Schöne neue Facebook-Welt Alle Lebenszeichen auf Linie
23.09.2011, 16:02 Uhr
"Timeline is on my site" - Facebook-User sollen in interaktive Zeitleisten sämtliche Lebenszeichen einpflegen.
(Foto: AP)
Für die einen ist es ein Riesenschritt in eine leuchtende Zukunft des virtuellen Netzwerkens, für die anderen tut sich datenschutztechnisch ein Abgrund ohne Beispiel auf: Facebook hat auf seiner Entwickler-Konferenz f8 eine Reihe mehr oder weniger gravierender Neuerungen vorgestellt. Aber wozu?

Screenshot eines überarbeiteten Facebook-Nutzerprofils. (Foto: Facebook)
Vieles von dem, was Facebook-Gründer Mark Zuckerberg präsentierte, wird für die Nutzer erst in den kommenden Tagen und Wochen sichtbar, anderes betrifft ohnehin eher die, die auf beziehungsweise mit der Plattform Geschäfte machen wollen - und wird dem normalen Nutzer verborgen oder jedenfalls unverständlich bleiben (Stichwort: Open Graph).
Die Debatte dreht sich derzeit um eine Neugestaltung der Facebook-Seite sowie vor allem um die neuen "Timelines", die auch als interaktive Lebensläufe beschrieben werden. Jede Reise, jedes Ereignis, jedes Erlebnis lässt sich dort einsortieren, als Text oder Foto oder Video, als Status-Update oder als Notiz an sich selbst, ausgewählte Kontakte oder die ganze Welt.
Facebook als Abbild unser aller Leben
Die Idee erscheint verlockend - auch angesichts der Tatsache, dass wir uns von der explodierenden Menge an Fakten und Daten - die Welt und unser eigenes Leben betreffend - immer weniger selbst merken können. (Neu ist die Idee, nebenbei bemerkt, nicht: memolane.com etwa ist ein Dienst, der genau das anbietet, wenn auch ohne großen Erfolg, es fehlt einfach der Netzwerkeffekt.)
Bei Facebook (oder einem der anderen Dienste, denen wir all die Informationen anvertrauen) werden wir also womöglich künftig auch noch nachsehen, wo wir vor drei Jahren eigentlich in Urlaub waren, wen wir dort trafen und wann wir ihn wieder aus den Augen verloren.
Wer hört wann wo welchen Song - und mit wem?
Wir werden künftig selbst minutengenau protokollieren können, welchen Song wir hören, welches Video wir ansehen, welche Nachricht wir konsumieren - und welcher unserer Freunde oder Bekannten rund um den Globus das im gleichen Moment ebenfalls tut. Das kann amüsant und nützlich sein oder eben der Überwachungs-Albtraum, gegen den die Stasi oder die düsteren Visionen aus "Brave New World" oder "1984" wie Kindergeburtstag wirken.
Die Rolle des "Big Brother", das ist den meisten Nutzern durchaus bewusst, spielen hier nicht Despoten und totalitäre Staaten, sondern gewinnorientierte Unternehmen, die auf das Vertrauen und das Wohlwollen der Nutzer angewiesen sind. Also alles nicht so schlimm?
Das Argument, man nehme schließlich freiwillig teil und gebe seine persönlichen Daten ganz zwanglos preis, ist allerdings nur teilweise stichhaltig. Zu groß sind inzwischen die oben erwähnten Netzeffekte: Zu einer anderen Plattform zu wechseln ist - vor allem für die, die schon gut vernetzt sind - nicht eben mal schnell erledigt. Außerdem ist durchaus fraglich, ob man etwa beim Facebook-Konkurrenten Google+ , bei Twitter oder beim Open-Source-Projekt Diaspora auch nur annähernd die Leute wiederfindet, mit denen man an anderer Stelle virtuell verbunden ist.
Personen-Profile über Plattformgrenzen hinweg
Was also tun? Jede/r Einzelne wird weiter in jedem Einzelfall überlegen, was er mit wem auf welcher Plattform teilen will - und im Hinterkopf behalten müssen, dass all diese Informationen eines schönen (?) Tages auch über Plattform-Grenzen hinweg zu einem sehr individuellen und sehr aussagekräftigen Profil verknüpft werden könnten - und dass dieses auch noch zu anderen Zwecken benutzt werden könnte als dem, personalisierte Werbung zu platzieren.
Und auch im Sinne der vielen "Freunde" oder "Follower", die oftmals bestimmt genauso unter der Informationsflut leiden wie wir selbst, sollte man beim Teilen, "Sharen", "Liken", "Plussen" oder Twittern den Spruch beherzigen: "Weniger ist mehr" - auch wenn das gerade nicht dem entspricht, was die Zuckerbergs dieser Welt gerne von uns möchten.
Quelle: ntv.de