Olympia-Kämpfe gegen Frankreich Deutschland gewinnt, obwohl das nicht (mehr) möglich war
08.08.2024, 07:03 UhrImmer wieder Frankreich! Bei den Olympischen Spielen liefern sich deutsche Mannschaften und Einzelsportler große Duelle mit der "Grande Nation". Den Höhepunkt an Drama und Emotionen liefern die Handballer im Viertelfinale mit einem "phänomenalen Wahnsinn".
Ein gutes deutsches Lob beginnt häufig so: Da gibt's nichts zu meckern. Also immer erst mal von der negativen Seite kommen. Von daher wäre die deutscheste alle Fragen zum epischen Handball-Showdown im Viertelfinale der Olympischen Spiele am Mittwochmittag gegen Frankreich wohl die: Wie konnte die "Grande Nation" dieses Spiel noch verlieren? Die Antwort: Weil diese routinierte Mannschaft mit all seinen großen Superstars in den letzten sechs Sekunden der regulären Spielzeit alles falsch machte. Mit einem Tor in Führung liegend, hätte es ein Leichtes sein sollen, diesen Krimi zu einem guten Ende zu bringen. Doch dann das: Der überragende Dika Mem warf den Ball nach einer Auszeit in die ausgestreckten Arme von Julian Köster, der passte sofort auf den sensationell guten Renars Uscins und der erzwang in letzter Sekunde die Verlängerung.
Diese Augenblicke voller Drama, Aberwitz, Ekstase, Schock und fassungslosem Blödsinn waren der bisherige emotionale Höhepunkt der außergewöhnlich vielen Duelle zwischen Frankreich und Deutschland, die diese Spiele über die Sportarten hinweg prägen. Wie in der Politik ringen die europäischen Schwergewichte auch im Sport um die Vormachtstellung. Bei den Spielen gilt bisher, zumindest gemessen am Medaillenspiegel: riesiger Vorteil Frankreich (48:17!). Nicht riesig groß, sondern äußerst knapp ging es im Duell Silber und Bronze über 1500 Meter zu. Mit dem "schlechteren" Ende für Isabel Gose, die wenige Zehntel nach Anastasiia Kirpichnikova am Beckenrand anschlug. Einen Anspruch auf Vollständigkeit aller Duelle hat die folgende Übersicht nicht.
"Richtig bombenstolz"
Der Siedepunkt der Gefühle war nach dem Uscins-Einschlag noch nicht erreicht. Am Ende der Verlängerung ging das Handball-Drama vor 27.000 wildgewordenen Zuschauern weiter. Wieder war es der deutsche Youngster, der sich schon bei der Heim-EM Anfang des Jahres in den Fokus gespielt hatte, der Frankreich Sekunden vor Schluss schockte. Mit einem Kracher unter die Latte. Deutschland führte, die "Equipe tricolore" konterte, doch der finale Wurf wurde vom bärenstarken Torwart David Späth pariert. Ekstase bei Deutschland. Schock bei Frankreich. Die Olympischen Spiele hatten wieder eine von diesen Geschichten, die die Leute so sehr mitreißen, im Guten, wie im Schlechten. Die deutschen Männer gewannen ein Spiel, das sie eigentlich nicht mehr gewinnen konnten.
Sie taten es. Anders als die Handballerinnen am Tag zuvor, am Dienstag. Nach einem Rollercoaster-Turnier mit überraschenden, schmerzhaften und desolaten Niederlagen hatte sich das Team ins Viertelfinale gemogelt und fand dort plötzlich zu ungeahnter Stärke. Nach einer wackeligen Anfangsphase, das hatten sie mit den Männern gemeinsam, steigerten sie sich und brachten die Topfavoritinnen an den Rand der Niederlage. Sie sei "richtig bombenstolz", sagte Kapitänin Emily Bölk, die deutsche Mannschaft könne "erhobenen Hauptes" und mit "der besten Performance", die sie nicht nur in diesem Turnier gezeigt habe, nach Hause fahren. Bis fünf Minuten vor Schluss war die Sensation möglich, 21:23 stand aus DHB-Sicht. Doch dann fehlten im Hexenkessel von Lille ein paar "Kleinigkeiten" gegen den übermächtigen Gegner, wie Bundestrainer Markus Gaugisch befand.
Um nicht mehr ging es auch bei den Volleyballern. Eher um noch weniger. Der K.o. im Viertelfinale war an Dramatik vergleichbar mit dem Handball-Krimi der Herren. Mit 2:0 nach Sätzen führten die Hünen gegen den Titelverteidiger und Gastgeber, der steigerte sich danach, machte deutlich weniger Fehler und behielt in den spektakulären Ballwechseln immer häufiger die Oberhand. Und profitierte in der entscheidenden Phase im fünften Satz von zwei umstrittenen Entscheidungen des Schiedsrichters. Zum einen hatte Angreifer Earvin N'Gapeth Glück, dass ihm ein technischer Fehler nicht negativ ausgelegt worden war. Er führte den Ball eigentlich zu lange. Beim DVV-Ass Anton Brehme war zuvor eine solche Aktion geahndet worden. Und dann gab es noch eine Rote Karte gegen Tobias Krick in der heißen Phase des Tiebreaks. Der Mittelblocker hatte mit einem wuchtigen Schlag zum 5:8 etwas Hoffnung geschaffen und danach nah am Netz für einen Moment in die Richtung der Franzosen geschaut.
"Ja, das sind die Regeln ..."
