sergej W. auch in die Öffentlichkeit getragen wurden.

Die Diskussionen um Tuchel werden nicht abreißen

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Für Tuchel folgten auf den BVB Jahre bei Paris Saint-Germain und Chelsea, mit denen er 2021 die Champions League gewinnen konnte. Doch in der englischen Premier League reichte es auch aufgrund der Übermannschaften Manchester City und Liverpool nicht für den großen Wurf. In seiner Zeit im Ausland lernte Tuchel die unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten der echten Superklubs kennen. Sowohl PSG als auch Chelsea scherten sich nicht um die Höhe der Ablösesummen. Das Geld war einfach da. Bei einem Verein wie Bayern München ist es zwar auch da, kann jedoch nicht mit beiden Händen aus dem Fenster geworfen werden.

Das Arbeiten in der Bundesliga ist ein anderes und Tuchel schien mit dieser Aufgabe nun überfordert zu sein. Sein Blick richtete sich immer wieder nach England. Von dort konnte er mit Dier und natürlich Kane zwei Spieler nach Deutschland lotsen. Doch das war ihm nicht genug. Ständig lag er dem Verein mit neuen Transferwünschen in den Ohren, ständig kritisierte er seine Spieler und verlor somit Stück für Stück das Vertrauen jener, die dem Trainer sportlichen Erfolg und somit ja auch Anerkennung bringen sollten. Das Ende im Sommer ist nur konsequent. Niemanden aber wird es verwundern, wenn das Saisonende in München in diesem Jahr vorgezogen wird. Die Diskussionen um Thomas Tuchel werde bis zu seinem letzten Arbeitstag nicht abreißen. Sein Scheitern in München war eines mit langem Anlauf.

Quelle: ntv.de

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