"Regierung bekommt kalte Füße" Außenamt legt ACTA auf Eis
10.02.2012, 13:32 Uhr
Bei einer Aktion der Grünen zum ACTA-Abkommen liegen die vier Buchstaben vor dem Bundeskanzleramt in Berlin auf einer Holzfläche. Foto: Rainer Jensen
Deutschland wird das umstrittene Antipiraterie-Abkommen ACTA vorerst nicht unterschreiben. Anfang der Woche hatte nach Polen auch Tschechien die Ratifizierung des Vertragswerkes ausgesetzt. Netzaktivisten, Organisationen und Parteien rufen dennoch europaweit zu Protestaktionen auf.
Deutschland wird das internationale Urheberrechtsabkommen ACTA vorerst nicht unterzeichnen. Das Auswärtige Amt bestätigte, es habe die bereits erteilte Weisung zur Unterzeichnung des umstrittenen Vertragswerks wieder zurückgezogen. Hintergrund seien Bedenken, die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger in dieser Woche angemeldet habe. Mit dem Aufschub sei aber keine Entscheidung in der Sache verbunden.
Das Anti-Counterfeiting Trade Agreement (Handelsabkommen zur Abwehr von Fälschungen) wurde im Januar in Tokio von der EU, aber noch nicht von allen Mitgliedsstaaten unterzeichnet. Der auf Initiative der USA und Japans ausgehandelte Vertrag regelt unter anderem die "Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums im digitalen Umfeld".
Proteste angekündigt
Für den 11. Februar haben Netzaktivisten, Organisationen und Parteien zu Protestaktionen aufgerufen. Sie organisieren sich über Twitter, Facebook oder Google+ und informieren sich auf Blogs und Webseiten. Die großen Medien - vor allem das Fernsehen - ignorieren die Bewegung noch weitgehend.
Die mangelnde öffentliche Aufmerksamkeit beruht dabei nicht in erster Linie auf einem möglichen Desinteresse der Bevölkerung, sondern auf der Tatsache, dass ACTA seit 2007 weitgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wurde und demokratische Institutionen außen vor blieben. Schuld sind aber auch Politiker wie Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner, die wie im Falle der Zustimmung des EU-Rats das Abkommen diskussionslos durchwinkten oder gar begrüßten.
Zuletzt unterschrieben 22 von 27 EU-Staaten den Pakt im fernen Tokio unter Beifall von deutschen Unionspolitikern. Der CDU-Europa-Abgeordnete Daniel Caspary bezeichnete das Abkommen als einen "Meilenstein im Kampf gegen Marken- und Produktpiraterie". Die Grünen, die Linke und die Piratenpartei sprachen sich deutlich gegen ACTA aus. Bedenken wurden auch innerhalb der FDP geäußert.
Internetprovider als Hilfssheriffs?
Leutheusser-Schnarrenberger begrüßte, dass die ACTA-Debatte "so engagiert und öffentlich geführt" werde. "Es ist notwendig und geboten, dass alle Fakten auf dem Tisch liegen." Jetzt müsse sich das Europaparlament mit dem Abkommen befassen und "entscheiden, ob es ACTA will oder nicht will". In Deutschland gebe es hierzu jedenfalls keinerlei Gesetzgebungsbedarf. Die Regierung lehne die Sperrung von Internetzugängen wegen Urheberrechtsverletzungen ab. Sie sei auch gegen ein System von Warnhinweisen, erklärte die Ministerin und fügte hinzu: "Internetprovider sind keine Hilfssheriffs."
Der ACTA-Vertrag sieht hingegen vor, dass Internet-Provider Daten wie die IP-Adresse herausrücken sollen, um bei Verstößen gegen das Urheberrecht eine Identifizierung von Personen zu ermöglichen. Inhaber von Urheberrechten können dann ihre Ansprüche juristisch durchsetzen.
Der SPD-Europaabgeordnete Bernd Lange kritisierte die Haltung der Justizministerin: "Die Bundesregierung will die Suppe nicht auslöffeln, die sie sich selber eingebrockt hat". Zwar müsse " im Interesse von Jobs in Europa" Produktpiraterie bekämpft werden. Entsprechende Regelungen dürften aber nicht dazu führen, dass Grundrechte und die Freiheit im Internet eingeschränkt würden. "Die Bundesregierung gehörte zu den großen Befürwortern des Abkommens und bekommt nun angesichts der wachsenden Proteste kalte Füße. Die Verantwortung dann allein auf das Europäische Parlament zu schieben, ist dreist", so Lange weiter.
Auch in anderen EU-Ländern nahmen in den vergangenen Tagen die Bedenken zu. In Polen, Tschechien und Lettland wurde die Ratifizierung des Vertrags nach heftigen Protesten vorerst ausgesetzt. "Wir dürfen auf keinen Fall zulassen, dass die bürgerlichen Freiheiten und der freie Zugang zu Informationen in irgendeiner Weise bedroht sind", erklärte der tschechische Ministerpräsident Petr Necas.
Quelle: ntv.de, mit dpa