Da Kapitän Lukas Kampa schon eine Gelbe Karte gesehen hatte, gab es für Krick die Rote Karte. Konsequenz: ein Punkt und Aufschlag für die Franzosen. "Ja, das sind die Regeln, aber ich verstehe einfach nicht, warum man da nicht ein bisschen mehr Bauchgefühl und Fingerspitzengefühl haben kann und einfach das Spiel ein Spiel sein lassen kann", sagte der aufgewühlte Kampa. Als Grund für die Niederlage wollte er das nicht durchgehen lassen. Aber es ist durchaus so, dass der "geschenkte" Punkt am Ende den Ausschlag für Frankreich gab.
Was am Donnerstagabend im Basketball-Halbfinale entscheidend für Sieg oder Niederlage sein wird, das ist noch nicht ausgemacht. Die Vorzeichen nach dem ersten Duell in der Vorrunde scheinen eindeutig. Deutschland nahm die Franzosen phasenweise nach allen Regeln der Kunst auseinander. Die erdrückende deutsche Dominanz spiegelt das 85:73 gar nicht ausreichend wider. Die Gastgeber zerfielen danach. NBA-Spieler Evan Fournier ging auf direkte Konfrontation zu Nationaltrainer Vincent Collet. Er warf ihm einen nicht mehr zeitgemäßen Spielstil vor. Auch das Wunderkind Victor Wembanyama konnte nicht alles retten. Doch das Gewitter entwickelte eine heilende Kraft. Im Viertelfinale knöpfte sich Frankreich das Spitzenteam Kanada vor und gewann überraschend. Deutschland ist gewarnt, noch so eine Demontage des Gastgebers wie in der Vorrunde dürfte es nicht geben.
Wie es nicht laufen sollte, lebten die Damen am Mittwochabend vor. Deren Olympia-Premiere endete mit einer chancenlosen Niederlage. 71:84 hieß es, danach liefen Tränen. Vor allem bei Starspielerin Satou Sabally, die zur Unzeit einen ganz schwachen Tag erwischt hatte. "Ich bin einfach nur traurig, dass ich meinem Team nicht helfen konnte", haderte Sabally, die lediglich auf zehn Punkte kam und sich zugleich viele Ballverluste leistete. Insgesamt sei sie aber "stolz darauf, wie weit wir gekommen sind und wie wir den deutschen Basketball präsentiert haben. Ich habe dem Team gesagt, dass wir diese Emotionen beibehalten müssen." Noch besser zeigten sich die 3x3-Basketballerinnen. Auf ihrem Weg zur Gold-Sensation begegneten sie ebenfalls Frankreich - und zitterten. Gegen den Gruppenletzten zeigte das deutsche Team zunächst große Schwächen im Abschluss. Vor der lauten Kulisse wirkte das DBB-Team nervös. Kurz vor Schluss sicherte Greinacher den knappen Sieg.
"Anne, halt jetzt die Fresse"
Klare Angelegenheiten waren die Duelle im Hockey. Jeweils in der Vorrunde trafen die Männer und Frauen beider Nationen aufeinander. Jeweils mit dem besseren Ende für DHB-Auswahlen. Das Herrenteam kannte beim 8:2 keine Gnade, die Damen waren ebenfalls eiskalt und siegten 5:1. Das Spiel blieb dennoch in Erinnerung, weil ein Disput zwischen Coach Valentin Altenburg und Nationalspielerin Anne Schröder im TV zu sehen war. "Anne, halt jetzt die Fresse und komm her, das nervt mich, deine Körpersprache", sagte Altenburg beim Stand von 2:0: "Das ist von dir schlecht. Meine Güte, reiß dich zusammen." Er war extrem aufgebracht über das Verhalten von Schröder, die sich vor seinem Ausbruch vom Teamkreis weggedreht und kurz mit dem Kopf geschüttelt hatte.
Ein gigantisches Spektakel zwischen Frankreich und Deutschland gab es schließlich noch an der Platte. Das erst 17 Jahre alte Supertalent Felix Lebrun hatte den alternden Riesen Dimitri Ovtcharov am Rande einer krachenden Pleite. Trotz starker Leistung lag der Deutsche mit 0:3 Sätzen zurück. Ihm drohte eine herbe Blowout-Niederlage im Achtelfinale. Aber urplötzlich wendeten sich die Kraftverhältnisse am Tisch. Wie aus dem Nichts verlor Lebrun seine Souveränität, seine Aggressivität. Man kann das Momentum des Kippens gar nicht greifen, nicht definieren. Beim Deutschen ging immer mehr. Er kam in die Offensive, hatte eine überragende Länge in seinen Bällen und spielte aggressive Konter. Der Franzose haderte, zweifelte. Eine überragende Vorhand von Ovtcharov knallte cross über die Platte und Lebrun um die Ohren. Das Wunder war möglich. Aber dann stand Lebrun wieder auf, fand die innere Ruhe und Kraft zurück und ließ die Arena 4 Süd beben.
Nicht episch, dafür besonders bitter ging das Beachvolleyball-Duell zwischen Laura Ludwig/Laura Lippmann gegen Alexia Richard/Lezana Placette aus. Mit 0:2 unterlag die deutsche Ikone mit ihrer Partnerin. Es war der Anfang vom Ende. Nach drei Pleiten in der Vorrunde stand das Debakel und die Einsicht, dass Laura Ludwigs Zeit abgelaufen ist. Sie verkündete danach das Ende ihrer Karriere nach dieser Saison. Das könnte auch beim "Hammerschorsch" noch folgen. Der Volleyballstar Georg Grozer hat noch nicht entschieden, wie es weitergeht.
Aber längst ist klar: Magie, Drama und Wahnsinn bei diesen Olympischen Spielen sind eng verbunden mit Deutschland und Frankreich. Von einem "phänomenalen Wahnsinn" sprachen die Handballer nach ihrer Sechs-Sekunden-Sensation. Eine schöne Überschrift für die Duelle der beiden europäischen Schwergewichte.
Quelle: ntv.de